Tichys Einblick
Zum Buch von Maja Göpel

Die große Transformatorin

Gegen das Buch der Politikökonomin Maja Göpel wird vorgebracht, dass sie es offenbar nicht allein schrieb. Darin liegt noch das geringste Problem ihres Traktats. Ihre Wachstums- und Wohlstandsverzichtspredigt von oben steht kurz davor, Staatsdoktrin zu werden.

Maja Göpel in Berlin, 17.08.2022.

IMAGO / photothek

Aus den Bezeichnungen, die sich Maja Göpel selbst gibt, und die Medien ihr zuschreiben, lässt sich eine längere Liste zusammenstellen. Sie selbst sieht sich als Transformationsforscherin, Politökonomin, Gesellschaftswissenschaftlerin; andere nennen sie außerdem noch „zweifelsohne eine der meistgefragten öffentlichen Intellektuellen in Deutschland“ (taz), „Gesellschaftsforscherin“ und „geduldige Lehrerin“ (Süddeutsche), „Wirtschaftsexpertin“ (Deutschlandfunk), „Weltenretterin“ (Spiegel) oder ganz einfach „Star“ (Redaktionsnetzwerk Deutschland).

Die Bildungsbiografie der Universalgeneralistin liest sich vergleichsweise bescheidener. Sie studierte Medienwirtschaft an der Universität Siegen und promovierte anschließend an den Universitäten Hamburg und Kassel mit einem politikwissenschaftlichen Thema. Ihr Marsch durch die Institutionen wirkt allerdings beeindruckend. Die 46-Jährige arbeitete für das Wuppertal Institut, eine Denkfabrik, deren Mission nach eigener Erklärung darin besteht, „einen Beitrag zur Einhaltung der planetaren Grenzen zu leisten“; sie gehört dem „Club of Rome“ an, beriet als Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderung (WBGU), gehörte als wissenschaftliche Direktorin zur Führung des New Institut in Hamburg, einer weiteren Denkfabrik, aus der sie aber nach kurzer Zeit und nicht im Einvernehmen wieder ausschied.

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Es gibt keine Forschung, durch die sich Göpel bekannt gemacht hätte, auch keine glänzende Hochschulkarriere, die sie weiter geführt hätte als bis zu einer Honorarprofessur an der Universität Lüneburg. Ihre Wirkung zog sie vor allem aus vielen, vielen Auftritten in Talkshows und auf Podien. Als ihr eigentliches Fachgebiet beschrieb die Frau mit den multiplen Berufsbezeichnungen, als Wissenschaftskommunikatorin, als Vermittlerin eines Großthemas, der eine politisch-medial gestützte Hochkonjunktur: Degrowth, also Wachstumsverlangsamung, möglicherweise auch Wachstumsverzicht, um den Planeten zu retten.

Mit dem Buch „Unsere Welt neu denken“ legte sie das Produkt vor, das zu ihrer Karriere passte und ihren Aufstieg noch einmal deutlich beschleunigte, jedenfalls bis Juli 2022, als sie vor allem wegen dieses Buchs als praktisch schon bestätigte Kandidatin in eine Spitzenposition am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) aufrücken sollte. Dann erschien ein Beitrag von Stefan Willeke in der Zeit, der öffentlich machte, was bisher nur ein sehr kleiner Kreis wusste: Göpel verfasste das Werk, das sich auch durch ihre Medienpräsenz gut 270.000-mal verkaufte, nicht selbst, sondern mit einer offenbar sehr umfänglichen Hilfe durch den Journalisten Marcus Jauer, einen freien Journalisten, der früher das Ressort Reportage bei der FAZ betreute. Dessen Namen findet sich allerdings nirgends im Buch, noch nicht einmal klein. Der Ullstein-Verlag nennt ausschließlich Göpel als Autorin. Ihr fernsehbekanntes Gesicht grüßt vom Cover. Damit überraschte die Wissenschaftlerin, die bisher kaum durch eigene Forschungsleistung aufgefallen war, sondern vor allem als Kommunikatorin an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit – so lautete jedenfalls ihr eigener Anspruch – selbst einige, die ihr bisher wohlgesonnen waren.

