Es ist keine Überraschung und doch ein Schock gewesen: Die Queen ist tot, lang lebe der König. Das Ende einer Ära und eine Zeitenwende in dunklere Zeiten macht auch vor so Alltäglichem wie dem Sendeprogramm des ZDF nicht halt. Wer gestern um 22:15 Uhr einschaltete, begegnete dort nicht Illner, sondern sah Elizabeth II. Für ein Sonderprogramm war die Runde auf 23 Uhr verschoben. Diese knappe Stunde war dem zweifellos eindrucksvollem Leben einer ebenso eindrucksvollen Frau gewidmet.
Nicht nur das Vereinigte Königreich trauert um seine Queen. Auch in Deutschland geht in den Herzen vieler etwas zu Bruch. Niemand will sich so recht damit zufrieden geben, dass Prinz Charles mit seiner … hm … Camilla nun ihr Erbe antritt. Gut, nach 70 Jahren, mag man sich schon mal an etwas gewöhnen – doch trotzdem scheint diese Abneigung gegen den neuen König noch tiefer zu gehen. Denn mit dem Tod von Elizabeth II. müssen wir uns alle eingestehen, dass nun wirklich eine neue Zeit beginnt. Und dass nichts davor bewahrt ist, unterzugehen.
Ironischerweise war die Queen als Monarchin wie menschgewordene Demokratie, weil sie verkörpert hat, worum es dabei eigentlich geht: das leidenschaftliche Dienen für das Volk, für das Vaterland. Blickt man nach Deutschland, spürt man erst, wie sehr das bei uns fehlt. Die Queen entstammte aus einer Zeit von Radioansprachen, heute werden bei uns ernste politische Entscheidungen mitten in der Nacht in Gesetze zu ganz anderen Themen gemogelt. Keiner hält sich mehr an Protokolle, nichts ist mehr heilig – weder der Bundestag noch das Grundgesetz. Niemand hält es für nötig, mit seinen Aufgaben zu wachsen, sondern man schrumpft stattdessen die Verantwortung auf sich herab.
„Probleme werden durch gedankenlose Menschen verursacht, die zeitlose Ideale achtlos wegwerfen. Moral wird bedeutungslos, Ehrlichkeit wird als Dummheit gewertet. Wir brauchen eine besondere Art von Mut: wahr, ehrlich“, sagte Königin Elizabeth einst in einer Fernsehansprache 1957. Heute sehen wir, wie recht sie damit hatte. Nur Phrasen, um dann pünktlich nach Hause zu gehen. Im Schatten dieses weltbewegenden tragischen Ereignisses nur wenige Stunden zuvor wird mir erst klar, was für eine antriebslose Veranstaltung Deutschland wirklich ist. Es wäre vielleicht besser gewesen, Illner gestern Abend gar nicht mehr auszustrahlen. Denn im Anschluss an Queen Elizabeth diese trostlose Runde zu senden, macht den üblichen Missmut, den diese Sendung mit sich bringt, nur noch viel deutlicher und offensichtlicher als sonst.
„Energie, Preise, Jobs – rettet uns das Rettungspaket?“, war die Leitfrage der gestrigen Sendung. In dieser Runde anwesend: Hubertus Heil, der SPD-Bundesminister für Arbeit und Soziales, Jens Spahn, stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Melanie Amann, Mitglied der Chefredaktion beim Spiegel, Hermann-Josef Tenhagen, Chefredakteur von „Finanztip“, Verene Bentele, Präsidentin des Sozialverbandes des VdK, und Karen Pittel, Leiterin des Ifo-Zentrums für Energie, Klima und Ressourcen. Dass keiner von den Anwesenden eine so anmutige und ehrenvolle Haltung aufweist, wie die Queen sie bewiesen hat, brauche ich wohl nicht zu erwähnen. Es mag lächerlich klingen, das überhaupt in ein Verhältnis setzten zu wollen, doch das beweist nur, wie lange es in Deutschland her ist, dass wir an die Wurzeln und Bedeutung unserer Demokratie und unseres Rechtstaates erinnert wurden.
„Aber viele wollen das auch gar nicht, sondern wollen lieber von dem leben, was sie sich verdient oder sich an Rente erarbeitet haben“, schildert Verena Bentele. Die einzigen, die in dieser Sendung noch Pflichtbewusstsein und Würde ausstrahlen, scheinen tatsächlich nur die einfachen Leute zu sein. Dass sich sonst noch jemand etwas erarbeiten und auf eigenen Beinen stehen will, ist für Politiker wie Heil unverständlich, weil sie ihr ganzes Leben lang schon so leben. „Am Ende zählt das Ergebnis, nämlich, dass das Richtige getan wird, um die Wirtschaft und die Gesellschaft gut durch diese schwierige Zeit zu bringen“, kein Satz, den man von der Queen jemals gehört hätte. Hubertus Heil macht den Zuschauern zu Hause klar, dass er im Grunde schon längst aufgegeben hat. Er macht noch irgendwas irgendwie mit der Hoffnung, dass wir am Ende noch alle da sind.
Karen Pittel setzt da zum Beispiel voll auf die Zufallsgewinnsteuer: „Ich kann es nicht genau sagen, das sind mehrere Milliarden, die man da erwarten kann, auch in Deutschland.“ Verena Bentele scheint ähnliche Wege zu verfolgen: „Viele Firmen, die jetzt große Gewinne machen und die letzten Jahre gemacht haben, haben die eher an Aktionäre ausgeschüttet als in Erneuerbare zu investieren.“ Führen bedeutet heutzutage Vorschreiben. Gewählt zu werden, reicht als Gegenleistung aus, danach ist es vorbei mit dem Diener des Volkes. Wegnehmen, umverteilen, verwalten, wie man will. Den Höhepunkt erreichte dabei erneut Hermann-Josef Tenhagen: „Eigentlich muss man es einfacher machen und an die Hand nehmen. Das Finanzamt weiß ja, welche Leute wenig verdienen. Die können einen schönen Musterbrief ausschicken.“
Auf Deutschland kommt jetzt ein rauer Winter zu – unvorstellbar, hätte man bis vor kurzem gesagt. Doch heute fangen die Politiker tatsächlich an, uns auf Kälte und Hunger vorzubereiten. Und wenn man sich anschaut, wer hier dafür verantwortlich und zuständig ist, dieses Szenario zu verhindern, sorgt das nicht gerade für Hoffnung.
In Großbritannien stirbt die Königin, in Deutschland der Wohlstand.