Tichys Einblick
Weitere Rücktritte

Die Welt der ARD gerät ins Rutschen

Die ARD-Welt gerät nach dem RBB-Skandal ins Rutschen. Die Aufsicht schaut plötzlich genauer hin. Auf dem Prüfstand stehen Parteinahme in der Berichterstattung und Selbstbedienungsmentalität der Führungskräfte.

IMAGO/Future Image

Beim NDR passieren nun Dinge, die noch vor weniger als zwei Monaten unvorstellbar waren: Politikchefin Julia Stein und Chefredakteur Norbert Lorentzen müssen vorerst ihre Aufgaben ruhen lassen. Darüber hat unter anderem das Fachportal „Übermedien“ berichtet. Es geht um den Vorwurf, kritische Berichte zum Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein Daniel Günther (CDU) verhindert zu haben. Die Pause gelte „bis auf weiteres“, wie Landesfunkhauschef Volker Thormählen mitteilte. Er handele auf Wunsch von Stein und Lorentzen.

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Hintergrund ist der Rücktritt des einstigen Innenministers Hans-Joachim Grote (CDU). Der musste gehen, weil er im Verdacht stand, Internes an einen Journalisten weitergegeben zu haben. Grote bestreitet das bis heute und fühlt sich von seinem Parteifreund Günther im Stich gelassen. Diese Aussage wollte er gegenüber einem NDR-Journalisten in einem Interview machen – doch genau dieses Interview sollen Stein und Lorentzen verhindert haben. Angeblich, weil Grote darin nicht überprüfbare Vorwürfe ausspreche. Bereits vorher sollen sie den Journalisten dazu gezwungen haben, seine Berichterstattung über den Merkelianer Günther abzuschwächen (TE berichtete).

Bisher beschäftigte sich der interne „Redaktionsausschuss“ mit den Vorwürfen. Doch dessen Protokolle kamen in Folge des RBB-Skandals an die Öffentlichkeit und setzten Stein und Lorentzen unter Druck. Wie das RND berichtet, hat nun der Landesrundfunkrat eine Prüfung eingeleitet. Der Rat ist eines von zwei externen Aufsichtsgremien über den NDR. So lange die Untersuchung dauere, übernehmen laut RND die Vize-Direktorin und Chefredaktionsmitglied Bettina Freitag sowie Redakteur Andreas Schmidt aus dem Bereich „Politik und Recherche“ die vakanten Posten.

Wider sämtliche Kontrollregeln
Prinzip Family und Friends: Der RBB kommt nicht aus dem Schlamassel
Als der RBB-Skandal vor etwa zwei Monaten startete, zeichnete sich ein Muster ab: Die Rundfunk- und Verwaltungsräte waren ihrer Aufgabe nicht nachgekommen, Fehlverhalten in den Sendern zu überprüfen und zu unterbinden. Dies scheint sich nun durch den anhaltenden öffentlichen Druck zu ändern. Das zeigt auch ein Fall, der sich gerade in München abspielt. Es geht um horrende Abfindungen, die der Bayerische Rundfunk gezahlt haben soll.

So soll der BR-Kulturdirektor Reinhard Scolik 700.000 Euro erhalten haben, wie die Bild berichtete. Der scheidende Intendant Ulrich Wilhelm hat demnach Scoliks Vertrag verlängert. Seine Nachfolgerin Katja Wildermuth wollte den Kulturdirektor aber unbedingt loswerden und hat ihm die von Bild berichtete Abfindung angeboten. Sie entspricht knapp drei Jahresgehältern, die bei einem BR-Direktor bei 250.000 Euro liegen sollen. Bemerkenswert ist zum einen der lockere Umgang mit Geld aus Zwangsgebühren – aber zum anderen auch das Nachspiel.

Denn Wildermuth befindet sich nun in offenem Streit mit ihrem Rundfunkrat. Ratsmitglied Helmut Markwort beschwert sich in der Bild, dass das Gremium zu dem Vorgang keine „genauen Informationen“ von der Intendantin erhalte. Die Chefin des Rates, die CSU-Politikerin Ilse Aigner, verteidigt die Abfindung als „gängige Praxis und auch zulässig“, wolle aber künftig genauer bei Verträgen hinsehen, wie sie der Bild verspricht.

Was bisher in der ARD nicht als anrüchig galt, führt nun zu Rücktritten. So geht es auch Ines Hoge-Lorenz. Sie war seit vergangenem Jahr beim MDR Landesfunkhausdirektorin für Sachsen-Anhalt. Sie stolperte über ihren Mann. Der war demnach in die „Causa Foht“ verwickelt, einem MDR-internen Skandal um Betrug, Vorteilnahme und Bestechlichkeit. Darüber habe sie bei ihrem Amtsantritt nicht offen informiert, räumt Hoge-Lorenz heute ein. Sie fällt weich. Nach Angaben des Senders bleibt sie für die „Hauptredaktion Information und Innovation der Programmdirektion Leipzig“ des MDR tätig.

Über Hoge-Lorenz hat zuerst die FAZ berichtet. Die Verantwortlichen der ARD, unter anderem der kommissarische Vorsitzende Tom Buhrow, haben versprochen, dass ihre eigenen Redakteure sich an der journalistischen Aufklärung der Missstände beteiligen wollen. Das tun sie zwar. Aber erst, nachdem Private bereits darüber berichtet haben. Und auch kein Wort mehr, als die Privaten darüber berichtet haben. Es bleibt abzuwarten, ob öffentlich-rechtliche Qualitätsjournalisten auch in der Lage sind, eigene Geschichten zu den Missständen in der ARD zu recherchieren.

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