Tichys Einblick
Ein Loblied auf die Großelterngeneration

Mit der Queen hat die Welt auch eine große „Grandmother“ verloren

Die Queen war eine Frau, die ihre Gebrochenheit nicht geleugnet hat. Es war nicht das Vertrauen auf ihr mehr oder weniger gelungenes Leben, das sie aufs Schild hob. Es war letztlich das Vertrauen auf Gott, in dem sie ihre Gebrochenheit aufgehoben wusste.

IMAGO/AAP

Bei meinen eigenen Kindern durfte ich miterleben, wie wertvoll meine Mutter für ihre Enkel war. Obwohl meine Mutter gesundheitlich schon schwer angeschlagen war und obgleich sie technisch und wissensmäßig überhaupt nicht mehr in die Jetztzeit passte, bereicherte sie ihre Angehörigen auf einer tiefen menschlichen Ebene. Bei der englischen Queen kommt mir Ähnliches in den Sinn; sie war so etwas wie eine liebenswürdige „Grandmother“, an deren Beerdigung 4 Milliarden (!) Menschen Anteil genommen haben, weil Großeltern ein ganz besonderes Geschenk sein können.

Erstens: Großeltern können eine wohltuende UNAUFGEREGTHEIT ausstrahlen

Die Queen hatte eine Unaufgeregtheit, wie sie nur ältere Menschen haben können, die gesellschaftlich und privat schon manches Leid durchmachen mussten. Und die den Tod vor Augen haben, was manch andere Sorgen eine gehörige Nummer kleiner macht. Etwa bei den Brexit-Diskussionen hat sich Queen Elisabeth unaufgeregt zurückgehalten und sich nicht in die gesellschaftlichen Grabenkämpfe hineinziehen lassen.

Auch bei ihrer Ansprache zum Covid-Lockdown konnte ich ihre Rede ertragen, obwohl ich selber der Covid-Panikdemie mit all ihren überzogenen Maßnahmen kritisch gegenüberstehe. Die Lockdown-Rede der alten Queen war mehr von Dank und Zuversicht getragen, als von dem erhobenen Zeigefinger eines missionarischen Lockdown-Politikers, der seine Maßnahmen nun angestrengt vor seinem (Ab-)Wahlvolk rechtfertigen muss. Eine repräsentative Königin hat es da leichter. Sie sitzt in der zweiten Reihe und braucht keinerlei Wahl zu fürchten. Das mag der Rückenwind ihres Amtes gewesen sein, durch den sie alles etwas gelassener betrachten konnte.

Zweitens: Großeltern können den ZUSAMMENHALT stärken

Wie oft habe ich diesen Satz bei Beerdigungsgesprächen gehört: „Ich weiß gar nicht, wie das mit meiner Herkunftsfamilie weitergehen soll, wo jetzt Oma tot ist, die uns doch immer wieder zusammengebracht hat.“ Auch Queen Elisabeth hatte starke integrative Kraft. Sie hat es sogar geschafft, ihre eigene hochdynamische Familie einigermaßen zusammenzuhalten, die oft genug kurz davor stand, völlig auseinander zu fliegen.

Ja, ganz Großbritannien hatte in der Queen eine „Grandma“, die immer wieder geschickt darin war, bei allem Spaltenden und Trennenden ein vereinigendes Drittes zu sein oder auf ein vereinigendes Drittes hinzuweisen. Bezeichnend an dieser Stelle finde ich ihr Selbstverständnis als Oberhaupt der anglikanischen Kirche: „Die Aufgabe der Kirche von England ist nicht, den anglikanischen Glauben zu verteidigen, um andere Religionen auszuschließen. Stattdessen hat die Kirche die Pflicht, die freie Religionsausübung aller Glaubensgemeinschaften in diesem Land zu schützen.“

Der anglikanischen Kirche mag diese sehr staatsmännische und über den einzelnen Konfessionen und Religionen schwebende Einstellung nicht geholfen haben: Einst hatte die „Church of England“ das religiöse Leben im Land dominiert; doch während der Amtszeit von Queen Elisabeth ist die anglikanische Kirche in England in ihren Mitgliederzahlen geradezu impoldiert; nur noch 2 Prozent der jungen Engländer sehen sich als anglikanisch, während sich andere Konfessionen stabiler gehalten haben.

