Es ist die Eigenart theoretischer Diskussionen im Elfenbeinturm, dass ihre Auswirkungen von den Betroffenen häufig überhaupt nicht wahrgenommen werden – oder erst dann, wenn es zu spät ist. Eine solche Diskussion, die dem 1989/90 in seinem Kern erschütterten Marxismus einen Ausweg aus seinem Dilemma zu bieten schien, begann 1992, als der deutsch-amerikanische Politikwissenschaftler Alexander Wendt in den USA einen Aufsatz unter dem Titel „ Anarchy is what states make of it: the social construction of power politics“ (Anarchie ist, was Staaten daraus machen: Die soziale Konstruktion von Machtpolitik) veröffentlichte. Sie sollte maßgeblich die Politik des bevorstehenden Jahrhunderts bestimmen.
Die Wurzeln des Konstruktivismus
Wendt legte in seiner Schrift etwas dar, das jedem ideologiefreien Beobachter politischer Prozesse mehr als trivial erscheinen muss: Die Tatsache, dass das Handeln – fachdeutsch: Interagieren – von Staaten nicht nur auf fest definierbaren und damit berechenbaren Strukturen beruht, sondern durch Prozesse des Wahrnehmens und Lernens beeinflusst wird. Der Sozialdemokrat Egon Bahr, dafür bekannt, sich nicht mit verkopften Debatten die Zeit zu stehlen, fasste diese banale Erkenntnis in einem Satz zusammen: „In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt.“
Ich lasse dahingestellt, dass auch Bahr in seiner dennoch marxistischen Prägung nicht die eigentliche Tiefe erkannt hatte, vielleicht auch nicht erkennen wollte. Denn tatsächlich geht es nicht um die Interessen von Staaten, sondern um die Interessen von Personen. Sowohl politische Strukturen als auch die darauf basierenden Prozesse sind nicht komplex zu erfassen, solange der tatsächlich die politische Interaktion sowohl zwischen Individuen und Gruppen als auch zwischen Staaten und Staatengemeinschaften bestimmende Aspekt nicht berücksichtigt wird.
Ob die Selbstvernichtung der europäischen Imperien im 20. Jahrhundert, ob die expansionistische, postsowjetische Politik Russlands oder der Isolationismus des Vereinigten Königreichs – verständlich und nachvollziehbar werden diese Entwicklungen und Geschehnisse nur dem, der die Psyche eines Friedrich Wilhelm Viktor Albert von Preußen, eines Nikolaus Alexandrowitsch Romanow, eines Adolf Hitler oder eines Wladimir Putin und eines Boris Johnson versteht.
Menschen bestimmen den Gang von Politik – nicht Strukturen oder Prozesse. Diese sind lediglich Konsequenz menschlichen Handelns. Nicht nur in der internationalen Politik, für die Wendt sein Theoriemodell entwickelt hatte – auf allen Ebenen politischer und sozialer Interaktion ist die Psychologie der jeweils Agierenden der alles bestimmende Faktor. Es greift bis in die unterste, kommunalpolitische, ja sogar die vorpolitische, private Ebene. Dennoch – und daran leidet die marxistisch geprägte Theorie der politischen Wissenschaften bis heute – gibt es keinen einzigen Lehrstuhl für politische Psychologie. Stattdessen jedoch längst solche der Politischen Soziologie und selbst einer sogenannten „Geschlechterforschung“.
Die Mechanistik des Karl Marx
Der deutsche Staatsrechtler Carl Schmitt schrieb Anfang des 20. Jahrhunderts: „Mit dem mechanistischen Naturbild des siebzehnten Jahrhunderts entwickelt sich ein staatlicher Machtapparat und die schon oft geschilderte ‚Versachlichung‘ aller sozialen Beziehungen.“
Karl Marx, von seinen Anhängern als großer Philosoph gefeiert, bewegt sich in seinem neunzehnten Jahrhundert gleichwohl in den Konsequenzen jener Denkwelt des Siebzehnten. Die Mechanisierung des Natürlichen als unvermeidbare Befreiung aus den Zwängen dessen, was der Mensch als Natur bezeichnet, führt, versinnbildlicht durch die Industrialisierung der modernen Welt, in einen bis heute ungelösten und unlösbaren Konflikt: Die Überwindung der Natur, die den Menschen des Industriezeitalters und danach erst möglich macht, ist gleichbedeutend mit der Vernichtung des Natürlichen und kehrt sich so zur globalen und individuellen Bedrohung gegen den Zerstörer selbst.
