Oliver Wolff kommt zu spät zur Pressekonferenz, die Bahn hat ihn warten gelassen. Wolff ist Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) und beschwört, er sei frühzeitig losgefahren. Er sieht seine Verspätung als „erstes Plädoyer, dass ins System investiert werden muss“. Denn Bus und Bahn seien in Deutschland unterfinanziert. Darin sind sich die vier Landesverkehrsminister einig, die an der Pressekonferenz teilgenommen haben, in dem der Verkehrsverband die Bilanz des Neun-Euro-Tickets vorgestellt hat.
„Das System ist an seine Leistungsgrenze gekommen“, sagt zum Beispiel Winfried Hermann (Grüne). Er ist Verkehrsminister in Baden-Württemberg und räumt ein: „Mit denselben Einsätzen lassen sich nicht mehr Fahrgäste generieren.“ Sollen also mehr Pendler in Busse und Bahnen gelockt werden, muss das Angebot erweitert, das Personal aufgestockt und Schienenwege ausgebaut werden. Die jetzige Struktur schafft demnach kein zusätzliches Fahrgast-Aufkommen.
Das Neun-Euro-Ticket ist ab Donnerstag Geschichte. Von seinen Wesensmerkmalen bleibt am ehesten noch der niedrige Preis. Wobei dieser deutlich über 9 Euro liegen wird: 29 Euro im Monat haben die Grünen ins Gespräch gebracht, aber nur für lokale Angebote. 49 Euro bundesweit haben SPD und Grüne gefordert. Der VDV und Verkehrs-Staatssekretär Michael Theurer (FDP) sprechen von 69 Euro. Doch bei allen drei Vorschlägen müssen sich Bund und Länder erst einigen, wie sie die Kosten verteilen.
Das andere Wesensmerkmal des Neun-Euro-Tickets war, dass es bundesweit galt. Doch angesichts der sich ziehenden Debatte preschen einzelne Länder vor: Berlins Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) kopierte das Label Neun-Euro-Ticket für die Bundeshauptstadt. Obwohl es teurer sein und nur lokal gelten soll, also ein komplett anderes Angebot darstellt, schlug sie den Berliner Sonderweg als Fortsetzung des Neun-Euro-Tickets vor.
Vor allem aber war das Neun-Euro-Ticket (fast) einfach: einmal zahlen und bundesweit fahren. Egal in welchem Verkehrsverbund. Zwar gab es Ausnahmen wie die untersagte Nutzung von IC und ICE. Doch angesichts des Tarifdschungels, durch den sich ein Bahnkunde sonst schlagen muss, war das Ticket eher simpel. Das ändert sich, wenn es nach dem grünen Verkehrsminister aus Baden-Württemberg geht: Winfried Hermann meint, das Ticket brauche soziale Aspekte und er wolle „keine Geschenke machen“. Der Verkauf des Tickets müsse an die soziale Bedürftigkeit des Käufers gebunden werden. Diesen Vorschlag zu Ende gedacht, müsste ein Fahrgast sein Einkommen dokumentieren, bevor er eine Fahrkarte kauft.
Unter den Nutzern des Neun-Euro-Tickets hat der VDV eine repräsentative Nutzerbefragung durchgeführt. Demnach waren rund 20 Prozent der Käufer Neukunden und 27 Prozent der Käufer fahren sonst nur selten. 17 Prozent der Fahrten hätten ohne das Ticket, so das Ergebnis der Befragung, mit dem Auto stattgefunden. Insgesamt sei damit so viel Kohlendioxid eingespart worden, wie sonst ein Jahr Tempolimit auf der Autobahn bringen würde.
Kommt keine Nachfolge für das Neun-Euro-Ticket drohen den Nutzern des öffentlichen Nahverkehrs aber nun Preiserhöhungen – wohlgemerkt Erhöhungen auf den regulären Preis vor dem Neun-Euro-Ticket. Ohne zusätzliches Geld vom Bund ließen sich die Tarife nicht halten, sagt etwa die Bremer Verkehrssenatorin Maike Schaefer (Grüne). Zumal die Energiepreise explodierten. Schaefer sitzt derzeit der Verkehrsministerkonferenz der Länder vor. Bisher sei vor allem die Schiene „chronisch unterfinanziert“, sagt ihr Brandenburger Kollege Guido Beermann (CDU).