An Ostern hat Gesundheitsminister Karl Lauterbach die „absolute Killervariante“ angekündigt. Als selbst politische Freunde öffentlich andeuteten, dass er überzieht, hielt er sich verbal für seine Verhältnisse ein wenig zurück. Doch mit dem nahenden Herbst dreht er wieder so stark auf, dass sogar Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) ihm vorwirft, Lauterbach schüre Panik: Der Herbst werde schlimm, wegen Corona, sagt der Gesundheitsminister der Welt. Und: Schon jetzt gebe es in Deutschland zwischen 100 und 150 Corona-Tote pro Tag. Nur stimmt daran so manches nicht.
Sind das Menschen, die an Corona gestorben sind? Oder sind sie an etwas anderem gestorben? Diese Frage beantwortet das Robert-Koch-Institut (RKI) nicht. Immer noch nicht. Nach zweieinhalb Jahren Pandemie. Nach zahllosen Betriebsschließungen, Kontaktverboten, Ausgangssperren, Verweilverboten, Maskenpflicht drinnen und draußen. Nach der Zunahme von psychischen Krankheiten. Nach ausbleibenden Lernerfolgen. Nach noch nicht offiziell ausgewerteten volkswirtschaftlichen Schäden. Nach all dem kann das RKI diese Kernzahl immer noch nicht nennen. Doch sie arbeiteten an einem neuen Melde-System. Das komme bald, verspricht das Institut gegenüber dem Tagesspiegel.
So hat das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) nun auf eigene Faust Sterbezahlen ausgewertet. Die Ergebnisse hat das Klinikum im Deutschen Ärzteblatt veröffentlicht. Demnach sind an der Omikron-Variante deutlich weniger Menschen gestorben als an den Varianten davor. In Eppendorf sei kein Geimpfter an der Omikronvariante gestorben, der keine Risikofaktoren hatte wie etwa stark geschwächte Immunsysteme durch Krebs oder Rheuma. „Das Alter war hingegen kein bestimmender Faktor“, sagt Professor Benjamin Ondruschka, Direktor des Instituts für Rechtsmedizin des UKE.
Die Studie beruht auf den Todesfällen von 227 Patienten, die zwischen März 2020 und April 2022 im Klinikum behandelt worden sind. Davon waren 117 Verstorbene mit dem Wildtyp infiziert, 33 mit der Alphavariante, 38 mit Delta und 39 mit dem Omikron-Subtyp. Bei den Patienten des ersten Typs lagen die Raten derer, die tatsächlich an Covid-19 gestorben sind, noch bei über 80 Prozent. Bei der Omikron-Variante waren es dann laut Klinikum aber nur noch 46 Prozent.
Wir haben „keine eindeutige Datenbasis“, kritisiert Intensivmediziner Michael Albrecht im Tagesspiegel. Er fordert, dass in der Statistik deutlich unterschieden werden müsse, ob Covid-19 bei einem Patienten die Hauptdiagnose war – oder nur eine Nebendiagnose.
So aber macht Lauterbach mit relativen Zahlen Politik. In der Welt sprach er davon, mehr als 100 Menschen würden derzeit mit oder an Covid sterben. Doch dieser Wert traf nur auf die beiden Wochen im Juli zu, als eine Hitzewelle das Land im Griff hatte. Diese Hitzewellen sorgen grundsätzlich für erhöhte Sterberaten, wie das Statistische Bundesamt bereits mehrfach erklärt hat. Ob zu der Zeit vermehrt mit oder an Covid gestorben wurde, ist also fraglich. In Mai und Juni lagen die Sterbefallzahlen sogar unter 50 am Tag. Mit und wegen Covid. Zuletzt waren es wieder unter 100 am Tag.
Das Eppendorf-Klinikum schließt das Alter als Faktor für die Anfälligkeit aus. Doch ein Blick auf die RKI-Zahlen sagt etwas anderes. Demnach sind aktuell nicht mal fünf Prozent der im Zusammenhang mit Covid Verstorbenen jünger als 60 Jahre. Etwa die Hälfte der Betroffenen sind zwischen 80 und 90 Jahre alt. Doch was das bedeutet? Zweieinhalb Jahre Covid und das RKI hält die Zahlen so vage, dass ihr indirekter Chef sie in Interviews jeweils so biegen kann, wie es ihm gerade passt.