Heuern Politiker wie Heiko Maas und Annalena Baerbock einen Fachmann an, dessen Aufgabe darin besteht, halbwegs flüssige Sätze anzuliefern (bei beiden übrigens der gleiche, in Maas’ Buch genannt, in Baerbocks nicht), dann überrascht das niemanden. Wenn eine Wissenschaftlerin, die als Fachfrau für Kommunikation galt, gerade diese Leistung extern einkauft, dann drängt sich die Frage auf, welche Substanz eigentlich in der Marke „Maja Göpel“ steckt. Einkaufen trifft es jedenfalls; nach dem, was sie bisher selbst öffentlich machte, überlässt sie Jauer die Hälfte des Buchhonorars. Vermutlich wäre das nicht der Fall, hätte er nur hier und da Formulierungshilfe geleistet.

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Göpel erklärt, sie habe Journalisten bei etlichen Gelegenheiten erklärt, mit einem Co-Autor gearbeitet zu haben. Was die Frage aufwirft, warum diese Information es vor dem Zeit-Artikel in keine der vielen journalistischen Texte über das Buch schaffte. Eine Spiegel-Autorin traf Göpel für ein Porträt zu Hause und schrieb: „An diesem Ort im Berliner Süden ist das Buch entstanden“. Die zweite Erklärungsvariante Göpels wie des Verlags lautet, ihr Co-Autor Jauer hätte es trotz mehrerer Bitten abgelehnt, seinen Namen auf das Cover drucken zu lassen. Das klingt nach demütiger Zurückhaltung des Helfers im Hintergrund, zumindest auf den allerersten Blick. Auf den zweiten erinnert es an den Satz Winston Churchills über einen politischen Konkurrenten, der ein bescheidener Mann sei, wie der Premier fand, aber mit allem Grund zur Bescheidenheit.

So ähnlich verhält es sich auch bei Jauer. Sein Grund liegt in dem Buch selbst, auf dem Göpels Name steht. Bei dem 200-Seiten-Werk handelt es sich um eine Mischung aus Standardformeln der westlichen Moraloberklasse, logischen Fehlschlüssen in Serie, bewusster Irreführung und einem kräftigen Schuss cremig gerührter Gesinnung. Diese Melange bieten viele, doch „Unsere Welt neu denken“ fügt noch prominent die Figur des homo oeconomicus dazu, eine hingebungsvoll gebastelte Strohpuppe, die für das Autorenduo mehr oder weniger die Gesamtschuld an der schlechten Einrichtung der Welt trägt. Dass der Text in dieser Form nicht von Göpel stammt, ist noch sein kleinstes Problem. Wer „Unsere Welt neu denken“ nicht als Anhänger liest, sondern als Rezensent, der versteht Jauers Wunsch nach Anonymität voll und ganz. Sollte Göpel durch dieses Buch tatsächlich zu einem Führungsposten im DIW kommen, dann wäre es endgültig Zeit, das Institut zuzusperren und den Schlüssel an einer besonders schlammigen Stelle der Spree zu versenken.

Für das, was Göpel und im Zweifelsfall auch Jauer für den homo oeconomicus halten, liefern sie eine Definition auf Seite 56 ihres Gemeinschaftswerks. Ihre Grundsatzüberzeugung verbreitete Göpel außerdem noch etwas gröber auf verschiedenen öffentlichen Bühnen, etwa mit der Talkshow-Bemerkung, der homo oeconomicus sei jemand, „der den Hals nicht vollkriegt“, was nahelegt, dass es sich im Buch um ihre originäre und von Jauer nur gefällig kolorierte Ansicht handelt. Bevor es darum geht, was und wen Göpel für den homo oeconomicus hält, muss noch der Begriff selbst ein wenig erhellt werden.

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Die Formel stammt von dem britischen Philosophen, politischen Ökonomen und Politiker John Stuart Mill, der sie in seinem Aufsatz “On the Definition of Political Economy, and on the Method of Investigation Proper to It” 1830 prägte. Für Mill bezeichnet sie „eine willkürliche Definition eines Menschen als Wesen, der unvermeidlich das tut, wodurch er die größte Menge notwendiger Dinge, Annehmlichkeiten und Luxus erhält, und das mit dem geringsten Aufwand von Arbeit und körperlicher Selbstverleugnung, mit der sie erlangt werden können“ (’an arbitrary definition of man, as a being who inevitably does that by which he may obtain the greatest amount of necessaries, conveniences, and luxuries, with the smallest quantity of labour and physical self-denial with which they can be obtained‘).

