Tichys Einblick
Blick zurück - nach vorn

Blackbox KW 39 – Doppel-Wumms mit Käse

Zu Recht bestaunt die ganze Welt die Regierungskunst unseres politischen Personals wie ein fernes Naturschauspiel. Nur Frau Dr. Merkel sieht „keinen Grund zur Selbstgefälligkeit“ …

Trotz Habeck-Appell und Kretschmann-Waschlappen verbrauchen Privathaushalte mehr Gas als in den Vorjahren. Die Inflation steigt auf 10 Prozent, und in Brandenburg liegt die AfD gleichauf mit der SPD – da hat Chef Olaf das Krisen-Management kurzerhand selbst in die Hand genommen. Die Gasumlage kommt weg, dafür gibt es nun das Energiepreissparpaket für 200 Milliarden Euro. Alles weitere regelt eine Expertenkommission.

Wie? Nein, neue Schuldenaufnahme ist nicht nötig, alles wird über den kreditfinanzierten „Wirtschaftsstabilisierungsfonds“ geregelt, der ursprünglich für die „Stabilisierung der Wirtschaft in Folge der Corona-Pandemie“ vorgesehen war. Wieder ist alles zweckgebunden, sagt Lindner. Oder, frei nach Loriot: „Du hast doch nichts unterschrieben?“ „Nein, nein, das wird alles abgebucht.“

♦  Den Kindsköpfen unter den Journos verkaufte Chef Olaf das Ganze als „Doppel-Wumms“, damit die die gesamte Aktion nicht gleich als weiteren Schuss in den Ofen erkennen. Dabei reicht ein Blick in das sogenannte Eckdaten-Papier der Regierung. Von Punkt 1 – „Ausweitung des Angebots an Energie (ja wie denn, bitteschön?) und die Senkung des Verbrauchs“ – bis Punkt 7: „Vermeidung unverhältnismäßiger Bürokratie“: Der alte Nonsens neu verpackt.

Eben wunderten sich Helmut Markwort und Roland Tichy noch im TV, warum die Wirtschaftsvertreter alles mit sich machen lassen von den rotgrünen Wirrköpfen, da schrieb der Handelsverband Deutschland schon einen Brandbrief an den grünen „Spiegel“, der auch Robert Habeck vorliegt. Oder war’s umgekehrt? „Ohne Plan“ und „dirigistisch“ sei das, was das Habeck-Ministerium treibe, und immer häufiger müsse man den grünen Ministerialmenschen erst mal erklären, „wie Märkte funktionieren“. „Geschäftliche Interessen“, mokierte sich daraufhin ein Namenloser in der Welt, „kollidieren offenbar mit Themen wie Nachhaltigkeit und Menschenrechte.“ Da sieht man, wie die Dummheit in die Welt kommt.

♦ Pfizer Vertriebstagung mit Tierarzt Dr. Wieler und Public Health Professor Lauterbach: Herbst ist da, Winter kommt, klare Sache. Deshalb in den nächsten Wochen „Impfkampagne Layla“. Wie die alte, nur besser, teurer, geiler. Und bei Schnupfen, Husten, Heiserkeit: Pawlowix.

♦ Polizeiaktion in Brüssel, „weißes Pulver“ im Büro von Ursula von der Leyen gefunden. Nein, nein, nicht, was Sie jetzt womöglich spontan denken. Absender war nicht Kolumbien, sondern höchstwahrscheinlich Russland. Oder da will nur jemand Aufmerksamkeit erheischen.

♦ Wichtige Ehrenerklärung unseres Bundestagsvizepräsidenten Wolfgang Kubicki: „Ich habe Herrn Erdogan in einer Nebenbemerkung während eines Wahlkampfauftrittes in Niedersachsen ‚kleine Kanalratte‘ genannt. Eine Kanalratte ist ein kleines, niedliches, gleichwohl kluges und verschlagenes Wesen, weshalb sie auch in Kindergeschichten als Protagonistin auftritt (‚Kalle Kanalratte‘, ‚Ratatouille‘).“
Eieiei. Was, wenn Erdolf Ratatouille nie gesehen hat? Und der erboste türkische Außenminister dem einbestellten Botschafter die geläufigere Definition des Duden vorlegt?

