Zwei Beamte hatten gegen einen mehrfach straffällig gewordenen Syrer einen Haftbefehl zu vollstrecken und gegen seine ebenfalls strafrechtlich auffällig gewordene Frau eine sogenannte Gefährderansprache durchzuführen. Angesichts des offenkundig massiven Widerstandes mussten dabei körperliche Zwangsmaßnahmen gegen den Mann Anwendung finden. Seine Frau war dabei in die Eigensicherungszone des Einsatzbeamten eingedrungen und soll außerdem versucht haben, ihren Ehegatten zu befreien. Das ist in Deutschland eine Straftat. In dieser Hochstresslage kam es zwischen der Ehefrau und einem der Polizisten zu einem Wortgefecht.
Die Syrerin sagte zu dem Uniformierten: „Das ist mein Haus, geh raus!“ Der antwortete unter anderem in diesen Worten: „Das ist mein Land und du bist hier Gast!“ Die Frau, die es als Mutter zuließ, dass Kinder, darunter ein Kleinkind, Zeugen der Auseinandersetzungen wurden, wirkte dabei immer wieder mit Händen und mit Schreien auf den Polizisten ein, der daraufhin erwiderte: „Du bist hier in meinem Land, du hast dich nach unseren Gesetzen zu verhalten! Schrei mich nicht an und fass mich nie wieder an, ich bringe dich ins Gefängnis.“
Der Pulverdampf der üblichen Empörungsvertreter hat sich langsam gelegt. Zeit für eine Betrachtung der Geschehnisse.
Ob es sich bei den oben angeführten Sätzen um kluge oder angebrachte Erwiderungen handelt, kann man definitiv bezweifeln – und den Beamten dafür kritisieren. In einem emotional aufgeladenen Wortgefecht Sätze zu sagen, die zur Eskalation beitragen, kann jedem trotz Kommunikationstraining passieren. Polizisten in problematischen Einsätzen mit hoher Gefahrenstufe haben nicht das Privileg der Ermittlungsgruppe, für den Abschlussbericht ihre Worte lange abwägen zu können.
Ich zähle einige Perspektiven des abgelaufenen Geschehens auf.
Das ist keine rassistische Beleidigung, sondern sachlich korrekt, falls beide nicht die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, auch wenn es nicht den ideologischen Vorstellungen derer entspricht, für die Staatsgrenzen abzuschaffen und Staatsbürgerschaften belanglos sind. Da der Polizist dabei auch körperlich angegriffen wird, fügt er den Satz hinzu: „Du bist hier in meinem Land, du hast dich nach unseren Gesetzen zu verhalten!“ Das ist ebenso wenig anstößig, denn die Rechtsnormen haben Deutsche wie Ausländer gleichermaßen zu akzeptieren.
Nicht zu rechtfertigen sind selbstverständlich die Spontanäußerungen „Halt die Fresse (…)“ und „(…) ich bringe dich ins Gefängnis“. Sie können ohne Zweifel auch auf eine kommunikative Überforderung in einer psychischen Ausnahmesituation zurückzuführen sein. Stress frisst viele Informationseinheiten im Gehirn, verengt die Handlungsalternativen und den zur Verfügung stehenden Wortschatz. Ein Indiz dafür ist die Einschränkung seines peripheren Sehens: Der Beamte hat vermutlich 30 Minuten lang nicht bemerkt, dass er heimlich gefilmt wurde. Der dafür typische Tunnelblick tritt ein. Bei der Berücksichtigung dieser Tatsachen bliebe vom angeblichen Tatbestand des fremdenfeindlichen Rassismus nichts mehr übrig.
Andererseits ist da die Perspektive der beiden Syrer. Sie haben Anspruch auf Asyl, damit auf unseren Schutz und deren großzügige Alimentationen. Ob die beiden Akteure des Geschehens bereits die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen oder ihr Einkommen selbst erarbeiten, ist mir nicht bekannt. Bekannt ist aber, dass ein Haftbefehl vorlag, da der Mann dreimal beim Schwarzfahren gestellt wurde und die fällige Geldstrafe von 750 Euro nicht bezahlt hatte.
