Was von Ökonomen und Wissenschaftlern lange Zeit als Wunschdenken von Umweltideologen belächelt worden war, tritt jetzt tatsächlich ein: Der deutsche Automarkt hat nach 70 Jahren seinen Wachstums-Zenit überschritten, er beginnt zu schrumpfen. Und zwar nicht zyklisch konjunkturell, sondern strukturell, also nachhaltig. Der Motor des deutschen Wirtschaftswunders in den 1950ern und 1960ern, der scheinbar endlos belastbare Garant für Wachstum und Wohlstand für alle die Jahrzehnte danach, läuft nicht mehr rund, wurde heruntergeschaltet.
Nichts ist mehr wie früher, nichts ist mehr so wie in den guten alten Zeiten der Ölkrisen, die zwar temporäre Mengen- und Preisbelastungen mit sich brachten, aber eben nur für kurze Zeit und dann wieder vorüber gingen. Und zudem von der Autoindustrie immer wieder durch motortechnische Verbesserungen innovativ aufgefangen werden konnten. Diesmal geht der Verknappungseffekt an die Substanz des deutschen Automarktes.
Bereits im Jahre 2000 ging die Wachstumsära in Deutschland zu Ende. Über 20 Jahre dümpelten die Neuzulassungen seither unter geringen zyklischen Schwankungen jährlich zwischen 3,3 und 3,1 Millionen, lediglich einmal – im Jahr 2009 durch die Abwrackprämie – mit einem Höchstwert von 3,8 Millionen noch oben wie durch einen Tiefststand von 2,9 Millionen im Folgejahr 2010 nach unten unterbrochen. Vergleichbar auch die Pkw-Produktion, die stets zwischen 5,0 und 5,5 Millionen pendelte.
Im Jahr 2019 fand die Erholungspause des letzten Autozyklus mit dem Absatz von 3,61 Millionen sein Ende. Seither ist drastische Schrumpfung angesagt mit 2,92 Millionen im Jahr 2020 und 2,62 Millionen im Jahr 2021.
Die erhoffte Markterholung im Jahr 2022 blieb aus, im Gegenteil, die Zahl der Neuzulassungen ging bis Juli von Monat zu Monat weiter zurück. Zunächst wurden von Experten die anhaltende Produktionskrise in der Autoindustrie wegen Materialengpässen bei Halbleitern dafür verantwortlich gemacht, dann traten die sprunghafte Energieverteuerung und Versorgungsängste auf den Plan. Auch im Juli 2022 ging der Absatz stark auf knapp 206.000 Pkw zurück,13 Prozent weniger als im Vorjahresmonat. Der Markt fiel damit auf das niedrigste Niveau seit der Wiedervereinigung.
Lediglich bei reinen Elektroantrieben kam es bei den Neuzulassungen zu einem deutlichen Anstieg um 14 Prozent (28.800 E) gegenüber dem Vorjahr, wofür aber ausschließlich der Elektroautobauer Tesla mit einem Zuwachs von 142,1 Prozent verantwortlich war (Tesla Marktanteil: 0,6 vH). Dagegen ging der Absatz von Plug-in-Hybriden um 21 Prozent zurück.
An der Dominanz der ausschließlich klassischen Verbrenner am Neuwagenabsatz hat sich nichts geändert, obwohl die Modell-Anzahl der reinen E-Mobile in der Zulassungsstatistik inzwischen auf 34 angewachsen ist (Verbrenner: 97 Modelle). Insgesamt werden bislang die deutschen Neuzulassungen im Jahr 2022 zu knapp 57 Prozent von den klassischen reinen Verbrennern beherrscht. Rechnet man noch einmal fast 30 Prozent Hybride hinzu, die ja ebenfalls mit einem Verbrennungsmotor ausgerüstet sind, so liegt der Anteil des Verbrennermarktes in Deutschland gegenwärtig noch immer bei 87 Prozent. Und die E-Mobilität? Viel Lärm um nichts!
Im Vergleich zum Corona-Vorkrisenjahr 2019 wurden in den ersten sieben Monaten 34 Prozent weniger Pkw abgesetzt. Auch europaweit sank der Neuwagenabsatz im Sommer 2022 auf einen historischen Tiefstand.