♦ Kaum hatten Ukraine-Melnyk, die luschtige Ricarda und die schwerpunktlinke Nancy Faeser kurz die Augenbrauen hochgezogen, bekam Friedrich Merz wieder einmal Angst vor der eigenen Courage und beeilte sich zu erklären: „Ich bedaure die Verwendung des Wortes ‘Sozialtourismus’. Das war eine unzutreffende Beschreibung eines in Einzelfällen zu beobachtenden Problems.“ Ja, diese Einzelfälle. Unseren stets aufmerksamen Behörden liegen jedenfalls keine Erkenntnisse zum „Sozialtourismus der Ukrainer“ vor.

♦ Aktenzeichen Pipeline-ungelöst. Erich Vad, Brigadegeneral a. D. der Bundeswehr, durfte bei Bild-TV nach dem Doppel-Wumms bei den Nordstream-Pipelines unwidersprochen sagen, „die Russen kommen für mich als letzte in Frage“, und im Netz geht Joe Biden erneut viral mit seiner erratischen Ankündigung zu NS2: „We will bring an end to it.” Der ehemalige polnische Verteidigungsminister und jetzige EU-Parlamentarier Radek Sikorski löschte seinen Tweet („Thank you, USA“) so schnell wie er ihn verfasst hatte, aber Aufklärung droht: Kommissarin von der Leyen hat die Ermittlungen aufgenommen.

♦ Wlads „Referenden“ in der Ukraine in Anführungszeichen setzen, weil sie nicht mit rechten Dingen zugegangen sind. Das führt uns direkt nach Berlin, wo die Verfassungsgerichtspräsidentin Ludgera Selting andeutete, die Senats- und Bundestagswahlen in der Hauptstadt müssten wohl wiederholt werden, weil sonst „das Vertrauen in die Demokratie dauerhaft und schwerwiegend beschädigt“ würde. Sollten sich die Roten wieder mal herausschlawinern, wird man „Wahlen“ in Berlin künftig auch in Anführungszeichen setzen müssen.

Ohne Hinweis vom aufmerksamen Leser Andrij M. aus der Ukraine hätten wir womöglich übersehen, dass Dr. Angela Merkel in der Kaiserpfalz Goslar einen Vortrag gehalten hat. Dort ließ Merkel wissen, dass Deutschland unter ihrem Nachfolger „keinen Grund zur Selbstzufriedenheit“ habe. Und wenn auch viele derzeit olivgrün tragen, bedürfe es dennoch „eines langen Atems“, um weiter „an einer gesamteuropäischen Sicherheitsarchitektur unter Beteiligung Russlands“ zu arbeiten. Am meisten dürften die Presse allerdings die Standing Ovations des Publikums irritiert haben – aber vielleicht war es ja nur die Macht der Gewohnheit.

♦ Es ist ja nicht alles schlecht an der Krise. Jetzt lernen die Grünen wenigstens, was der Chemiker unter „Kettenreaktion“ versteht: Durch die hohen Gaspreise kommt es zum Einbruch der Ammoniak-Produktion. Ammoniak ist notwendig für die Rauchgasreinigung bei der Müllverbrennung, wo strenge Grenzwerte gelten. Und wir lernen gleich mit: Es drohen Müllprobleme für Millionen Haushalte.

♦ Wenigstens eine gute Nachricht für die Hurricane-Geplagten in Florida und Texas. Beste Vorbereitung auf den hochgefährlichen Sturm: „Lassen Sie sich impfen!“ Das hat jedenfalls jemand dem alten Joe in sein Redemanuskript reingeschrieben. Karl, warst du das?

♦ Gewonnen mag sie ja haben, aber nun muss sie erst mal liefern, spotten hiesige Gazetten über den Erdrutschsieg der Donna Meloni in Italien. „Das neue Italien wird zum Risiko für den Euro“, warnen Wirtschaftsredaktionen, die immer wieder vergessen, dass der Euro von Anfang an ein babylonisches Turmbauprojekt war. Volatile griechische und italienische Staatsanleihen gehören quasi zur Grundkonstruktion dieses schwankenden Turms, der in den Ideologen-Himmel ragt.

♦ Betriebsblindheit, Teil 2: „Tausende auf den Straßen“ im Iran und Russland, melden die Gazetten über die freiheitsliebenden Menschen in Unrechtsregimen. Die Tausende auf den Straßen im sächsischen Plauen haben sie dabei übersehen …

Schönen Sonntag trotz alledem!


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