König Charles III. steigt aus der königlichen Limousine. Es ist der Moment, da er mit seiner Gemahlin, Queen consort Camilla, erstmals als herrschender Monarch durch das Haupttor des Buckingham-Palastes schreiten soll, fortan sein Amtssitz. „God bless the King!”, rufen die wartenden Menschen. Spontan geht er hin, schüttelt Hände, bedankt sich. Eine Frau küsst ihm die Hand. Eine andere die Wange. Sie zögert dabei, aber jemand aus der Menge ermutigt sie: „Kiss him!” Charles schreitet händeschüttelnd weiter, sieht sich dann die vielen Blumen an am Zaun des Palastes, mit Dankesbotschaften der Briten an ihre verstorbene Königin. Seine Mutter.
Vor lauter Ergriffenheit findet er den richtigen Eingang nicht. Das Haupttor hat er hinter sich gelassen. Helfer weisen ihn behutsam in die richtige Richtung. Es war ein Moment an diesem ersten Tag seiner Herrschaft, an dem spürbar wurde, was Charles ausmacht: Er ist ein herzensguter, liebenswerter Mensch. Wie er spricht, wie er einen ansieht – es ist schwer, ihn nicht zu mögen. Als er am Freitag seine erste, kurze Ansprache als König hielt, war echtes Gefühl in seinem Blick (obwohl es nur die Kamera war, in die er blickte). Echter Dank, echte Trauer, echte Liebe für sein Volk. Die Briten sahen und verstanden es. Die Medien auch. Der neue König ist ein Mensch wie sie.
Charles reist fast jedes Jahr nach Siebenbürgen. Meist besucht er dann auch meinen Bruder, Tibor Kálnoky. Diesmal war ich auch zugegen. Natürlich war jeder der Anwesenden darauf erpicht, ein paar Worte mit dem Thronfolger zu wechseln. Am besten schien es ihm aber mit meiner Mutter zu gefallen, gut gelaunt plauderten sie über dies und das.
An diesem Nachmittag in Miklósvár wurde ein Theaterstück zu Pferde aufgeführt für Charles und seine Entourage, von örtlichen Roma-Kindern, im Garten des Schlosses. (Das Schloss gehörte einst unserer Familie und ist jetzt ein Museum). Die Frau meines Bruders, Anna, hatte es inszeniert, und hatte spontan Charles’ Sicherheitschef in das Stück hineingeschrieben. Er genoss seine Rolle sichtlich. „Warum hat der Zigeuner des Bauern Pferd geklaut?”, lautete der nach westlichen Standards nicht ganz politisch korrekte Titel. Aber bei uns in Siebenbürgen nennen sich die meisten Roma selbst so, mit Stolz. Die Antwort – nach vielen Saltos, Galoppeinlagen und drolligen Komplikationen – lautete: „Weil er Lust hatte zu reiten”.
Am Ende sprangen die Kinder von den Pferden und rannten trillernd auf die königlichen Gäste zu, die das Geschehen von ihren Gartenstühlen aus beobachteten, packten sie bei den Händen und zogen sie aufs Gras um zu tanzen. Und so nahm der Mann, der seit Freitag König Charles III. ist, seinen Platz ein in einem traditionellen siebenbürgischen Kreistanz. Da halten alle einander an den Händen und bewegen sich in Schrittmustern, die einfach aussehen, aber gar nicht so einfach sind. Das Theaterstück war übrigens Teil eines karitativen Projekts zur Förderung der Roma.
War Charles überrascht? Hatte man ihm gesagt, was ihn erwartete? Das fragte ich ihn fünf Jahre später, als ich ihm im vergangenen Juni erneut in Miklosvár begegnete. „Oh, daran erinnern Sie sich?”, schmunzelte er. Nein, er sei nicht gewarnt worden. „Und es passiert mir immer wieder. Gerade gestern gab es eine Volkstanz-Vorstellung und am Ende haben sie wieder dasselbe mit mir gemacht. Mit 73 wird es allmählich zur Herausforderung.”
