Tichys Einblick
Ulrike Guérot

NDR schließt politisch missliebige Autorin aus Jury aus

Der NDR hat die Autorin Ulrike Guérot aus der Jury des Sachbuchpreises geworfen. Guérot hatte sich abweichend von Mehrheitsmeinungen zum Ukraine-Krieg und zur deutschen Corona-Politik geäußert. Der Sender bestreitet, nur auf Personal zu setzen, das auf Linie ist.

IMAGO/Hartenfelser

Ulrike Guérot selbst hat öffentlich gemacht, dass der NDR sie aus der Jury des Sachbuchpreises geworfen hat. In den sozialen Netzwerken. Dort hat die Autorin und Wissenschaftlerin aus dem Schreiben des NDR zitiert. Das liest sich so, als ob es ein Mitarbeiter des Ministeriums für Wahrheit verfasst hätte: „Unsere Juryarbeit basiert auf Werten der wissenschaftlichen Gemeinschaft und denen des NDR-Sachbuchpreises. Die Jurymitglieder haben sich eindeutig positioniert und sehen Ihre öffentlichen Äußerungen deutlich von unseren Werten entfernt.“

Aus diesem Sprachblock müssen die Inhalte erst einmal freigeschlagen werden: Also der NDR hat Guérot ausgeladen, weil sich andere Jury-Mitglieder über sie beschwert hätten. Scheinbar anonym. Und das, weil die „Werte der wissenschaftlichen Gemeinschaft“ nicht mit Guérot vereinbar seien. Das erfordert Nachfragen. TE stellt sie. Zum Beispiel, ob es guter Stil sei, solche Vorwürfe anonym zu lancieren. Aber vor allem, warum denn die „Werte der wissenschaftlichen Gemeinschaft (nicht) teilen“ etwas anderes sei als „eine andere Meinung haben“?

Zuerst versucht der NDR, die Sache abzutun – schickt als Antwort die Pressemitteilung mit den Namen der Jury-Mitglieder. TE hakt nach. Was bitte ist der Unterschied zwischen „Werte der wissenschaftlichen Gemeinschaft (nicht) teilen“ und „eine andere Meinung haben“?

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Zwar ist der Skandal um den Rauswurf einer missliebigen Autorin schon eine Woche alt, doch der NDR braucht ein Wochenende und einen vollen Arbeitstag für die Antwort. Dann kommt sie. Immer noch schwammig. Doch allmählich wird der Sender konkreter: „Ausschlaggebend für diese Entscheidung sind keineswegs Einschätzungen und Analysen oder persönliche inhaltliche Auffassungen, die Frau Prof. Ulrike Guérot im öffentlichen gesellschaftlichen Diskurs zu verschiedenen Themen beiträgt“, heißt es in der Antwort. Ihre Meinungen hätten ja „in zahlreichen Medien ausführlich Platz – auch im Programm der ARD“.

Doch nicht in der Jury des NDR-Sachbuchpreises: „Im Gegensatz zum Programm des NDR ist die Jury des NDR-Sachbuchpreises kein passender Ort für öffentlichen gesellschaftlichen Streit.“ Die Jury-Vorsitzenden müssten den Raum für Diskursfähigkeit schaffen. Diskutiert werden kann demnach wohl nur, wenn alle eine Meinung haben. Schöner hätte es ein Ministerium für Wahrheit auch nicht ausdrücken können. Zu der „Diskursfähigkeit“ im Sinne des NDR gehörten wissenschaftliche Tugenden wie „Sorgfalt, Wahrheit und Wahrhaftigkeit, die klare Abgrenzung zwischen Tatsache und Behauptung, zwischen These und Beleg“. Jury-Mitglieder hätten Zweifel angemeldet, dass Guérot diese Tugenden immer gezeigt hätte. Wer genau, lässt der NDR offen.

Damit spielt der NDR auf einen Vorfall aus dem Jahr 2018 an. Seinerzeit musste Guérot eingestehen, dass bei einer Zusammenarbeit mit Robert Menasse Zitate falsch übernommen und teilweise sogar erfunden gewesen seien. Das ist in der wissenschaftlichen Welt in der Tat ein schwerer Vorwurf. Nur: Der stammt aus dem Jahr 2018. Seinerzeit hat Guérot der Vorfall kaum geschadet. So ist sie danach noch zur Professorin für Europapolitik an der Universität Bonn berufen worden. Und – wenn auch weniger bedeutend – zur Jurorin des NDR-Sachbuchpreises.

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Was sich geändert hat, sind nicht Guérots wissenschaftliche Arbeiten. Sondern ihre öffentlich vertretenen Meinungen. Als Guérot dafür bekannt war, für ein geeintes Europa einzutreten, das die Nationalstaaten abschafft, war sie dem NDR recht. Da wurden erfundene Zitate offenbar so ähnlich behandelt wie NDR-Aufträge an die Töchter von NDR-Führungskräftinnen: Solange keiner darüber redet, ist es auch kein Skandal. Die Vorwürfe, dass Guérot wissenschaftlich gepatzt hätte, holt der NDR jetzt raus, nachdem die Wissenschaftlerin von der Sender-Linie abgewichen ist: die Corona-Politik der Bundesregierung in Frage gestellt hat und sich in der Kriegsfrage für eine Einigung der USA mit Russland ausgesprochen hat – über den Kopf der Ukraine hinweg.

Den Mitgliedern der Jury hat der NDR einen Bärendienst erwiesen. Denn mit der Aussage, einer oder mehrere hätten gegen Guérot gemöppert, setzt sie alle dem Verdacht aus, es gewesen sein zu können. In der Jury sitzen nach Angaben des NDR: die Medizinerin und Virologin Professor Sandra Ciesek, Moderatorin und Autorin Ninia LaGrande sowie der geschäftsführende Leiter des „Centre for Ethics and Law in the Life Sciences“, Professor Nils Hoppe. Den Vorsitz hat NDR-Programmdirektorin Katja Marx. Zudem sind dabei: der Print-Journalist Hendrik Brandt, der NDR-Mann Adrian Feuerbacher, die Rechtswissenschaftlerin Professor Marie-Luisa Frick, die NDR-Führungskraft Andrea Lütke und die Literaturbloggerin Petra Reich.

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