Kurz gesagt, es handelte sich um das Modell eines Menschen, der mit möglichst geringem Aufwand den für sich größten Nutzen erzielen möchte. Sein homo oeconomicus reiht sich ein in eine Serie von Modellen, zu der etwa der homo faber zählt, der schaffende, der homo ludens, der spielende, oder der homo loquens, der sprachbegabte Mensch. Es handelt sich also um eine Abstraktion wie bei jedem Modell. Dass sein Begriff nicht dazu diente, einen bestimmten Menschen zu beschreiben, dass kein Mensch durch und durch rational und nützlichkeitsbeflissen entscheidet, machte Mill seinen Lesern im gleichen Essay mit einer Art Gebrauchshinweis deutlich:

„Nicht, dass ein politischer Ökonom jemals so absurd gewesen wäre anzunehmen, dass die Menschheit tatsächlich so beschaffen wäre – aber das ist der Modus, in dem Wissenschaft notwendigerweise vorgehen muss. Wenn eine Wirkung von konkurrierenden Gründen abhängt, so müssen diese Gründe jeder für sich und ihre Gesetze separat studiert werden, […], da das Gesetz der Wirkung aus allen Gründen zusammengesetzt ist, die sie determiniert.“ (‚Not that any political economist was ever so absurd as to suppose that mankind are really thus constituted, but because this is the mode in which science must necessarily proceed. When an effect depends upon a concurrence of causes, those causes must be studied one at a time, and their laws separately investigated, […] since the law of the effect is compounded of the laws of all the causes which determine it.‘)

Ohne Modelle kommt keine Wissenschaft aus, der perfekte Markt existiert genauso wenig wie die ideale Flüssigkeit. Und wie bei allen Modellen lässt sich daraus nie alles, aber eben vieles für die Wirklichkeit ableiten. Dem menschlichen Antrieb, mit möglichst geringem Aufwand ein Maximum an Vorteilen und Bequemlichkeiten zu erlangen, verdanken wir praktisch jede technische Entwicklung, vom Flaschenzug über die antike Fußbodenheizung und das Automobil bis zum iPhone.

Ihren Strohpuppen-homo oeconomicus definiert Göpel – wobei sie ihn gleich zum grundsätzlichen Menschenbild aller Ökonomen macht – auf Seite 67: „Der homo economicus kennt keine qualitativen Unterschiede zwischen Ressourcen, keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern, keine Kooperation, kein Mitgefühl, keine Verantwortung, weder auf der Ebene des Einzelnen noch auf jener der Gesellschaft, er kennt genaugenommen noch nicht einmal so etwas wie Gesellschaft.“

Was sie hier als angeblichen homo oeconomicus skizziert, hat nichts mit dem Begriff von Mill und dem der Wirtschaftswissenschaften zu tun. Sie beschreibt einen Psychopathen. Wahrscheinlich gibt es Menschen, auf die zutrifft, was sie aufzählt. Im Privat- wie im Wirtschaftsleben würde jemand, der tatsächlich keine Kooperation, keine Gefühle und keine Verantwortung kennt, mit hoher Sicherheit scheitern. Und zwar als Unternehmer genauso wie als Selbständiger oder Angestellter. Jemand, der die Gesellschaft ignoriert, könnte es gar nicht schaffen, überhaupt ein Unternehmen aufzubauen. Denn aus dieser Gesellschaft stammen die Mitarbeiter, vor allem aber die Kunden jeder Firma. Nicht nur, dass sie den homo oeconomicus als Psychopathen karikiert. Bei ihr wird das Modell zum massenhaft realexistierenden Menschen, der seine Prägung durch die Gesellschaft erhält.

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„Niemand wird als homo economicus geboren“, gemeinplatzt das Autorenpaar Göpel/Jauer, „aber man kann Menschen als soziale Wesen durchaus in diese Richtung erziehen, wenn man sie in einem System aufwachsen lässt, in dem ständig belohnt wird, sich wie ein homo economicus zu verhalten.“ Die Menschen, darin besteht die Kernbotschaft des Traktats, können und müssen daher umerzogen werden. Dann wird auch die Gesellschaft gut. Daran, dass sie Deutschland mit seiner Staatsquote von über 50 Prozent und seinen Politikern, die höchstens den Wettbewerb um den größtmöglichen Paternalismus lieben, für den Hort turbokapitalistischer gefühls- und kooperationsunfähiger Egoisten hält, lässt Göpel keinen Zweifel.

