Das Neue Deutschland war vor 1989 eine durchaus interessante Zeitung. Man musste sie nur lesen können. Den ganzen Quatsch mit „Der Vorsitzende des Staatsrates … den Plan übererfüllt … optimistisch in die Zukunft …“ – den Quatsch musste man ignorieren und sich auf das Wesentliche konzentrieren: Nämlich auf das achten, was nicht im Neuen Deutschland steht. Welche Themen spart es aus, die dem Politbüro folglich unangenehm sind? Welcher Genosse wird oft erwähnt? Und welcher gar nicht mehr?
Zeit ist bei Maischberger also für die bahnbrechende Erkenntnis, dass es im Winter in Deutschland an Strom mangeln könnte. Zeit ist bei Maischberger für die in der ARD so selten vertretene Meinung, dass die erneuerbaren Energien ausgebaut werden müssen. Maischberger zu schauen ist, wie das alte Neue Deutschland zu lesen. Spannend ist, was sie weglässt: hier die Notwendigkeit, die Atomkraftwerke länger laufen zu lassen.
Wen setzt die Maischberger-Redaktion Fratzscher gegenüber? Hermann-Josef Tenhagen: Der Wirtschaftsjournalist hat Politikwissenschaften studiert. In den 90er Jahren arbeitete er für die Taz und gründete dort das Ressort „Wirtschaft und Umwelt“, war 1995 Sprecher des „Klimaforums ’95“ und ist seit 2014 Chefredakteur und Geschäftsführer von Finanztip, einem Ratgeberportal. Greenpeace Deutschland weist Tenhagen als Mitglied des Aufsichtsrates auf. Kurzum: Da sitzt bei Maischberger ein Grüner und diskutiert mit einem Roten. Ausgewogenheit nach Art der ARD.
Maischberger verweigert ihren Zuschauern diese Informationen. Spannend ist, was bei ihr nicht gesagt wird. Fratzscher hat sich vor gut einem Jahr mit einer Prognose bis auf die Knochen blamiert: Die Inflation werde 2022 unter zwei Prozent sinken. Nun ist sie zweistellig, wie das Statistische Bundesamt mitteilt. Auch als Fratzscher die Prognose abgab, war sie bei knapp fünf Prozent. Es war politisch, nicht wissenschaftlich, begründet, warum er die später peinliche Prognose abgab. Wenn die SPD „die Wissenschaft“ braucht, um ihre Politik zu rechtfertigen, verkörpert Fratzscher „die Wissenschaft“.
Der Mindestlohn werde helfen, die Inflation aufzufangen, sagt Fratzscher. Der Staat müsse „jetzt massiv“ in erneuerbare Energien und die Transformation der Wirtschaft investieren, sagt Fratzscher. Treibt das nicht die Inflation weiter an? Dazu sagt Fratzscher nichts. Das will Maischberger von der Wissenschaft nicht so genau wissen. Beide haben ihre Botschaften gesetzt. Und für die Zuschauer ist interessanter, was nicht in der Sendung vorkommt.
Tenhagen gibt ein „Best of“ der 100 Tipps gegen explodierende Strompreise. Was sollen die Verbraucher tun, wenn der Brief mit den höheren Abschlägen für Gas kommt? „Die sollen mal abwarten, bis der Gas-Anbieter einen neuen Brief schickt.“ Wie dann der „Doppel-Wumms“ dafür sorgen wird, dass die Kosten sinken, können die Experten letztlich auch nicht genau sagen. Das wird Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) – Stand jetzt – nicht vor Ende Oktober bekannt geben. Sicher ist einzig nur, dass es Fratzscher gut finden wird.