134 Menschen sind in der Katastrophennacht im Juli 2021 im Ahrtal gestorben. Das Wasser hat eine schwer vorstellbare Schneise der Verwüstung durch die Landschaft gezogen. Die Bewohner haben Furcht und Leid ertragen müssen. In all den grausamen Geschichten, die an der Ahr und ihren Nebenflüssen passiert sind, sticht eine hervor. Die deshalb so grausam ist, weil sie wehrlosen Menschen passiert ist. Menschen, die auf Schutz angewiesen waren zu einer Zeit, als die zuständigen Mitglieder der Landesregierung schliefen.
Zum Beispiel Erwin Manz (Grüne). Er war bis zu jener Flutnacht Staatssekretär im Umweltministerium. Sein Haus gab am Nachmittag vor der Katastrophe eine Pressemitteilung raus. Tenor: Ganz so schlimm werde es nicht werden. Der SWR tat, was der SWR tun muss: Er nahm die Regierung für voll und verbreitete die falsche Sicherheit im späteren Katastrophengebiet. Kurz darauf bekam Manz von seinen Experten gesagt, dass er falsch liege. Er entschied sich bewusst dazu, die Pressemitteilung nicht zu korrigieren. Wetterdienste wie der von Jörg Kachelmann trommelten derweil Alarm. Sogar Privatleute auf Twitter. Doch Evakuierungen blieben da aus. Keine zwölf Stunden später waren die Wehrlosen im Heim von Sinzig tot.
Gegen 22 Uhr stieg ein Polizeihubschrauber in die Luft über dem Ahrtal. Da lebten die wehrlosen Bewohner des Heims in Sinzig noch. Da hätten sie noch in Sicherheit gebracht werden können. Der Hubschrauber zeichnete Bilder auf, die einem selbst stark verpixelt noch den Magen umdrehen lassen. Sie sind auf Rhein-Zeitung.de zu finden. Trotz dieser Bilder kam da den Behinderten in Sinzig keiner zur Hilfe. Keine sechs Stunden später waren sie tot. Darum geht es, wenn heute Roger Lewentz sagt, er habe die Bilder nicht gekannt.
Die Bilder hätten nicht gezeigt, wie schlimm die Lage werde, sagt Lewentz heute. Er habe die Bilder nicht gesehen, sagt Lewentz heute. Beide Aussagen zusammen erwecken den Eindruck eines Mannes, der um ein Amt kämpft, dass er nach moralischen Maßstäben nicht mehr haben dürfte. Der nur noch Minister ist, weil seine Chefin Malu Dreyer Wert auf Moral legt. In Reden. In der Praxis orientiert sich Malu Dreyer aber an nacktem Machterhalt.
Lewentz rechtfertigt sein Kleben am Amt damit, dass er im Wiederaufbau dabei sein wolle: „Ich will anpacken, ich will helfen, ich will mit dafür sorgen, dass es den Menschen an der Ahr wieder besser geht“, sagt er im SWR. Der Wiederaufbau stockt. Seit weit über einem Jahr. Selbst die Tagesschau kommt nicht an Berichten darüber vorbei, dass den Menschen im Ahrtal ein zweiter Kältewinter bevorsteht.
Der „Ich will anpacken“-Minister ist auch für den Wiederaufbau zuständig. Zum Beispiel dafür, dass private Spenden liegen blieben, weil die Verwaltung ausgiebig prüfte, ob die überhaupt ausgezahlt werden dürften. Paragrafen statt Pragmatismus. „Ich will anpacken“, sagt Lewentz. Heute. Nach über einem Jahr verschlafener Chancen. „Ich will im Amt bleiben“, wäre ehrlicher.
CDU-Generalsekretär Gordon Schnieder sagt: „Lewentz hat das Vertrauen der Menschen verloren. Das nicht zu erkennen, macht doppelt fassungslos.“ Lewentz solle aufhören, sich rauszureden und die Verantwortung abzuschieben. Dreyer solle die Reißlinie ziehen. Einen Misstrauensantrag, den die AfD im Landtag gegen Lewentz stellen will, werde die CDU aber nicht mittragen. Doch nächste Woche soll Lewentz noch einmal im Untersuchungsausschuss über die Nacht aussagen, in der unter anderem zwölf wehrlose Menschen hätten gerettet werden können. In der die Verantwortlichen aber geschlafen haben.