Zum anderen vermutet sie in den Menschen ein eigentlich grundgutes Wesen, das nur aus den Fesseln einer falschen Gesellschaft befreit werden muss. „Dann wären Egoismus, Rücksichtslosigkeit und Kaltherzigkeit nicht etwa die kennzeichnenden Eigenschaften des Menschen“, lehrt Göpel, „sondern lediglich das Ergebnis einer Erziehung, die Eigenschaften wie Altruismus, die Fähigkeit zu teilen und Warmherzigkeit unterdrückt.“ In Brecht/Weills „Dreigroschenoper“ heißt es: „Der Mensch ist gar nicht gut / drum hau ihm auf den Hut / Hast du ihn auf den Hut gehaut / dann wird er – vielleicht – gut“. Bei Göpel/Jauer klingt die Menschenanalyse sehr ähnlich, nur eben völlig ernst gemeint und ohne jeden Verfremdungseffekt.

Intellektuell bewegt sich diese plumpfüßige Erbauungsliteratur so, als hätte es nach Rousseau keine Theorie und keinen Gedanken mehr gegeben. Die „Gesellschaft“ funktioniert nach Göpel als großer Prägstempel, der passive Menschen durch Erziehung in eine schlechte oder künftig eben eine bessere Form drückt. An diverse seit etwa 200 Jahren diskutierte Feinheiten, etwa, dass Menschen durchaus auch die Gesellschaft prägen, in der sie leben, dass Egoismus und Altruismus sich sehr oft in ein und derselben Person mischen, dass Egoismus nicht immer Schlechtes und Altruismus nicht zwangsläufig nur Gutes hervorbringt, kurz, an irgendeinen dialektischen Gedankengang verschwendet das Buch keine Zeile.

Nach dem Muster zwei schlicht, zwei kraus handelt das Autorenkollektiv auch ab, was es für Wirtschaftswissenschaften hält. Die Universalgeschichte dieser Disziplin passt bei Göpel/Jauer auf dreieinhalb Seiten. Das gesamte Menschen- und Gesellschaftsbild der Wirtschaftswissenschaft, erklären sie, „geht auf die Erkenntnisse dreier Männer zurück, die alle vor mehr als zweihundert Jahren geboren wurden; und zwar alle in England“. Zu dem Trio, das sie dann präsentieren, gehören Adam Smith und seine Markttheorie der unsichtbaren Hand, David Ricardo und seine Lehre vom Wohlstand der Nationen und, Überraschung und auch wieder nicht, Charles Darwin und seine Evolutionstheorie, der die Wirtschaftstheorie nach Göpel entscheidend beeinflusst haben soll: „Auf der Beziehungsebene wurde nun ein Kampf von jedem gegen jeden. Ein Kampf, bei dem nur die Stärksten überleben.“ Das steht zwar nirgends so bei Darwin. Aber bei Mill steht schließlich auch etwas ganz anderes. „Folgt man diesen drei Annahmen“, also von Smith, Ricardo, Darwin, doziert Göpel, „ist Wirtschaft also nichts anderes als der Versuch, als Egoist*in unter lauter Egoist*innen zu überleben, indem ich immer mehr produziere und Vermögen anhäufe, wobei am Ende auf wundersame Weise beständig mehr Wohlstand für alle herauskommt.“

Nichts davon folgt natürlich aus Smith, Ricardo und Darwin, sondern nur aus Göpel, die nach dem Prinzip vorgeht: Punkt, Punkt, Komma, Strich, fertig ist das menschenfeindliche Kapitalismusgesicht. Und das der gefühlskalten Ökonomen gleich mit. Warum es, das nur nebenbei, mit der Vermögensanhäufung gerade der Deutschen im Vergleich zu vielen anderen europäischen Ländern ziemlich schlecht steht, erörtert unsere Gesellschaftswissenschaftlerin der Herzen gar nicht erst, wie überhaupt ein Abgleich ihrer Spekulationen und Parolen mit der ökonomischen und gesellschaftlichen Gegenwart weitgehend unterbleibt.

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Ein paar Seiten später muss ihr dann doch aufgegangen sein, womöglich mit Jauers Hilfe, dass ihr in Schmalz gemeißeltes Abbild der Gesellschaft möglicherweise doch zu grobe Züge trägt, selbst für ein Publikum, das sich aus Manifesten dieser Art irgendeinen Erkenntnisgewinn erhofft. Also schiebt sie nach, Smith und Ricardo hätten ja noch in der Welt des gemäßigten Kapitalismus gelebt (ohne weiter zu untersuchen, was das für ihre Theorien heute bedeuten soll); und Darwin, gewiss, hätte nicht davon geschrieben, dass nur der Stärkste überlebt, sondern der am besten an seine Umwelt angepasste. Im nächsten Schritt erklären die Autoren dann, die Ökonomen hätten die beiden englischen Wirtschaftstheoretiker und vor allem Darwin falsch verstanden beziehungsweise nach Gusto uminterpretiert. Dieser Vorwurf erhält in einer Textfabrikation der Marke Göpel natürlich einen besonderen Reiz. „Allen drei Vordenkern ist es also gemein“, heißt es bei Göpel/Jauer, „dass Nachfolger*innen ihre zentralen Ideen aus dem Kontext genommen und sie zu vermeintlich universellen Gesetzen ‚der‘ Ökonomie hochstilisiert haben.“ Welcher Ökonom, welche Ökonomin sieht sich heute als „Nachfolger“ Darwins? Das Buch nennt keinen Namen. Was nur konsequent ist. Es gibt ja weit und breit auch niemanden.