Da ist außerdem seine 28-jährige Ehefrau: „Nach Tagesspiegel-Informationen wird ihr vorgeworfen, dass sie eine andere Frau mit freizügigen Fotos kompromittiert haben soll. Es geht um Nötigung, Beleidigung und anderes.“ Sollten die Vorwürfe stimmen, haben wir es mit einer potenziell aggressiven Frau zu tun. Diese Umstände müssen in der Einsatzvorbereitung und Planung eigentlich Berücksichtigung finden. Aufgrund der vielen abzuarbeitenden Haftbefehle und des mangelnden Personals ist das jedoch selten der Fall.
Dazu kommt noch die Perspektive der polizeilichen Führungskräfte: Wohnungen sind unter Eigensicherungsgesichtspunkten gefährliche Orte, der psychologische Vorteil liegt bei den Bewohnern, das Gefahrenrestrisiko trotz aller Vorkehrungen ist nicht zu unterschätzen. Außerdem sind bei Einsätzen bei Tatverdächtigen ausländischer Herkunft oft sprachliche Missverständnisse zu erwarten. Die Umsetzung von Haftbefehlen oder Verkehrskontrollen ist aus vielen Gründen sehr gefährlich. Das wäre in der Einsatzplanung zu berücksichtigen. Dagegen steht die Praxis: zu viele Einsätze, zu wenig Personal, noch nie etwas passiert usw.
Das mag alles stimmen, bis die unvorhergesehenen Probleme eintreten. Mussten die Polizisten den Einsatz nur zu zweit und damit ohne Verstärkung ausführen oder wollten sie den Auftrag allein vollziehen? Dieser Umstand ist zu klären. Zur Klarstellung: Der Beamte kann in der Vergangenheit NICHT durch rassistische Vorfälle aufgefallen sein. Wenn das so gewesen wäre, hätten die Vorgesetzten Disziplinarmaßnahmen von Amts wegen einleiten müssen. Es wäre dann auszuschließen, dass ausgerechnet dieser Beamte einen solchen Auftrag erhalten hätte. Jedenfalls in einer ordentlich geführten Dienststelle.
Außerdem kommt die Perspektive der Politik hinzu: Spätestens 2015 wurde Deutschland zu einem Einwanderungsland erklärt. Große Teile der Bevölkerung sind auf diesem Weg nicht mitgenommen worden. Schon der Ansatz einer Gegenrede wird rasch als „rechtsextrem“, „rassistisch“, „völkisch“ oder ähnlich stigmatisiert. Und natürlich gibt es auch tatsächlich neben linkem und radikal islamischem auch Rechtsextremismus und Rassismus in Deutschland.
Nun hat der Polizeibeamte Sätze gesagt, die ihn aus Sicht der Eifrigsten schon zum Rassisten machen; „mein Land“ und „du bis Gast“ genügt, um einen Empörungstsunami auszulösen, der sich in Wahrheit gegen alle Polizisten richtet. Ein Berliner Politiker verstieg sich deshalb zum erneuten Generalverdacht, dass die Berliner Polizei ein Nazi-Problem hätte. Es ist eine Einschüchterungsmaßnahme gegenüber Menschen, die jeden Tag mit den Ergebnissen der Einwanderungspolitik konfrontiert werden.
Das Spiel beginnt mit einem Foul
Die eifrige Berliner Polizeiführung tat sich dabei sogar noch besonders hervor. Sie twitterte:
„Unser #Staatsschutz ermittelt wegen fremdenfeindlicher Beleidigung eines Kollegen gegenüber einer Frau bei einem Einsatz, der sie und ihren Mann betraf. Das Paar erstattete gemeinsam Anzeige bei einem Polizeiabschnitt und zeigte ein Video der Tat.“
Weiter schreibt sie: „Gegen den Kollegen wird strafrechtlich ermittelt, er wurde unmittelbar in den Innendienst versetzt, weitere dienstrechtliche Konsequenzen folgen.“
Gegenüber dem eigenen Kollegen wurde damit die rechtsstaatliche Unschuldsvermutung abgeschafft und der Polizeibeamte somit öffentlich zur moralischen Ächtung freigegeben. Einmal ganz davon abgesehen, dass sich hier das Social-Media-Team anmaßt, beamtenrechtliche Maßnahmen in Arbeitgebermanier zu verkünden. Ein Unding.
