Die Bilder in meinem Kopf sind 50 Jahre alt, sie lassen sich nicht ausradieren. Ich stand 200 Meter entfernt am Zaun in Fürstenfeldbruck, als zwei Blitze den Nachthimmel erleuchteten. Die beiden Helikopter waren explodiert. Ich ahnte: Hier ist gerade etwas Schreckliches geschehen.
Ich war Jung-Reporter beim Münchner Merkur, raste in der Nacht vom Olympia-Gelände zum Fliegerhorst, als bekannt wurde, dass die beiden Hubschrauber mit neun israelischen Sportlern, Geiseln in der Gewalt palästinensischer Terroristen, ausgeflogen werden. Dort sollten die Israeli in einer Polizeiaktion befreit werden. Aber es kam anders.
Es kam anders, weil Fehler gemacht wurden, grundlegende Fehler wie sie eigentlich nur Dilettanten machen. Deutschland, Bayern waren 1972 dieser Aufgabe nicht gewachsen. Jeder wusste es an jenem Dienstag, den 5. September. Aber keiner wollte es sich eingestehen. Nicht Hans-Dietrich Genscher, damals Bundesinnenminister. Nicht Bruno Merk, damals Bayerns Innenminister, und auch nicht Münchens Polizeipräsident Manfred Schreiber. Sie waren fehlgeleitet von falschem Stolz, überschätzten die Fähigkeiten der eigenen Sicherheitskräfte. Das Angebot der Israeli, die Befreiung zu übernehmen, wurde abgelehnt. Die Juristen sahen keine Rechtsgrundlage für fremde Polizeikräfte auf einem deutschen Luftwaffenstützpunkt. Bonn und München hörten die Argumente nur zu gerne. Niemand traute sich zu widersprechen. Es fehlte der Mut, der in so einer Situation Politiker ausgezeichnet hätte.
Die menschenverachtende Brutalität der Terroristen war schon an jenem Dienstagmorgen allen bekannt. Einen israelischen Sportler, Moshe Weinberg, töteten die Terroristen sofort. Den zweiten, Josef Romano, ließen sie verbluten, vor den Augen seiner Kameraden. Ärztliche Hilfe für den Verletzten lehnten sie brüsk ab.
Stattdessen sollte eine für solche Fälle nicht ausgebildete Gruppe Polizisten die Terroristen, die das Flugzeug vor einem geplanten Flug inspizieren, überwältigen. Sie machten sich rechtzeitig aus dem Staub, weil sie ihre Chancenlosigkeit erkannten. Es handelte sich um Streifenpolizisten, die damals auch Strafzettel für Falschparker ausgestellt haben.
Die Terroristen durchschauten die Absicht und stellten sich auf einen finalen Endkampf auf dem Fliegerhorst ein. Es begann ein aussichtsloser Schusswechsel, befohlen von der politischen Führung in der Person Bruno Merks. Die Scheinwerfer fielen mehrfach aus. Die Polizisten lagen sich zwischen Tower und Vorfeld gegenüber, gefährdeten sich gegenseitig. Die Schießerei in zwei Phasen dauerte fast zwei Stunden, obwohl jeder hätte wissen müssen, dass es nicht länger als zwei Minuten hätte dauern dürfen. Wenn es ausreichend gut ausgebildete Scharfschützen gegeben hätte.
Die Verstärkung in gepanzerten Wagen blieb im Stau zwischen München und Fürstenfeldbruck stecken, weil zu viele Schaulustige unterwegs waren. Es kam, wie es kommen musste. Die Terroristen hatten ausreichend Zeit, die neun gefesselten Geiseln zu erschießen und Handgranaten in die Helikopter zu werfen. Die Katastrophe nahm ihren tödlichen Verlauf. Auch für einen bayerischen Polizisten im Tower des Fliegerhorsts, der durch einen Querschläger getötet wurde. Alles, was schief laufen konnte, war schief gelaufen. Auch bei der Kommunikation nach draußen.
Ein Mitarbeiter der olympischen Pressestelle erzählte den Journalisten, die vor dem Eingang des Fliegerhorsts auf Informationen warteten, die Polizeiaktion sei geglückt. Alle Geiseln seien gerettet. Es war rund eine Stunde vor Mitternacht. Ein Quelle für diese Behauptung konnte er nicht nennen. Regierungssprecher Conrad Ahlers plapperte es, ohne gegenzuchecken, noch eine Stunde danach nach. Die falschen Schlagzeilen in Wort und Bild flogen um die Welt. Verbreitet auch von meiner Zeitung.
Als ich von Fürstenfeldbruck in die Redaktion zurückkam, hatte Kettenraucher Jonny Klein, Pressechef der Olympischen Spiele, mit zittrigen Händen die Tragödie gerade verkündet und damit die Erstmeldung korrigiert: alle Geiseln tot. Meine Redaktion entschied sich für die Produktion einer Extra-Ausgabe. Ich hämmerte meine Reportage in die Schreibmaschine. Titel: „Das blutige Ende – Im Scheinwerferlicht endete das Drama“. Als die Extra-Ausgabe im Morgengrauen gedruckt war, verteilten auch wir von der Redaktion das Blatt kostenlos am Münchner Hauptbahnhof. Die in die Arbeit hasteten Menschen schauten uns ungläubig an, manche verwirrt. Viele von ihnen waren mit einer Erfolgsnachricht ins Bett gegangen und wurden am Morgen mit der bitteren Realität konfrontiert.
Auch die Aufarbeitung der Katastrophe war kein Paradebeispiel für mediale Offenlegung aller Fakten. Die Leichen der Israeli wurden nach Israel überführt, die der fünf getöteten Terroristen nach Lybien, wo sie wie Helden gefeiert wurden. Die drei überlebenden Terroristen wurden kurz darauf freigepresst. Die Verantwortlichen auf der deutschen Seite waren offensichtlich froh, sie losgeworden zu sein.
Dann begann noch das Kapitel der Entschädigung für die Hinterbliebenen der israelischen Opfer, das sich sage und schreibe bis ins unmittelbare Vorfeld des 50. Gedenktages 2022 hinzog. Niemand in Bonn, später Berlin oder in München hatte den Mut, unabhängig von einem Datum zumindest einen finanziellen Schlussstrich zu ziehen. Stattdessen wurden knapp fünf Millionen stotternd ausbezahlt. Die Medien-Begleitung war entsprechend negativ. Niemand von Willy Brandt bis Angela Merkel verstand oder wollte verstehen, dass die Zeit gegen Deutschland arbeitet und die Klagen der israelischen Angehörigen nur eines fördern – den latenten Antisemitismus mit dem unterschwellig mitschwingenden Unterton: Den Juden geht es immer nur ums Geld.
Die Nachricht wenige Tage vor dem 50. Gedenktag, dass Deutschland 28 Millionen Euro an 23 Hinterbliebene zahlt, hat nur oberflächlich Erleichterung hervorgerufen. Denn die Zahlung kam nur unter Druck zustande. Die Angehörigen und zwangsläufig der israelische Staatspräsident Itzchak Herzog weigerten sich, an der in Fürstenfeldbruck geplanten Feier zur Erinnerung an das Attentat teilzunehmen. Wenn am Montag den 5. September 2022 Frauen und Männer, Deutsche und Israeli, schwarz gekleidet und mit gesenktem Haupt dort stehen, wo neun israelische Sportler ermordet wurden, bleibt der Hautgout einer erkauften gemeinsamen Gedenkfeier. Das hätte genauso vermieden werden müssen wie der Ausgang des Terroranschlags 50 Jahre zuvor.