Nicht zum ersten und zum letzten Mal fragt sich der Leser an dieser Stelle: Was soll der Quatsch? Übrigens wäre man ganz froh, wenn das Duo seine Lesefrüchte gelegentlich auch einmal hoch- und nicht ständig auf Glückskeksebene herunterstilisieren würde.

Die leicht fassliche Botschaft Göpels und ihres Mitautors lautet also: Bei dem Kapitalismus, wie wir ihn kennen, handelt es sich um eine Veranstaltung gefühls- und verantwortungsloser Individuen, geprägt von einem Leviathan namens Gesellschaft. Kapitalismus bedeutet Wachstum; Wachstum ist schädlich und eigentlich auch wider die Natur des Menschen. Rettung naht, wenn sich diese Menschen künftig mit weniger begnügen. Dann gesunden beide, Bürger und Gesellschaft.
Nun gibt es gute Gründe, nach der Richtung und vor allem nach Konsequenzen des wirtschaftlichen Wachstums zu fragen (natürlich auch nach den Folgen, wenn dieses Wachstum ausbleibt). Aber die Kapitalismuskritik der Marke Göpel hat kein Kapitalismus der Welt verdient.

An einem Punkt kommt auch Göpel schlecht vorbei, nämlich dem Umstand, dass sich durch Wachstum und Entwicklung in den letzten dreißig Jahren hunderte Millionen Menschen in Ostasien aus Armut und Abhängigkeit befreien konnten. Und zwar ohne die vom Club of Rome in den siebziger Jahren für den Jahrtausendwechsel vorausgesagte große Erschöpfung der natürlichen Ressourcen. Nach Daten der Food and Agriculture Organisation leiden heute 7,107 Milliarden Erdenbürger nicht an Mangelernährung und Hunger. Beide Plagen finden sich vor allem in afrikanischen Ländern, die kaum am Welthandel teilnehmen. In Asien stechen zwei Länder durch verbreitete Unterernährung heraus: das Afghanistan der Taliban und das kommunistische Nordkorea. Beider Elend lässt sich auch mit dem größten Anklagewillen nicht dem kapitalistischen Wachstumszwang und damit dem homo oeconomicus in die Schuhe schieben.

Um den Rückgang der absoluten Elendsraten und den stark gewachsenen Anteil von Menschen mit Zugang zu Energie, Bildung und Gesundheitsvorsorge in Ostasien doch noch irgendwie in ihrem großen Gemälde unterzubringen, müssen Göpel/Jauer etwas Retusche auftragen. Und zwar ziemlich dick. Das klingt dann so: Erstens führt Göpel den Anthropologen Jason Hickel auf, der erklärt, „verlässliche Datensätze zum globalen Elendsniveau“ gebe es erst seit 1981. Allerdings gelang auch in genau dieser Zeit, seit etwa 1980, sehr vielen Menschen in Ostasien auf dem Wachstumsweg der Ausbruch aus dem Elend. Abgesehen davon gibt es genügend Daten und Überlieferungen, um sich ein Bild vom Lebensniveau etwa eines vietnamesischen oder chinesischen Bauern um 1950 zu machen.

Dass der Prozentsatz der Menschen in absoluter Armut – also mit einem Einkommen von weniger als 1,90 Dollar am Tag – in den letzten Jahrzehnten gesunken ist, nicht nur in Ostasien, aber dort besonders stark – kann Göpel nicht bestreiten, nennt es aber „umstritten“. Denn: Würde die Bemessungsgrenze für Armut auf 7,40 bis 15 Dollar angehoben, dann würden auch, Überraschung, deutlich mehr Menschen weltweit unter dieser Grenze leben. In der Tat, so verhält es sich mit statistischen Grenzen. „Und die Erfolgsgeschichte wird zum Misserfolg“, erklärt Göpel mit triumphierendem Unterton: „bei einem Wert von 7,40 Dollar lebten 2019 ganze 4,2 Milliarden Menschen unter der Armutsgrenze, das sind mehr als 1981“.