Waren die Autoexperten zunächst der Meinung, für diese drastischen Markteinbußen seien Sonderfaktoren wie die Corona-Pandemie und danach Mangel an Halbleitern und sonstigem wichtigen automobilen Produktionszutaten und Zulieferteilen verantwortlich, und der Markt würde sich nach Überwindung der Hemmnisse umso boomartiger erholen, erging es diesen Optimisten wie den Hühnern der Witwe Bolte bei Max und Moritz … und der Hals wird lang und länger, und ihr Gesang wird bang und bänger …!“
Inzwischen kann als gesichert gelten: Der deutsche Pkw-Markt bleibt dauerhaft niedrig
Zunächst wurden alle Kurzfrist-Marktprognosen für den Weltmarkt wie für Deutschland nach unten korrigiert, wobei die Erwartung die Feder führte, spätestens ab 2024 werde es dann aber wieder kräftig nach oben gehen. Inzwischen muss man davon ausgehen, dass der Automobilmarkt in Deutschland, ebenso in Europa, dauerhaft seinen Zenit überschritten hat. Die USA werden auch langfristig ihr schon lange stagnierendes Absatzvolumen behalten, in China wird das Wachstum des Automarktes langsam aber sicher gegen Null tendieren und auf hohem Niveau zum Stillstand kommen.
Als erstes hat das Beratungsunternehmen Alix Partners in seinem Global Automotive Outlook 2022 – TE hat darüber berichtet – seine kurz- und langfristigen Prognosen gekappt – wohlgemerkt alles noch vor dem Ukraine-Krieg und den Energiemarktturbulenzen. Alix Partners erwartete für 2022 einen weltweiten Autoabsatz von knapp 80 Millionen Pkw (78,9). Verantwortlich dafür ist vor allem die Marktschwäche in China, Japan und in Europa. Vor fünf Jahren wurden noch fast 100 Millionen Fahrzeuge weltweit abgesetzt.
Für die kommenden Jahre erwartet das Beratungsunternehmen zwar eine Erholung des Weltmarktes, aber kein echtes Wachstum. Der globale Absatz steigt nach 2022 bis zu einem Peak im Jahr 2026 auf rund 96 Millionen Fahrzeuge an (Automobilwoche). Ein ähnliches Hoch wurde aber bereits 2018 erreicht, ein Jahr vor Ausbruch der Corona-Krise. Das bedeutet im Klartext: Null-Wachstum in der Welt-Automobilindustrie über fast 10 Jahre hinweg. Und das obwohl das Trendwachstum auf dem chinesischen Markt nach Alix Partners im Jahr 2022 erneut einsetzt, mit einem Zuwachs von jährlich 1 bis 2 Millionen Neuzulassungen im Trend. Betont sei nochmals, dass in diese Prognosen die Ereignisse nach Februar 2022 nicht eingeflossen sind.
Auch der Verband der Automobilindustrie (VDA) hat die Marktprognosen für 2022 mehrfach zurück geschraubt auf zunächst rund 3,0 Millionen Neuzulassungen. Aber selbst diese Kurzfrist-Prognose musste gekappt werden, da es offensichtlich nicht zu dem ursprünglich erwarteten Turnaround in der zweiten Jahreshälfte kommen wird. Inzwischen wird allgemein nur noch mit 2,5 bis 2,7 Millionen Pkw-Neuzulassungen gerechnet. Damit verharrt die Entwicklung quasi auf dem schwachen Vorjahresniveau (2,63 Millionen). Es kann aber auch noch schlechter kommen.
Schlimmer als die Entwicklung im Jahr 2022 ist, dass sich die langfristigen Trendprognosen erheblich verschlechtert haben
Inzwischen zeichnet sich ab, dass sich die Autobranche – Hersteller wie Zulieferer und Händler – dauerhaft auf ein deutlich niedrigeres Absatzniveau in Deutschland einstellen müssen. „Weder der deutsche Markt noch die anderen großen europäischen Märkte kehren in den nächsten Jahren auf ihr Vorkrisenniveau zurück“ (Automobilwoche vom 22. August 2022 auf Basis einer exklusiven S&P Global-Analyse).
S&P kommt zu dem Ergebnis, das ein Teil des deutschen Marktes dauerhaft wegbricht und auf etwa drei Millionen Neuzulassungen oder sogar noch weniger sinken wird. In den fünf Jahren vor Ausbruch der Pandemie lagen die Pkw-Neuzulassungen zwischen 3,2 und 3,6 Millionen Einheiten. Nur 2009, aufgebläht durch die Abwrackprämie, lag die Zahl mit 3,8 Millionen Pkw-Neuzulassungen höher.
