Tichys Einblick
Ein Land ohne Fortführungsprognose:

Wie Deutschland heruntergewirtschaftet wird

Die deutsche Zugmaschine lahmt. Aber auch andere Volkswirtschaften in Europa verlieren zusehends an Kraft. Es ist eine reichlich naive Vorstellung, eine hochindustrialisierte Volkswirtschaft abhängig von Sonne, Mist und Wind zu machen. 

IMAGO/Ralph Peters

Willkommen in der Weichwährung. Die Deutschen haben die D-Mark gegen die italienische Lira getauscht. Fairerweise muss man sagen, dass auch die Italiener nichts von der Lira haben, wenn keine D-Mark existiert. Mit anderen Worten: Der Euro war und ist eine Fehlkonstruktion. Da im monolithen System Euro nicht wie im früheren europäischen Währungssystem mit seinen verschiedenen Landeswährungen auf- und abgewertet werden kann, führt das dazu, dass letztlich der Euro sich selbst entwerten muss. Wenn dann noch der ökonomische Motor der Gemeinschaftswährung nicht nur stottert, sondern droht sich festzufressen, dann wird eines nicht allzu fernen Tages auch die Druckerpresse der EZB den Laden nicht mehr am Laufen halten können. 

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„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Am Donnerstag fiel der Euro im Verhältnis zum Dollar auf ein 20-Jahres-Tief. Man konnte im Handel den Euro zwischendurch bei 0,9809 Dollar und bei 0,947 Franken je Euro sehen. Die Dollarparität wird wohl auf lange Zeit eine zunehmend selige Erinnerung an bessere Zeiten sein. Auch das britische Pfund hat den Euro überrundet und der Schweizer Franke ist in Euro mehr als zwölf Prozent wert. Die Entkopplung des Franken vom Euro hatte zwar wirtschaftlich in der Schweiz kurzfristig ein Blutbad zur Folge, erwies sich aber mittelfristig als richtige Entscheidung. Nur Narren und besonders interessierte Euroiker haben den Schritt der Schweizer damals kritisiert. Für EZB und EU-Kommission hätte das ein Wecksignal sein müssen, wenn man denn wirklich Europa und nicht allein der Brüsseler Bürokratie und französischen Banken sowie dem amerikanischen Hochfinanzsektor verpflichtet ist. 

Der Dollar erreicht eine neue Stärke und hat seit 2021 zum Euro ein Viertel an Wert zugelegt. Das verdankt er vor allem zweierlei, der Trump’schen Politik des „America first“, übrigens außen- wie wirtschaftspolitisch, sowie der Schwäche der europäischen Wirtschaft, vor allem des Erlahmens der deutschen Zugmaschine. 

Aber auch andere Volkswirtschaften in Europa verlieren zusehends an Kraft. Grund hierfür ist der Siegeszug des Green Deals, die deutsche Energiewende, die Inflation und die Energiekrise als Resultat der deutschen Energiewende, die im Grunde den Vorgang der Selbstzerstörung der deutschen Wirtschaft nett umschreibt. Es ist eine reichlich naive Vorstellung, eine hochindustrialisierte Volkswirtschaft abhängig von Sonne, Mist und Wind zu machen. 

Wer allerdings glaubt, dass die Energiewende das Werk naiver Träumer ist, der irrt. Die grüne Wirtschaft ist ein Milliardengeschäft. So ist es durchaus kein Zufall, dass der Deutschlandchef des US-Investmentriesen Blackrock, Dirk Schmitz, im Interview auf die Frage der Welt: „Sie sagen, Sie handeln im Auftrag Ihrer Kunden. Aber wer hat Sie beauftragt, als Investor die grüne Transformation voranzutreiben? Wirklich der Kunde? Oder nicht doch eher der Zeitgeist?“ antwortet: „Und dass der Klimawandel ein Risiko für den Wert eines Unternehmens darstellen kann, werden die wenigsten bestreiten. Wenn man das tut, dann kann man, glaube ich, nicht in ein nicht nachhaltiges Geschäftsmodell investieren.“ 