Aber Queen Elisabeth war auch als Oberhaupt der Anglikaner nicht eine konfessionelle Aktivistin, sondern voll und ganz Königin aller Briten, ja, des ganzen Commonwealth. Diesen Dienst an dem staatlichen Zusammenhalt stellte sie über die eigene anglikanische Verwurzelung; darin sah sie ihre Pflicht als Königin.

Drittens: Großeltern bringen uns mit unseren WURZELN in Kontakt

Wo wir herkommen, das können wir mühsam beim Psychotherapeuten erarbeiten; oder wir schauen einfach auf unsere Großeltern; dort bekommen wir viele Erkenntnisse umsonst. Was haben meine Kinder mit offenen Ohren und Mund zugehört, wenn meine Mutter aus früheren Zeiten erzählt hat. Sicherlich war da manches fremd. Aber gerade das war das Faszinierende an „Oma“.

Für viele Gegenwärtigen mag manches an der Queen fremd gewesen sein: Wenn sie von „Pflicht“ und „Pflichterfüllung“ sprach, wenn sie Disziplin und Selbstbeherrschung einforderte, wenn sie darüber dankbar war, wenn Menschen für sie beteten. Auch ihre Beerdigung mit dieser ausgefeilten traditionellen Trauerzeremonie war für viele Menschen fremd. Doch dabei wurde faszinierend deutlich: Großbritannien hat Wurzeln, die bis in eine andere Zeit hineinreichen. Eine Gesellschaft, die nur in alternativloser Gegenwärtigkeit aufgeht, kappt die eigenen Wurzeln und wird sich selber fremd.

Diese Welt braucht „Grandmas“ und „Grandpas“

Nicht, dass ich die Queen oder die Großelterngeneration verherrlichen möchte. Die älteren Generationen sind keinesfalls jenseits von Gut und Böse. Nein, sie sind mit ihrem Leben an manchen Stellen tief verstrickt in die Fehleinschätzungen und Irrtümer ihrer Zeit und manch falscher persönlicher Weichenstellung.

Die Queen ist obendrein in die quasi-schizophrene Konstruktion ihres Amtes verwoben: Sie soll die erste Dienerin des Landes sein, und doch ist ihr Königtum ein Amt voller Privilegien. Doch vielleicht ist gerade auch diese menschlich-allzu-menschliche Gebrochenheit eine großelterliche Bereicherung für die nachfolgenden Generationen; denn wir dürfen an den Großeltern sehen und lernen, was auch einmal in unserem Leben zentral wichtig sein wird: Es gibt eine Verbindung, eine Zuneigung, ja eine Liebe, die größer ist als die Gebrochenheiten unseres Lebens und unserer biographischen und gesellschaftlichen Ambivalenzen.

Die Queen war eine Frau, die diese letzte Gebrochenheit nicht geleugnet hat. Es war nicht das Vertrauen auf ihr mehr oder weniger gelungenes Leben, das sie aufs Schild hob. Es war letztlich das Vertrauen auf Gott, in dem sie ihre Gebrochenheit aufgehoben wusste. „Ich war – und bin es nach wie vor – sehr dankbar für Gottes unerschütterliche Liebe. Ich habe seine Vergebung wirklich erleben dürfen.“

Fazit: Diese Welt, die immer hektischer, aktivistischer, zerrissener und wurzelloser wird, braucht „Grandmas“ und „Grandpas“. Genau das mag den Weg für die Amtszeit von König Charles weisen. Sollte er sein Amt als einseitiger politischer Aktivist auszufüllen versuchen – dann macht er sich selber überflüssig. Das ist nicht sein Job; dafür sind die Parlamente da. Aber vielleicht entdeckt der König mit seinen 73 Jahren den Großvater in sich. Dann kann er unaufgeregt und ein bisschen befremdlich wurzelverbunden einer Gesellschaft beistehen, in schwierigen Zeiten einen übergreifenden Zusammenhalt zu suchen.

Anzeige
Die mobile Version verlassen