Der Mechanist Marx allerdings war aufgrund der Lebenssituation der Mitte des 19. Jahrhunderts weit davon entfernt, die Konsequenz dieser Mechanistik verstehen zu können. In seinem dennoch darauf basierenden Denken entwickelte er, inspiriert durch die Lebenswirklichkeit seiner Zeit, ein dogmatisches Geschichtsverständnis mit bestimmenden, sozialen Strukturen und als Gesetzmäßigkeiten bezeichneten, deterministisch-mechanischen Entwicklungsstufen. Marx entwirft ein soziales Modell, in dem die Entwicklung von Urmensch über Sklavenhaltergesellschaft und Kapitalismus zum Kommunismus ein zwangsläufiger, ein determinierter Automatismus ist.
Der darauf basierende Marxismus ist ein Versuch von vielen, das Chaos und die Unberechenbarkeit der Existenz zu ordnen, indem historische Prozesse als scheinbar zwangsläufig und künftige Erwartungen als unweigerlich sich daraus entwickelnde Zukunftssituation definiert werden. Als „sozialwissenschaftlich“ unterscheidet sich dieser Versuch von früheren, ähnlich gelagerten Modellen einer das Chaos erklärenden Ordnung lediglich dadurch, dass als entscheidender Akteur der Mensch an die Stelle eines übernatürlichen Wesens rückt – wobei Letzteres in den als Religion bezeichneten Ordnungsmodellen lediglich den Handlungsrahmen bestimmt und damit letztlich auch dort der Mensch zum eigentlichen Akteur wird. Der unverzichtbare Glaubensfaktor der bedingungslosen Annahme des Ordnungsmodells als faktische Realität ist beidem inhärent – nicht ohne Grund versuchte Marx, sein Opium für den selbsterklärten Progressiven als Mitglied einer künftigen Weltelite in den Gegensatz zum Opium für das Volk, welches der Klerus verabreiche, zu stellen.
Die Erschütterung des Marxismus
Deterministischen Modellen ist zu eigen, dass sie in ihren Grundfesten erschüttert werden, wenn der als unweigerlich definierte Ablauf der Entwicklung von den Determinanten abweicht. So, wie der reale Beweis einer Gottesexistenz notwendig das Ende des Glaubens als unbeweisbare Annahme einer solchen bedeuten muss, so erschütterte der Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus um 1990 die marxistische Glaubensannahme des determinierten Ablaufs menschlicher Entwicklung. Zwar hatte sich für die Erklärung der Unberechenbarkeiten des Chaos spätestens seit Lenin der Begriff der „Konterrevolution“ als letztlich untauglicher Versuch, die unvermeidbare Entwicklung aufzuhalten, etabliert – doch der Zusammenbruch des Sowjetsystems, welches in der Logik des Marx notwendig in die kommunistische Endstufe menschlicher Entwicklung hätte führen müssen, war konterrevolutionär nicht zu erklären.
Die unweigerliche Erkenntnis, dass Politik über den Faktor Mensch unberechenbar wird und eben nicht in deterministisch-logischen Gesetzmäßigkeiten zu erklären ist, war in einer Denkschule, die wie der Marxismus auf gedachten Gesetzmäßigkeiten zu beruhen hat, nicht vorstellbar und deshalb nicht zulässig. Somit folgte das, was unvermeidbar ist in der Überzeugung, die Natur des Chaos’ mit menschengedachten Gesetzmäßigkeiten überwinden zu können: Die Irritierten der Mechanistik des 17. Jahrhunderts suchten die Fehler nicht in der rückbezüglichen und naturfremden Mechanik ihres Denkens, sondern unternahmen nun den Versuch, eine naturferne Mechanistik des 21. Jahrhunderts zu entwickeln.
Das alles wäre wenig dramatisch, bewegten sich die Konsequenzen solcher Verkopfungen lediglich in den Elfenbeintürmen der damit Beschäftigten. Doch der 1958 in Mainz geborene Wendt legte mit seinem Aufsatz den Grundstein zu einer Lehre des Konstruktivismus, die seitdem schleichend erst zum bestimmenden Faktor in der politik-theoretischen Diskussion wurde, um dann in die Realpolitik einzusickern. Wobei hier nun nicht mehr die alleinige Verantwortung auf dem am Ende doch zu kurz gedachten Ansatz des Professors an der Ohio State University liegt, sondern in der Okkupation des Konstruktivismus durch die neomarxistischen Welterklärer.
Von der Erkenntnis des menschlichen Faktors zur neomarxistischen Ersatzutopie
Um die Entwicklung und deren Auswirkung auf die reale Politik zu verstehen, ist die Feststellung unverzichtbar, dass die aus der Mitte des 19. Jahrhunderts stammende Politiktheorie des Marxismus mit der Implosion der Sowjetunion 1989/90 ihren bis dahin heftigsten Rückschlag hatte hinnehmen müssen. Konservativen und klassischen Liberalen galt zu diesem Zeitpunkt der Marxismus als eine durch den Ablauf der Geschichte final überwundene Irrlehre aus dem Nähkästchen der Kollektivisten – sie verkannten, dass zwar die auf sozialistischen Strukturen aufgebauten Staatswesen gescheitert waren, damit jedoch nicht das antiliberale, kollektivistische Gedankengut aus den Köpfen von Sozialisten entschwunden war.