Spätestens hier wäre es Zeit, das Traktat in die nächste Papiertonne zu treten. Offenbar fiel keinem Lektor bei Ullstein und auch keinem der Lobredner dieses Buchs auf, dass die Autorin hier einfach mit absoluten Zahlen beziehungsweise mit der Brechstange argumentiert. Im Jahr 1981 betrug die gesamte Weltbevölkerung nur 4,524 Milliarden Menschen. Im Jahr 2019 aber 7,764 Milliarden. Und natürlich lag der prozentuale Anteil der Menschen, die am Tag über 7,40 Dollar nach heutiger Kaufkraft verfügten, 1981 weltweit nicht höher als 2019, sondern tiefer.

In dem Jahrzehnt bis 2019 erhöhte sich der Anteil der Menschen, die 10 Dollar und mehr pro Tag zur Verfügung haben, von einem Viertel auf etwas mehr als ein Drittel. Die Zahl der absolut Armen fiel zwischen 1990 und 2018 trotz des enormen Bevölkerungswachstums weltweit von 1,9 Milliarden auf 650 Millionen. In Ostasien verschwand diese unterste Elendsstufe weitgehend. Im Jahr 2019 lebten nach Angaben der Weltbank 87 Prozent der weltweit Ärmsten in den Subsahara-Staaten. Göpels Behauptung, ihre absolute Zahl der Menschen, die über weniger als 7,40 Dollar täglich verfügen, beweise den „Misserfolg“ des Wachstums und widerlege den Elendsrückgang, ist so schlicht, albern und, ganz ohne Verlaub, dämlich wie ein Hütchenspiel ohne Hütchen.

Mit einer ganz ähnlichen Methode erledigt sie den Wohlstandszuwachs speziell in Ostasien. Rechne man China heraus, so Göpel begründungslos, dann würde das Bild gleich ganz anders aussehen. – Parbleu.

In ihrer Göpel-Rezension pries die Süddeutsche ausdrücklich „den Verzicht auf die in solchen Büchern eigentlich unvermeidliche Zahlenflut“. Vor Zahlen verschont die Politökonomin ihre Leser tatsächlich weitgehend. Wenn sie gelegentlich eine nennt, dann meist nach dem oben zitierten Muster. Generell liegt ihr nichts daran, die Welt zu betrachten, um dann ihre Schlüsse zu ziehen. Sie füllt ihr Buch im Wesentlichen mit ihrer Predigt vom heilsamen Wachstumsverzicht. Zahlen und Beispiele verwendet sie nur zu dem Zweck, ihr schwankendes Gedankengebäude notdürftig abzusichern. Und das bietet trotz aller dieser dringend nötigen Stützen ein betrüblich Jammerbild, im Großen wie en detail. Ihr Geschichtsbild wirkt kaum weniger grotesk als ihr Agitprop-Gemälde von der Wirtschaft.

Der große Graben in der Gesellschaft
Zweierlei Demokratie
„Solange die Menschen davon ausgingen, dass die Natur von einem oder mehreren Göttern geschaffen wurde, blieben ihre Gesetze genauso unergründlich wie die göttlichen Wege“, behauptet sie keck. Auch heute glauben nicht wenige Menschen an einen Schöpfergott. Naturgesetze hielten schon antike Denker für enträtselbar. Die Erforschung von Naturgesetzen beginnt bei Göpel mit Descartes und Newton erst ab 16. Jahrhundert (in dem immer noch ziemlich viele Menschen an Gott glaubten). „Fertig waren Aufklärung und das neue Selbstbild des homo sapiens“, meldet sie – und verlegt die Aufklärung damit nicht nur zeitlich, sondern vor allem thematisch. Dass der Aufklärungsbegriff Kants vor allem auf die Selbstermächtigung des Individuums gegenüber irdischen Mächten zielte, kommt bei ihr nicht vor, so, wie Individuum beziehungsweise Bürger auch sonst kaum eine Rolle in ihrem Belehrstück spielen. Wie auch? Die Idee des mit Abwehrrechten ausgestatteten Bürgers stört grundsätzlich ihr Projekt, die Gesellschaft per Erziehung ihrer fehlgeprägten Insassen in die richtige Richtung zu transformieren.