Seit einiger Zeit flutet Blackrock Twitter mit Werbung, in der sich der Konzern als Investor für alles Gute und Nachhaltige in der Welt darstellt in der platten Ästhetik neuer Gläubigkeit. Schließlich setzt Blackrock auf eine neue Kundschaft, die „jünger, weiblicher und nachhaltig, und das häufig in Kombination“ ist. Indirekt bestätigt er, dass die Nachhaltigkeitsesoterik ein Milliardenmarkt ist, denn: „Die Nachfrage unserer Kunden nach nachhaltigen Investments ist enorm gestiegen. Mehr als drei Viertel der Produkte, die wir neu auflegen, verfolgen nachhaltige Anlagestrategien.“ Und da diese jüngere, weibliche und an Nachhaltigkeit interessierte Kundschaft, „und das häufig in Kombination“ laut Schmitz nicht nur selbstbewusst, das ist sie sogar sehr, sondern auch „gut informiert“ ist, nutzt sie auch die Blackrock-Anlageprodukte. Gut informiert oder gut indoktriniert? 

Teufelskreis der Inflation
Noch ein „Sondervermögen“: Habeck ruft nach neuen Superschulden
Die Grundlage dieses Geschäfts, der grünen Blase bildet ein überraschendes Bündnis, ein Bündnis zwischen Wall Street und Sonnenblume, das die amerikanische Marxistin Nancy Fraser präzise so beschrieb: „In jedem Fall verbündeten sich die hegemonialen Strömungen emanzipatorischer Bewegungen (wie Feminismus, Antirassismus, Multikulturalismus und LGBTQ-Rechte) … mit neoliberalen Kräften, die darauf abzielten, die kapitalistische Wirtschaft zu finanzialisieren, insbesondere die dynamischsten, zukunftsorientierten und globalisierten Kapitalsektoren (wie Hollywood, IT und die Finanz) … In diesem Fall benutzten die Sektoren des ›kognitiven Kapitalismus‹ Ideale wie Vielfalt und Ermächtigung, um eine Politik aufzuhübschen, die die Industrieproduktion und das einstige Leben der Mittelschicht verwüstete … sie benutzte das Charisma ihrer progressiven Bündnispartner, um eine Fassade der Emanzipation über ihrem eigenen regressiven Projekt der massiven Umverteilung nach oben auszubreiten.“

Wie dieses Bündnis funktioniert hat einer der Promoteren des Bündnisses, der Gründer des WEF Klaus Schwab, so erläutert: „Eine Gruppe Grüner Aktivisten könnte vor einem Kohlekraftwerk demonstrieren, um eine strikte Durchsetzung der Umweltbestimmungen zu fordern, während eine Gruppe von Investoren im Sitzungssaal dasselbe tut, indem sie dem Werk den Zugang zu Kapital entzieht.“ Kommt Ihnen das bekannt vor? Es ist exakt das, was wir beispielsweise mit der Kernenergie, aber auch mit der Kohleverstromung erleben. Die Politik dieses Bündnisses bewirkt „eine Verschlechterung der Lebensverhältnisse aller Arbeitnehmer, besonders aber der Beschäftigten in der industriellen Produktion“, konstatiert Fraser. Dieses Bündnis setzt „Emanzipation mit dem gesellschaftlichen Aufstieg der ›Begabten‹ unter den Frauen, Minderheiten und Homosexuellen gleich und wollen die The-winner-takes-it-all-Hierarchie nicht mehr abschaffen.“