Da Sozialisten wie alle Utopisten sich nicht am politischen Pragmatismus und der realen Welt orientieren, sondern an herbeigesehnten Visionen, deuteten sie den Zusammenbruch des Sowjetmodells russischer Prägung entweder als Folge böswilligen Handelns der von US-Imperialisten gesteuerten Kapitalisten als Klassenfeind oder als temporäres Versagen der jeweiligen, von der wahren Lehre des Sozialismus abweichenden Führung. Kurzum: In der links-kollektivistischen Doktrin setzte sich die fast schon klassische Vorstellung durch, dass man es beim nächsten Anlauf dann besser und richtig machen werde. Klassisch ist diese Vorstellung, da sie eine fast schon unvermeidbare, psychische Reaktion auf die Unfähigkeit zur Erkenntnis des eigenen Versagens ist – wer gesteht sich schon gern ein, sein Leben lang einer irrigen Vorstellung angehangen zu haben?
Die Theorien des Konstruktivismus schienen hier den idealen Ausweg aus dem Dilemma des Selbstzweifels zu weisen. Aus der banalen Erkenntnis, dass Politik maßgeblich durch politische Prozesse bestimmt werde und nicht auf strukturellen „Gesetzmäßigkeiten“ beruht, entwickelte sich das Theorem, dass es im Bereich der politisch-sozialen Interaktion keine Wahrheiten gäbe, sondern lediglich gedachte oder gefühlte Wirklichkeiten. Zwar ist, wie ich vor einiger Zeit in „Wahrheit, Religion, Wirklichkeit“ dargelegt hatte, auch dieses keine neue Erkenntnis mit Blick auf die Selbsterklärung des Individuums, welches notwendig in selbst geschaffenen Wirklichkeiten lebt, doch führte der neomarxistische Elfenbeinturm zu der Annahme, dass alles, was als real und faktisch bezeichnet wird, nichts anderes als ein Konstrukt menschlicher Vorstellungskraft sei.
Die neomarxistische Konstruktion des Nicht-Realen
Wenn es nun jedoch keine Wahrheiten – und schon gar keine ewigen – gibt, dann ist alles, was an menschlicher Interaktion geschieht, letztlich nur eine Frage der jeweiligen Wahrnehmung. Da Marxisten mit ihrem begrenzten Erkenntnishorizont jedoch nicht ohne das Denken in Strukturen existieren können, folgte aus dieser These der unvermeidbare Schluss, dass gesellschaftliche Strukturen entgegen protomarxistischer Theorie allein durch eine Veränderung der gesellschaftlichen Wahrnehmung zu überwinden sind.
Der Konstruktivismus wurde damit zum Rettungsanker jener „neuen Linken“ aus europäischer Denkschule, die angesichts ihres revolutionären Scheiterns 1967/68 hatte erkennen müssen, dass der Versuch des gewaltsamen Umsturzes in modernen Wohlstandsgesellschaften chancenlos ist. Die Wahrnehmungstheorie der Neunziger paarte sich gleichsam mit dem postrevolutionären Ansatz der Sechziger, die angestrebte Systemüberwindung durch einen „Marsch durch die Institutionen“ zu bewirken.
So übernahmen nun jene neomarxistischen Maoisten die Führung, deren klassischer Anspruch der Überwindung des reaktionär-bürgerlichen Systems nebst der kapitalistisch-imperialistischen Strukturen seit eh davon ausging, sich nicht darauf beschränken zu können, die Produktionsmittel in die Hand einer Arbeiterklasse zu geben und damit die Machtstrukturen umzukehren. Vielmehr könne – so auch belegt durch das sozialistische Scheitern Ende der Achtzigerjahre – die Revolution nur dann nachhaltig Erfolg haben, wenn sie von einem neuen Menschen getragen wird. Diesen zu schaffen, was sich Marxisten wie Mao und Pol Pot noch mit brachialer Gewalt und Massenvernichtung vergeblich bemüht hatten, schien nun gewaltfrei über den Weg der Veränderung der gesellschaftlichen Wahrnehmung möglich.
Hatte Karl Marx noch den Satz geprägt, wonach das Sein als individuelle Existenzerfahrung das Bewusstsein als Wahrnehmung und Reflexion der Wirklichkeit präge, kehrte sich dieser Lehrsatz faktisch um. Im neomarxistischen Konstruktivismus prägt das Bewusstsein das Sein. Nicht durch die Veränderung oder Überwindung bestehender Strukturen wäre demnach das utopistische Ziel zu erreichen, sondern die Überwindung „des Reaktionären“ wird nun als Konsequenz durch die Veränderung des Bewusstseins unvermeidbar herbeigeführt.