Auch ein Funktionär der Gewerkschaft der Polizei mischt dabei mit: „In der Sequenz, die natürlich nicht den kompletten Einsatz abbildet, fallen beleidigende, diskriminierende und ausländerfeindliche Äußerungen, die so nicht gehen und von denen wir uns in aller Deutlichkeit distanzieren.“ Der Berliner Staatssekretär Torsten Akmann senkte den Daumen nach unten und erklärte den Beamten zu einer Persona non grata: „Einen solchen Polizeibeamten wollen wir in Berlin nicht!“
Die Fakten jenseits der Ideologie
Bei der Berliner Polizei haben nicht wenige Kollegen inzwischen innerlich gekündigt. Der Krankenstand ist hoch. Gleiches gilt für Selbsttötungen von Polizisten und zwar deutschlandweit, die deutlich höher als der Durchschnitt der Bevölkerung ausfallen.
Sollte der Beamte infolge der innerdienstlichen „Twitterpolizei“, des medialen und politischen Shitstorms schwer erkranken oder Schlimmeres, wäre das nicht der erste Fall. Wie man einen Berliner Polizeibeamten in den Suizid treiben kann, habe ich in meinem Buch „Mobbing! Ursachen, Schutz und Abhilfe“ umfangreich beschrieben.
Auch Polizisten sind Menschen. Sie haben Familie, Ehepartner und Kinder. Diese werden zweifelsohne in Mitleidenschaft gezogen. Die Scheidungsquote ist entsprechend. Natürlich passiert auch Polizisten in Hochstresslagen ein unüberlegter emotionaler, beleidigender Satz („Halt die Fresse“!), der nicht angebracht ist. Aber ähnliche Formulierungen sollen sogar unter Berufspolitikern vorkommen. Den Beamten anlässlich einer Videosequenz vorschnell zum Fremdenfeind zu erklären, ohne konkrete Ermittlung und Untersuchung, ist unwürdig. Der Dienstherr, also der Berliner Senat, hat die Pflicht, sich im Zuge seiner Obhuts- und Fürsorgepflicht bis zum Ende der Untersuchung vor den Beamten zu stellen und diesen zu schützen. Der schwierige Spagat zur Informationspflicht gegenüber den Medien ist mir dabei bewusst. Diesen Neutralitätsgedanken hätte ich mir auch von der GdP gewünscht. Eine Gewerkschaft hat keine Straftäter indirekt zu verteidigen, sondern den eigenen Kollegen, und wenn sie das schon nicht tut, wenigstens die Ermittlungen abzuwarten.
Das Kainsmal, dass der Beamte nun zu tragen hat, wird ihn bis zu seiner Pensionierung und sogar lebenslang nicht in Ruhe lassen, unabhängig davon, wie die Untersuchungen ausgehen. Denn man kann davon ausgehen, dass über die straf- und disziplinarrechtliche Einstellungsverfügung niemand berichten wird.
Faeser überrascht
Für die eigentliche Überraschung sorgte Bundesinnenministerin Faeser: Sie stellte auf einer Pressekonferenz klar, dass sie an dem Satz „Das ist mein Land und du bist hier Gast und du hast dich an unsere Gesetze zu halten!“ nichts Fremdenfeindliches oder Rassistisches erkennen kann. Im Gegenteil, sie zeigt Verständnis für Beamte auf der Straße, die Kriminalität vorfinden und dabei auch einmal eine klare Sprache verwenden. Auch wenn sie ihre eigene Aussage kurze Zeit später, wohl unter dem Druck einer empörten Peergroup, wieder relativierte.
Der Fall des Berliner Polizisten zeigt: Ein falscher Satz kann auch für Menschen, die sonst nicht im Licht der Öffentlichkeit stehen, persönliche Vernichtung bedeuten. Und selbst die Beurkundung, keinen Fehler im straf- und beamtenrechtlichen Sinne begangen zu haben, kann Gleiches zur Folge haben. Wer soll unter diesen dysfunktionalen und hysterischen Umständen jungen Menschen die Polizei als berufliche Perspektive empfehlen?
Sollten Sie das Gefühl haben, dass Sie Hilfe benötigen, kontaktieren Sie unbedingt die Telefonseelsorge. Unter der kostenfreien Rufnummer 0800-1110111 oder 0800-1110222 bekommen Sie Hilfe von Beratern, die Ihnen Hilfe bei den nächsten Schritten anbieten können. Hilfsangebote gibt es außerdem bei der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention. Im Netz gibt es – Beispielsweise bei der Stiftung Deutsche Depressionshilfe – auch ein Forum, in dem sich Betroffene austauschen können.