In dem Spielfilm „Wall Street. Geld schläft nicht“ von Oliver Stone aus dem Jahre 2010, der die Weltfinanzkrise von 2008 und die Insolvenz von Lehman Brothers, die die Bank am 15. September 2008 gemäß Chapter 11 des US-Insolvenzrechts anmeldete, fiktional erzählte, sagte die „Musterheuschrecke“ Gordon Gecko am Ende des Films, dass Grün die neue Blase sei, in die man investieren müsse. So ist es tatsächlich geschehen. Wie alle anderen wird auch diese Blase platzen – und die Klugen und Gerissenen werden rechtzeitig die Blase mit viel, sehr viel Geld verlassen, während den anderen diese Blase um die Ohren fliegen wird. Im Zentrum dieser Blase stehen die sogenannten Erneuerbaren Energien, Lindners „Freiheitsenergien“. Der Stresstest, der die Blase womöglich zum Platzen bringt, ist der Krieg in der Ukraine, die Energiekrise, in die Europa versinkt. Da aber Energie der Motor der Wirtschaft ist, wird die Energiekrise zur Wirtschaftskrise, zur Rezession. 

5 nach 12
Frieren mit Habeck?
Ein Gutachten des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität Köln, das die Branchenorganisation „Zukunft Gas“ in Auftrag gegeben hat, kommt zu dem Schluss, dass Europas Gas-Bedarf nur für kurze Zeit von Norwegen, Aserbaidschan und Algerien gedeckt werden kann. Fällt das russische Erdgas komplett aus, dann hängt die Energieversorgung Europas vollständig von den Entwicklungen auf dem Weltmarkt für LNG ab. Norwegen kann seine Förderung noch bis 2028 steigern, doch nicht in ausreichendem Maße. Die Studie kommt zu dem Schluss: „Die Substitution der Gasimporte aus Russland von 147 Milliarden Kubikmetern könnte zu maximal 25 Prozent durch Erhöhungen der Liefermengen aus Norwegen und Aserbaidschan gelingen“.

Außerdem werden „Importe aus den nordafrikanischen Exportländern … voraussichtlich abnehmen, weil im Zuge des zu erwartenden Wirtschaftswachstums die heimische Nachfrage dort steigen wird.“ Derweil könnte Russland 60 Prozent seiner Gasexporte nach China umleiten. „Dadurch würde das russische Gasgeschäft vollständig von Europa nach Asien verschoben und China der wichtigste Handelspartner.“ Im Jahr 2021 wurde die Pipeline „Power of Siberia“, nicht einmal zu 20 Prozent genutzt. In der Studie wurde der geplante Bau einer weiteren Pipeline (Power of Siberia 2) noch nicht berücksichtigt. 

Eine stabile Versorgung Europas mit Gas kann laut Studie nur die USA sichern – damit würde Europa die angestrebte Diversifizierung seiner Energieimporte nicht realisieren können, sondern würde von den USA vollständig abhängig. Das ist sicher eine Ursache für den Sinkflug des Euros und den Gipfelsturm des Dollars. 

Allerdings ist es fraglich, ob die USA auch in der notwendigen Größenordnung liefern werden, denn: „Die Realisierung von Verflüssigungsprojekten in den USA ist eine zentrale Voraussetzung für mehr LNG-Importe aus den USA. Da die Erdgasnachfrage in Europa vor dem Hintergrund von Klimaschutzanstrengungen und Emissionszielen mittel- bis langfristig abnehmen sollte, bestehen jedoch erhebliche Unsicherheiten, ob diese Investitionen tatsächlich realisiert werden: „Der Bau von Verflüssigungskapazitäten ist aufwendig und teuer. Investoren warten daher üblicherweise auf längerfristige Zusicherungen“. Auch hier zerstört Nachhaltigkeitsdenken die Gegenwart und Zukunft Europas nachhaltig. 

Europa und Deutschland allzumal befinden sich auf dem absteigenden Ast. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck beschrieb die wirtschaftliche Lage im Deutschland so, dass eine hohe Inflation auf eine Rezession trifft. Bei seinem Auftritt vor dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) sagte er: „Nach den Kalkulationen, die man so anstellen kann, verliert die deutsche Volkswirtschaft durch Einkäufe von Energie aus anderen Quellen in diesem Jahr gute 60 Milliarden Euro und im nächsten Jahr könnten es knapp 100 Milliarden Euro werden.“ Er hat vergessen zu erwähnen, dass diese Situation Ergebnis seiner Politik ist.