Auch für Antje Woltermann (Geschäftsführerin beim Zentralverband Deutsches Kfz-Gewerbe) ist längerfristig „die Drei-Millionen-Grenze durchaus realistisch“. Denn zusätzlich zu den branchenspezifischen Speicherchip-Lieferengpässen – sie werden bis 2024 anhalten – komme nun eine Kaufzurückhaltung privater Kunden wegen der zu erwarteten Rezession.
Für ein in Zukunft dauerhaft niedrigeres Neuzulassungs-Niveau sprechen kurz- wie langfristig überzeugende Gründe:
Kurzfristige Gründe
- Rezessionserwartungen: Für Bert Rürup scheint es im Moment „… weniger die Frage zu sein, ob die deutsche Volkswirtschaft in eine Rezession rutscht, sondern mehr, wie lange dieser Abschwung dauert und wie heftig er sein wird“. Also nicht mehr ob, sondern wann!
- Sinkende Realeinkommen und Kaufentzug durch Energiepreisexplosion und steigende Fahrzeugpreise: Die allgemeine Inflationsbeschleunigung, insbesondere aber die abrupte Verteuerung von Strom und Erdgas, von Rohöl und Kohle dürften 2022 den Verbrauchern trotz aller Stabilisierungspakete der Bundesregierung einen Kaufkraftentzug von 5 Prozent und mehr „bescheren“. Über die Sparquote können die Verbraucher vielfach mangels Masse den Verlust nicht auffangen, über kompensierende Lohnerhöhungen auch nicht, wie die Vergangenheit lehrt (Lohn-Preis-Spirale).
- Gasumlage: Im Oktober geht die Inflation in eine neue Runde. Dann gilt eine neue Gasumlage, die je nach Größe der Wohnung die Bürger mehrere Hundert Euro pro Jahr kosten wird – wohlgemerkt zusätzlich zu den Preiserhöhungen, die die Versorger in den vergangenen Monaten realisiert haben. Damit ist klar: Die Inflationsrate in Deutschland dürfte im Herbst weiter steigen – und die Kaufkraft der Verbraucher entsprechend weiter sinken.
Hinzu kommen steigende Zinsen und steigende Gebraucht- wie Neuwagenpreise aufgrund hoher Nachfrage bei geringem Angebot sowie zunehmender Material- und Energiekosten bei den Herstellern (Schaubild 3).
Es zeichnet sich ab, dass die Neuwagenpreise dauerhaft höher bleiben, Rabatte völlig verschwinden.
Langfristige Gründe
- Verschlechterte Rahmenbedingungen: Die Verbraucher sind zunehmend verunsichert, das Konsumklima hat sich in den letzten Monaten laut Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) drastisch verschlechtert. Das hat Folgen auf den Automobilabsatz, weil sich nicht jeder künftig noch einen Zwei- und Drittwagen leisten kann und will. Zudem hat das 9-Euro-Ticket manchen die Vorzüge des ÖPNV entdecken lassen.
- Rückläufige Bedarfe: Mit dem Trend zu Homeoffice und E-Bike reiche vielen Familien nur noch ein Fahrzeug. Ein Teil des Marktes bricht der Branche dauerhaft weg. Das Gleiche gilt für die im Trend alternde Bevölkerung. An die Stelle von Motoren treten Rollatoren.
- Sinkende Kaufkraft: Die plötzliche Erkenntnis in der deutschen Industriegesellschaft, dass ausreichend Energie, und vor allem „grüne“ Energie, nicht nur aktuell aufgrund der Erdgaskrise ein knappes Gut ist, sondern künftig auch bleiben wird, führt zu Verhaltensänderungen. Energie steht in Zukunft wohl nur zu höheren und weiter steigenden Preisen ausreichend zur Verfügung – wenn überhaupt. Dieses Szenario alleine hat alle Blütenträume nicht für die E-Mobilität, sondern für das Gesamtpaket einer stets als sicher vorausgesetzten individuellen Mobilität mit dem eigenen Pkw stark beschädigt.
Mit größter Wahrscheinlichkeit wird das Realeinkommensniveau in Deutschland wie in Europa in Zukunft im Durchschnitt niedriger sein als vor dem Ausbruch der Erdgas- und Stromkrise. Wird Mobilität zum Luxusgut wie in den frühen 1950ern, werden sich deutlich weniger Konsumenten diesen Luxus leisten können. Bei Elektroautos zeichnet sich dieser Trend bereits heute ab. Das Nachfrageniveau auf dem deutschen Automobilmarkt wird dadurch dauerhaft abgesenkt.