Am Montagnachmittag dieser Woche verkündete in Seattle der Unternehmensgründer Dan Price seinen 120 Mitarbeitern, dass er sein Gehalt von $ 1 Mio jährlich auf $ 70.000 zuückfahren wird. Im Gegenzug steigen die Bezüge seiner Mitarbeiter innerhalb der nächsten drei Jahre an, bis alle auf den gleichen jährlichen Betrag von $ 70.000 kommen. Ein Märchen wird wahr: Alle sind gleich, verdienen gleich und alle sind glücklich. Und Deutschland steht wieder als Depp da: Angeblich ist Equal Pay hier noch nicht mal zwischen Männern und Frauen realisiert – 28 Prozent weniger für: Frauen. Da muß doch was zu machen sein?!
Um die Gehaltserhöhungen zu finanzieren, will Price sein eigenes Gehalt um über 90% reduzieren. Auch etwa 80% aus den Profiten des Unternehmens sollen in die Paychecks gespeist werden. Das von dem damals 19-jährigen Dan Price in 2004 gegründete Unternehmen Gravity Payments erwirtschaftet derzeit $ 2,2 Mio. jährlich.
„Ich flippe gerade völlig aus“
Unter frenetischem Jubel der Mitarbeiter, unter Freudentränen und Applaus, reisst es denn auch den Chef im Taumel mit: „Dreht hier gerade noch jemand durch? Denn ich flippe gerade völlig aus!“ Klar brechen die Mitarbeiter da in Begeisterungsstürme aus; für gut ein Drittel von ihnen verdoppelt sich damit ihr Gehalt.
Seither geistert der Equal Pay Boss als Held der kapitalistische geknechteten Herzen durch die Klatschspalten des Internets. Eine Art Rosa Luxemburg auf dem Surfbrett.
Und alle sind so lieb zu einander. So sollen sich einige sorgen, ob er und auch das Unternehmen sich mit dem Vorhaben nicht finanziell übernehmen könnte. Ob ihm nun auch genug zum Leben bleibe. Aber Price, der moderne Robin Hood, der von sich selbst und seinem Unternehmen nimmt, um es anderen, seinen Mitarbeitern zu geben, sagt, er komme schon klar. Er habe genügend Geld gespart, fahre seinen alten Audi und gönne sich keinen weiteren Luxus außer den, weiterhin Snowboard zu fahren oder Freunde einzuladen. Und wenn Gravity Payments zudem dann mehr Gewinne durch die motivierteren Mitarbeiter erwirtschaftet, dann bekommt er auch wieder mehr. Dies sei ein schöner Ansporn für ihn. Ein Held der Herzen eben.
Besser verdienende Mitarbeiter seien nämlich motivierter, somit würde wiederum auch das Unternehmen von dieser Entscheidung profitieren, gibt sich Price optimistisch. Also ist das keine Wohlfahrt, sondern eine klare Investition in die Zukunft. Nur zufriedene und fair bezahlte Mitarbeiter sind gute Mitarbeiter. Oder?
Die Ansage „Ich flippe gerade völlig aus“ darf man tatsächlich auch gerne mal für einen Moment kritischer betrachten, als es im kollektiven Freudentaumel so Juchheirassasa daher kommt. Nicht selten haben Menschen ziemlich einen an der Murmel, wenn sie so viel von dem was sie haben, plötzlich hergeben und gleich darauf unter Glücksgefühlen zerfließen. Eine frühere Bekannte hob denn auch ihr gesamtes Guthaben ab, verteilte es an Menschen auf der Strasse, tanzte durch einen Brunnen und nahm sich kurze Zeit später das Leben.
Ein besonderes Drama erleben wir gerade beim SPIEGEL, dem früheren Nachrichtenmagazin: Dort verschenkte Gründer Rudolf Augstein 50 Prozent an die Mitarbeiter. Klingt toll und ging lange gut. Aber neuerdings nicht mehr so sehr. Erstens sind nicht alle gleich, sondern nur einige: Die jüngeren, mediumgemäß mies bezahlten Mitarbeiter bei Online sind nicht beteiligt; sie fahren mit dem Fahrrad in den Keller, um dort neben den Porsches der kapitalen Schreiber zu parken. Und intern ist der SPIEGEL durch diese Machtkämpfe so blockiert, dass zuerst der Chefredakteur Wolfgang Büchner, der den Graben zwischen Print und Online zuschütten wollte, gemobbt wurde – und jetzt die Erben Augsteins verkaufen wollen. Sie wollen wohl dem Verfall durch Selbstlähmung nicht mehr länger zuschauen. Equal Pay wird schnell zu Equal Langsam. Warum sollte ein genialer Entwickler für 70.000 arbeiten, wenn er woanders 700.000 abgreifen kann?