Mariana Mazzucato
Die Frau, deren Wirtschaftsvorstellungen Robert Habeck umsetzen will
Habeck sagt auch: „Meine große Sorge ist, dass die unternehmerische Seite jetzt zurückhaltend wird, einfach weil sie nicht mehr investieren kann“, und: „Das Wasser ist so rau, die See ist so hoch, dass ich es verstehe, wenn man sagt: Wir müssen jetzt das Geld zusammenhalten.“ Deshalb, so hat er es bei der Ökonomiemissionarin Mazzucato gelernt, muss der Staat mit großen Investments vorangehen, um die Investments des privaten Bereichs zu stimulieren – blöd nur, wenn die großen Investments des Staates dem privaten Bereich, aus dem die Gelder des Staates via Steuern kommen, kein Geld mehr für die großen Investments aus dem privaten Bereich mehr übrig lassen. 

Auf der einen Seite schätzt Habeck ein, dass dieses Geld „in den verschiedenen Branchen, in der Substanz der deutschen Volkswirtschaft“ fehlen würde, auf der anderen Seite bläst er die Backen auf und verkündet: „Wenn wir jetzt die richtigen Maßnahmen ergreifen, sollte es meiner Meinung nach nicht am Geld scheitern, es wäre die falsche politische Entscheidung.“ Habeck’sche Wirtschaftslogik geht so: Auf der einen Seite fehlt es an Geld, auf der anderen Seite sollte es am Geld nicht mangeln. Klar, das Geld, an dem es nicht mangeln sollte, ist das Geld der Bürger, das Steuer-Geld, das Gas-Umlage-Geld. Beim Bürger ist für Politiker wie Habeck immer etwas zu holen, beim Bürger und über die Verschuldung – „Es ist ja nur Geld“ (Habeck) – bei seinen Kindern und Kindeskindern. 

Robert Habeck gehört einer zutiefst egoistischen Politikergeneration an, die in der ersten Hälfte ihres Lebens von ihren Eltern lebte und in der zweiten Hälfte sich von ihren Kindern und Enkeln aushalten lässt, für die sich Nachhaltigkeit nur als Schulden buchstabiert, weil sie von der Mission her Denken, von der Mission Ego. Jetzt nämlich will auch Robert Habeck sein 100-Milliarden-Sondervermögen, wie es irgendwie für die Bundeswehr zur Verfügung gestellt werden soll, wie es auch irgendwie die Klimakatastrophen-Wohlstandskids der Bionade-Bourgeoisie haben wollen, jetzt will er den 100-Milliarden-Euro-Jackpot, um die großen Habeck-Investitionen zu tätigen und die Transformation der Gesellschaft voranzutreiben. 

Doch deutlich warnt BDI-Präsident Siegfried Russwurm auf der Veranstaltung zu Habeck gewandt: „Wir müssen uns in den Unternehmen, in den Branchen und für Deutschland in Summe schon überlegen: Was ist denn die Fortführungsprognose dieses Industrielandes, dieses Exportlandes?“ Oder gibt es für Deutschland als Industrieland keine Fortführungsprognose – wird es aufhören zu arbeiten? Markus Steilemann, der Chef des Kunststoffherstellers Covestro, nennt das Problem beim Namen: „Wir müssen jetzt einfach mal durch diese Ideologiesoße durch, wir müssen jetzt endlich mal wieder zurück zu einer gewissen Ratio.“

Derweil zerfällt die Wirtschaft – und Habeck hat immer noch nicht verstanden, dass er nicht Teil der Lösung, sondern Teil, nein, Treiber des Problems ist. Mit seinem Rücktritt würde er Deutschland spürbar entlasten. 

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