Zu den Krachthesen des Buchs gesellt sich noch die eine oder andere Katachrese, etwa: „Selbstverständlichkeiten und Patentrezepte lösen sich auf“. Spätestens, wenn Göpel auf Seite 190 appelliert, „die Arme zu öffnen, wenn Dinge schief gegangen sind“, glaubt man ein Zwiegespräch zwischen Paulo Coelho und Katrin Göring-Eckardt zu lesen. Das könnte gleichzeitig die hohen Verkaufszahlen von „Unsere Welt neu denken“ erklären. Für weltumspannende Tugendaufrufe mit Entbehrungshintergrund gibt es gerade in der grünen Bourgeoisie Deutschlands einen soliden Absatzmarkt. Wenn dieses Publikum nichts von ökonomischen Betrachtungen wissen will, muss das ja nicht für Verlagsmanager gelten.

Noch mehr dürften Buchhandel- und Medienerfolg des Göpel-Jauerschen Werks allerdings an dem liegen, was darin nicht vorkommt. In einem Kapitel erklären Göpel/Jauer oder auch nur einer von beiden das Rebound-Phänomen, und das ziemlich kompetent und flüssig. Stilistisch unterscheidet sich dieser Abschnitt auffällig von anderen langen Passagen. Erläutert wird der Rebound-Effekt am Beispiel der ersten Glühbirnen mit Wolframfäden, die in England Birnen mit Kohlefäden ablösten und bei gleicher Lichtausbeute nur noch ein Viertel des Stroms verbrauchten. Trotzdem sank der Stromverbrauch dadurch nicht. Er stieg. Weil die elektrische Beleuchtung einer Wohnung nun weniger kostete, wurde sie für viele Ärmere, die sich hier als ganz ökonomische Menschen verhielten, zum ersten Mal erschwinglich.

Im erweiterten Sinn erleben die westlichen (und demnächst auch die chinesische Gesellschaft und andere) einen demographischen Rebound-Effekt: Menschen leben dank höheren Wohlstands und besserer Medizin erfreulicherweise immer länger. Daraus folgt, dass diese Gesellschaften auch mehr finanzielle Mittel zur Versorgung ihrer Alten benötigen, die, ebenfalls demografisch bedingt, immer weniger Jüngere erarbeiten müssen. Konkrete Vorschläge, wie sich das auf ihre Idee von Wachstumsverzicht reimen soll, macht Göpel nirgends. Wie sie überhaupt die Frage umgeht, wer im Dienst des besseren Weltganzen konkret worauf verzichten sollte. Bekanntlich fallen die Antworten zu Degrowth sehr unterschiedlich aus, je nachdem, wen man wonach fragt. Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk etwa, der Göpel eine große Bühne bietet, lieben Redakteure donnernde Verzichtspredigten ans Publikum, reißen sich aber wie Rumpelstilzchen in der Mitte entzwei, wenn ihnen jemand den Vorschlag macht, den Jahresetat der öffentlich-rechtlichen Anstalten von 8,42 Milliarden Euro zu halbieren, obwohl dann ja immer noch eine Menge Geld übrigbleiben würde.

In Deutschland kommt zu der Demographie auch noch die Migrationspolitik, die bekanntlich nicht die Bedürfnisse des Aufnahmelandes in den Mittelpunkt stellt. Die Versorgung von immer mehr Ruheständlern, von immer mehr Zugewanderten, die mehrheitlich nicht in der Erwerbsarbeit ankommen, aber auch die Wachstumsdynamik des Staates und diverser kaum noch überschaubarer steuergeldbeschenkter Organisationen führt dazu, dass die staatlichen Kassen in Deutschland 1990 insgesamt 281 Milliarden Euro einnahmen, im Jahr 2000 schon 467, und manchen Staatsvertretern heute schon die 833 Milliarden des Jahres 2021 nicht reichen, weshalb sie, etwa in Gestalt von Katrin Göring-Eckardt, nach einer Vermögensabgabe rufen. Der Staat erweist sich also als die große Raupe Nimmersatt. Er ist in Deutschland auf exzessives Wachstum programmiert, viel stärker als ein Normalbürger oder ein schwäbischer Unternehmer.

Wenn Göpel ernsthaft eine Gesellschaft des Weniger und der Ressourcenbeschränkung diskutieren wollte, dann müsste sie die Frage stellen, wie das beispielsweise zu dem bisherigen Ausgabenwachstum des deutschen Staates passt. Und zu einer Migrationsdoktrin der faktisch offenen Grenzen. Übrigens vermeidet Göpel, die gern allgemein von Nachhaltigkeit spricht, auch jeden Blick auf das Bevölkerungswachstum in Afrika.