Hier wahrscheinlich die Begründung: Dan Price hat zuvor einen Beitrag über Glück und Zufriedenheit gelesen, auf den sich auch die Linke gerne beruft, wenn es darum geht, die nächste Steuererhöhungswelle anzukündigen. Danach braucht man zur Glückseligkeit nicht mehr als 60.000 Euro im Jahr. Die Bundestagsabgeordneten der Linken reden da nämlich aus Erfahrung. Mit über 9082 Euro im Monat, also weit über 100.000 im Jahr, sind die wirklich kein bisschen zufriedener als ein Hausmeister am Stammtisch in Wanne-Eickel, als eine Feministin bei der ZEIT oder ein Vorstandsvorsitzender bei Goldman Sachs. Gut, dass für die MdBs da noch eine steuerfreie (!) Aufwandsentschädigung von 4.267 € und eine fette Pension dazu kommt; da sieht man dann, wie sie sich da selbstlos für uns aufopfern, Kohle bis zum Unglück in sich reinstopfen lassen und diese hässlichen Maßanzüge selbstlos auftragen. Equal Pay hat eben viele Schlupflöcher, für manche durch die Knopflöcher der Maßanzüge eben.
Die Menschen feiern Dan Price schon als den Verkünder einer neuen Ära. Es ist anzuerkennen, dass er aus dem von ihm gegründeten und profitablen Unternehmen einen Hort der Freude und Anerkennung formen und jeden Mitarbeiter daran partizipieren lassen möchte. Bei all dem weltweiten Jubel darüber aber eine Frage: Ich weiss, sie stört ein bisschen die Begeisterung über all die ästhetisch verpackte Selbstlosigkeit. Call me the party pooper: Aber was passiert, wenn es mal nicht so gut läuft bei Gravity Payments, ein paar Aufträge mehr wegbrechen, als dass sie reinkommen? Dann werden natürlich alle weiter gleich bezahlt. Aber eben 70 Mitarbeiter weniger? In Jubelzeiten der romantischen Verklärung über die Lebensentscheidung eines einzelnen, stören solche unbedeutenden Details, klar. Weitermachen, weiterjubeln, so lange es noch geht.
„Das Einkommen für mich als CEO im Vergleich zu einem normalen Angestellten ist lächerlich. Es ist absurd.“
Also wird der Equal-Price auch wieder dazu dienen, um Debatten über die „Pervertierung“ der Gehaltsunterschiede zwischen Vorständen und Mitarbeitern zu befeuern und darüber hinaus wieder einmal mehr Gelegenheit darin zu sehen, sich in noch mehr Belange der Wirtschaft einzumischen und reinzuhängen.
Das trifft Deutschland gerade richtig. Manuela Schwesig hat ja erkannt, dass ihr geplantes Lohngleichschaltungsgesetz die niedrigeren Frauengehälter nicht anheben wird – solange Frauen häufiger in schlecht bezahlten Jobs wie Kindergärtnerin arbeiten, die Männer dagegen in der gut laufenden Auto-Industrie. In Kindergärten werden halt 15 € bezahlt, bei VW das Doppelte, jedenfalls so lange es noch winterkornt. Also was tun? Autos bauen statt mit Kindern spielen? Schwesig hat schon eine Idee: Jetzt müssen eben die Kindergärtnerinnen besser bezahlt werden, damit die Gehaltslücke sich schliesst. Stellt sich die Frage: Und die der Müll-Männer? Sind die wieder außen vor mit ihrer so wichtigen Tätigkeit? Und die Löhne auch jener Frauen, die wegen ihrer eigenen Kinder nur Teilzeit arbeiten? Und was ist mit den Teilzeit-Männern? Müssen nicht Frauen generell, aus rein geschlechtsspezifischen Gründen, nicht eigentlich ein Lohnplus von 28 Prozent kriegen? Und was ist mit den Mindestlöhnen? Warum kümmert sich keiner um die, obwohl darunter sogar Frauen sind, also Opfer per definition?
Man sieht: Dan Price ist wirklich ein Held, der überall gebraucht wird.
Endlich alle gleich und alles ist gut.
Können Sie sie schon sehen, die nächsten Talks bei Illner, Will & Co.?
Dan Price eignet sich gut für die nächste Rammbock-Debatte. Blonde schulterlange Haare, ein Laissez-faire Surfer- und Posterboy-Image. Niemand ist gegen gerechte Bezahlung. Und schon gar nicht, wenn sie blond und strahlend auf weißem Snowboard dahergeritten kommt. Manuela Schwesig hat endlich ihren weißen Ritter gefunden, der sie aufs Surfboard hebt und mit ihr dahinbraust in die nächste Woge der Gleichmacherei. Koste es, was es wolle.
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