Er ist ein umsichtiger, reservierter Mensch, auch das merkt man rasch. Aber aus dieser natürlichen Reserve heraus ist er außerordentlich aufmerksam, offen für und neugierig auf andere. Diese Zugänglichkeit macht ihn zu einem idealen Nachfolger seiner Mutter. Denn Elizabeth II. modernisierte die Monarchie, indem sie sich als Mensch zeigte, unter Menschen ging, zu ihnen sprach – ihnen zuweilen aus dem Herzen sprach. Etwa, als sie, damals 14-jährig, in den dunkelsten Tagen des Zweiten Weltkrieges sagte: „Am Ende wird alles gut sein”.
Was Charles an Siebenbürgen so mag, ist ein Gefühl der Beständigkeit. Es sind die Menschen und die Natur, die es ihm angetan haben. „Es gibt hier ein Gefühl Jahrhunderte alter Kontinuität”, sagte er mir im Juni. „Ein Kreislauf der Tugend, wo Mensch und Natur im Einklang sind.” Diese Liebe zum Fortbestand der Schöpfung macht ihn im schönsten Sinne zu einem konservativen Menschen. Und Kontinuität ist nach den 70 Jahren der elisabethanischen Epoche genau das, was die Monarchie braucht.
Es gibt Unterschiede. Elizabeth II. wird auch deswegen so verehrt, weil sie ihre privaten Wünsche immer ihrer Pflicht als Königin unterordnete. In einer berühmten Ansprache gab sie den Briten an ihrem 21. Geburtstag dieses Versprechen: „Ich werde mein Leben, möge es kurz oder lang sein, dem Dienste an Euch widmen.” So wurde sie zum Ruhepunkt, an dem die zentrifugalen Kräfte der Moderne abprallten. In einer Welt, in der die Ehen von drei ihrer Kinder scheiterten, vermochte sie die Familie so dennoch zusammenzuhalten.
In seiner ersten Ansprache als König am Freitag wiederholte Charles dieses Versprechen. Aber in seinem Leben hat er nicht immer vermocht, seine privaten Wünsche seinen Pflichten unterzuordnen. Camilla, seine heute Gemahlin, war einst seine Geliebte, als er noch mit Prinzessin Diana verheiratet war. Es ist ein Grund, warum die Medien ihm oft kritisch gegenüberstanden. Aber wenn er Glück hat, werden die Briten nun entscheiden, dass all das vergangen ist. Letztlich sind die Verhältnisse nun geordnet.
Er wird auf vieles verzichten müssen. Wohl auch auf seine Besuche in Siebenbürgen. Er sagte es in seiner Rede: „Mein Leben wird sich ändern”. Viele Anliegen, die ihm lieb und wichtig sind, wird er aufgeben müssen. Das ist ein hoher Preis. Ich hatte im Juni das Gefühl, dass unsere kleinen Dörfer in Siebenbürgen ein Ort sind, an dem er sich wirklich zu Hause fühlt, wo er am ehesten er selbst sein kann.
Wie wir durchs Dorf spazierten, standen keine Menschenmengen am Wegesrand, niemand winkte oder rief ihm zu, niemand fotografierte. Die Menschen hier sehen ihn als einen, der dorthin gehört. Ruhig und unaufgeregt grüßen sie ihn mit „Jó napot kivánok” (ungarisch für „Guten Tag”) genau so, wie sie es einander sagen. Und er grüßt zurück.
Der König besitzt ein Häuschen im winzigen Weiler Zalánpatak. Da wohnt er, wenn er in Siebenbürgen ist. Als wir uns im Juni unterhielten, hatte er schlecht geschlafen. „Da muss ein Bär in der Nähe gewesen sein gestern Nacht”, sagte er. „Die Hunde wollten einfach nicht aufhören zu bellen.” Die einfachen Dinge des Lebens. Er wird sie vermissen.
Ex-Premier Boris Johnson hat Elizabeth II. „Elizabeth die Große” genannt. Ihr Lebenswerk ist so monumental, dass Charles’ daneben vielleicht bescheidener ausfallen wird. Aber für mich ist er schon jetzt Charles, der König des Volkes.