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Aber zurück zu Deutschland. Schon Milton Friedman stellte fest, dass ein Staat ein Sozialsystem oder offene Grenzen haben kann, aber auf Dauer nicht beides. Das in Deutschland derzeit unter dem Stichwort Transformation von Politkern, Medienvertretern und Stichwortgebern aus dem akademisch-aktivistischen Kreis vorangetriebene Großprojekt läuft noch auf deutlich mehr heraus. Deutschland soll sein Sozialsystem eher noch ausbauen, obwohl die Zahl derjenigen, die netto in die Kassen einzahlen, ab 2030 dramatisch schrumpfen wird. Es soll seine Grenzen für alle offenhalten, die sich in diesem Land – übrigens aus klassischen Homo-Oeconomicus-Erwägungen – niederlassen wollen.

Es soll außerdem seinen staatlichen Sektor beständig ausbauen und mit weniger Wachstum, mit weniger Ressourcen, mit weniger Energie auskommen. Es soll seine grundlastfähigen Kraftwerke abschalten und gleichzeitig eine Wirtschaft in Gang halten, die genügend Steuern und Sozialabgaben abwirft. Dort, wo die Lücke zwischen real Erwirtschaftetem und Anspruch zu groß wird, soll die Notenbank Geld drucken. Und gleichzeitig sollen Währung wie sozialer Frieden heil bleiben.

Dieses Programm stellt schon deutlich mehr als die Quadratur des Kreises dar. Es ist der Versuch, aus Trockensand eine Pyramide zu formen, um sie anschließend vor aller Augen auf die Spitze zu stellen. Wer dagegen Einwände vorbringt, dem hält Göpel entgegen, er müsste die Welt eben nur neu denken. Für sie ändern sich ökonomische Gesetze und Plausibilitäten, falls nur ausreichend viele an ihren neuen Entwurf glauben.

Hier und nicht in der Ko-Autorenfrage liegt das, was dieses Buch als Phänomen interessant macht. Wer tatsächlich diskutieren will, wie eine alternde westliche Gesellschaft mit weniger Wachstum und Ressourcenverbrauch auskommen könnte, der stößt unweigerlich auf all diese Fragen, denen sich Göpel noch nicht einmal nähert. Wer es eben doch tut, um den würde sich kein medialer Lob- und Preischor versammeln. Rolf Peter Sieferle, ein Historiker, der sich lange mit Ökologie und Nachhaltigkeit befasste, zog bekanntlich noch postum den weißglühenden Zorn des Juste Milieu auf sich, weil er fragte, wie diese Bergriffe mit dieser Migrationspolitik zusammenpassen. Eine Autorin, ein Autor, ein Duo – wer auch immer etwas über Degrowth schreiben und nicht mindestens das Etikett „umstritten“ angepappt bekommen möchte, kann also gar nicht anders, als die eigentlich unvermeidlichen logischen Brüche unter dick aufgetragenem Gesinnungskitsch verschwinden zu lassen.

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Indem sie das mit ihrem Buch tut, folgt Göpel übrigens geradezu mustergültig dem Konzept des homo oeconomicus. In diesem Licht muss der Rezensent seine Empfehlung zurückziehen, das DIW zuzusperren, sollte es die Autorin dorthin schaffen. Im Gegenteil, in dieses Institut, in dem schon Claudia Kemfert webt und wirkt, gehört sie wie keine zweite. Ihre Rolle dort wäre die der großen Transformatorin. „Unsere Welt neu denken“ ist nicht nur, wie die ARD uns verdeutlicht, „das Buch der Stunde“, sondern des Jahres und überhaupt unserer Zeit, in der eine moralische Oberschicht anderen, die kaum noch sparen können, ihre Verarmung unter dem Begriff Wachstumsverzicht schmackhaft zu machen versucht.

Am liebsten würden sich die Tugendbegriffsverwalter aus Vorreiterland natürlich auf dem Wachstumspfad von Millionen Asiaten festkleben. Pardon wird zwar nicht gegeben, wenn dort sehr viele nach dem Lebensstandard der europäischen Mittelschicht streben (und das nicht durch Migration). Allein, es fehlen heuer die Zuchtmittel. Da wendet man sich notgedrungen den heimischen Erziehungssubjekten zu.

Diese Gesellschaft, in der Berufspolitiker und Funktionäre den Unteren Kurzwaschtipps geben, darf nicht an der falschen Stelle knausern. Sie braucht zwei, drei, viele Göpels, um noch eine Weile in diesem Modus durchzuhalten. Und sie wird sie auch bekommen.

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