Begriffe können die Weltgeschichte verändern. „New Deal“ zum Beispiel. Der Begriff fasste eine hochkomplexe Wirtschaftspolitik so zusammen, dass sogar ein Hilfsarbeiter bei Ford eine Idee davon hatte. Das half wiederum Präsident Franklin D. Roosevelt, diesen Arbeiter von seinem Programm zu überzeugen. An diesem Sonntag ist indes in Niedersachsen ein Begriff abgestraft worden: „Sondervermögen“. Er stellte den Versuch von Finanzminister Christian Lindner dar, zu verschleiern, dass seine FDP bereit ist, in Sachen Staatsverschuldung alle Dämme brechen zu lassen.
Am Wahlabend entschuldigte sich Lindner im ZDF fast dafür, der rot-grünen Regierung eine Mehrheit zu verschaffen. Seine Partei tue das „aus staatspolitischer Verantwortung“. Wenn er nicht bereit wäre, schlecht zu regieren, würde es am Ende gar keiner tun. Auch dieser Eindruck, den Lindner erwecken will, beruht auf einer falschen Darstellung. Die FDP hatte nach der Bundestagswahl die Option Ampel oder Jamaika. Doch die Grünen entschieden sich für einen SPD- und gegen einen CDU-Bundeskanzler und die FDP folgte – Amtssessel und Dienstwagen fest vor Augen. „Die Grünen entscheiden und die FDP folgt“, ist seitdem eine Art Arbeitstitel der Ampel.
Lindners Flehen um Gnade vor dem Wähler geht weiter: Viele würden die FDP jetzt als linke Partei sehen. Das sei sie aber nicht. So habe sie sich etwa klar für den weiteren Betrieb der Atomkraftwerke ausgesprochen. Damit trifft Lindner den Punkt. Ob willentlich oder nicht: Die FDP hat sich dafür ausgesprochen. Sie hat es eben nicht umgesetzt. Die Angst vor einem Blackout war es, die Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) zu jedem noch so faulen Kompromiss drängte. Hier unterscheiden sich die Grünen von den Liberalen. Die Grünen handeln aus Überzeugung falsch. Die FDP weiß es besser, macht aber mit. Aus Machterhalt. Der Versuch, den Begriff „staatspolitische Verantwortung“ als Beschönigung setzen zu wollen, dürfte eine so klägliche Karriere hinlegen wie der Versuch mit dem „Sondervermögen“.
Apropos Buschmann. Neben der inhaltlichen Schwächen hat die FDP auch ein Problem mit ihrer Inszenierung. Die Bild sprang ihm eine Woche vor der Wahl bei und bot ihm an, sein Image als Weichi zu korrigieren. Er kündigte an, die Täter des Anschlags auf die Pipeline Nord Stream würden bald gefunden werden. Dazu stellte die Bild ein Foto, das Buschmann wohl als entschlossenen Mann darstellen sollte. Ein Image, das so gar nicht zu ihm passt. Die Inszenierung war am Ende nur lächerlich. Viel entscheidender aber ist, dass die Aufklärung zum Nord-Stream-Anschlag seitdem keinen Zentimeter weiter ist: Versprechen geben, PR-Aktion daraus machen, Versprechen nicht einhalten. Ein Dreisatz, der liberalen Wählern allzu vertraut ist.
Unter Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) geht die Ordnungspolitik zurück in die 50er Jahre. Mit Erfassungsbogen der Arbeitszeit, die Mitarbeiter in Vertrauensarbeitszeit und Unternehmen schriftlich ausfüllen und einreichen müssen. Digitalisierung war gestern – ebenso wie flexible Arbeitszeitmodelle. Dafür greift der Staat immer häufiger und immer drastischer in die Wirtschaft ein: mit Quotenvorgaben, ausufernden Vorschriften zur Verwaltung und Datenerfassung oder gleich mit Verstaatlichung wie bei Uniper. Die FDP macht das alles mit. Wider besseren Wissens.
Lindner hat am Wahlabend betont, dass über 30 Prozent die Regierungsarbeit der FDP gut fänden. Diese Zustimmung gelte es, in Stimmen umzumünzen. Doch Lindner hat den Catch 22 dahinter nicht verstanden: Menschen, die niemals die FDP wählen würden, finden gut, wie willig die FDP ihre Politik mitträgt. „Staatspolitische Verantwortung“. Menschen, die indes zur Zielgruppe der Partei gehören, wenden sich entsetzt und wütend ab. An keine andere Partei hat die FDP in Niedersachsen so viele Wähler verloren wie an die AfD. Reiner Protest. Wenn liberale Wähler sie verlassen, hat die FDP nichts davon, dass rot-grüne Wähler sie gut finden.
Der einzige ungetrübt liberale Erfolg der FDP ist es, das Tempolimit auf der Autobahn verhindert zu haben. Zu wenig, um Wahlen zu bestreiten. Zudem können rot-grün geführte Länder auch diesem Erfolg mühelos hinterlaufen. Sie müssen einfach nur Gründe schaffen, warum auf immer mehr Teilabschnitten Tempolimits gelten. Wer von Saarbrücken nach Berlin fährt oder von München nach Hamburg, wird sich deutlich häufiger an Begrenzungen halten müssen, als dass er frei fahren kann. Zum Glück für die FDP gibt es für diesen Umstand wenigstens noch keinen griffigen Begriff.