Die sozialistische Revolution verließ damit scheinbar ihren ursprünglichen, gewalttätigen Ansatz der Vernichtung des „Klassenfeindes“ als Synonym des bestehenden Systems. Ihr Instrument wurde die kontinuierliche Umerziehung der Köpfe. Sind in den Köpfen des Menschheitskollektivs die vorrevolutionären, „reaktionären“ Strukturen überwunden und durch „progressives“ Denken ersetzt, ist das revolutionäre Ziel auch ohne die Anwendung physischer Gewalt erreicht. Die Tatsache, dass das angestrebte Ziel nur über psychische Gewalt als Vergewaltigung der Individualität des zum bloßen Objekt degradierten Menschen zu erreichen ist, spielt dabei keine Rolle – sie hatte es auch nicht gespielt, als die Macht der Revolution noch aus den Gewehren kam.
Gesellschaftliche Gewissheiten müssen zu Ungewissheiten werden
Soll das Bewusstsein des Objekts nachhaltig verändert werden – womit wir nun zum wiederholten Male einen der klassischen Begriffe der Bewusstseinsänderung verwendet haben, denn „Nachhaltigkeit“ synonymisiert das Ewig-Positive des Progressivismus –, müssen gleichwohl notwendig bestehende Strukturen überwunden werden. Denn auch wenn der Konstruktivismus in der Theorie letztlich selbst das Vorhandensein solcher Strukturen als bloße Konstrukte verneint, so bleiben Konstruktivisten in ihrer geistigen Enge dennoch gefangen in den alles ordnenden, strukturellen Grundprämissen sozialwissenschaftlich-mechanistischer Gesellschaftsbetrachtung.
In der Sprache der Theoretiker bedeutet dieser Prozess, angebliche „Wahrheiten“, die sich über logische Ja-Nein-Beziehungen als „wahr“ oder „unwahr“ feststellen lassen, durch Wirklichkeiten als dem, was das Individuum als „die Welt“ betrachtet, zu ersetzen. Konkret: Gesellschaftliche Gewissheiten müssen zu Ungewissheiten werden, bei denen es keine Bedeutung hat, ob sie von „der Reaktion“ als wahr oder unwahr bezeichnet würden. Das totalitäre Ziel liegt auf der Hand: Eine Gesellschaft, die ihre bestehenden Gewissheiten verloren hat, agiert wie ein Schwamm, der alles aufsaugt, was mit einem „richtig“ oder „falsch“, „gut“ oder „böse“-Label ersatzweise angeboten wird. Damit kann es sogar gelingen, den zu prägenden Menschen von morgen derart von der Natur seines Seins zu entfremden, dass er in der Perfektion des Mechanistizismus zu einer fremdgesteuerten Schablone im Menschheitsprozess wird: das willige Opfer als beliebig und uneingeschränkt manipulierbare Nicht-Identität anstelle des selbstbewussten, schwer steuerbaren Individuums.
Ein neomarxistischer Konstruktionsfehler des Konstruktivismus
Neomarxistische Konstruktivisten unterliegen dabei allerdings einem in der naturfremden Mechanistik weit verbreiteten Denkfehler, welcher die mathematische Logik von Ja-Nein-Prozessen der Wahrheitsfeststellung ausblendet und stattdessen von konkurrierenden „Wahrheiten“ ausgeht, welche selbst wiederum nichts anderes sind als individuell konstruierte Wirklichkeiten, welche tatsächlich seit ewigen Zeiten als gesellschaftliche Konstruktionen festzustellen sind. In dieser Fehlannahme ersetzt jedoch notwendig „Haltung“ als Bekenntnis zum ideologisch korrekten Konstrukt in der Abgrenzung zu anderen, nicht haltungsgerechten Konstrukten die Wahrheitserkenntnis und es ergibt sich die Möglichkeit, Begriffe, die bestehende Strukturen oder Wahrheiten definieren, entweder zu diffamieren oder mit neuen, konstruktivistisch geprägten Inhalten zu füllen, welche positiv im Sinne der angestrebten Systemüberwindung zu besetzen sind.
Die politische Faszination der damit zwangsläufig einhergehenden Überwindung der Wissenschaftlichkeit, in der haltungsgerechte „Modellierungen“ den empirischen ebenso wie den hermeneutischen Erkenntnisprozess ersetzen, ergibt sich allein schon aus der Tatsache, dass damit jedwedes bislang als Erkenntnis geltendes, wissenschaftliche Faktum als Konstrukt ausgeblendet und jedwedes utopistische Ziel als pseudowissenschaftliches Faktum konstruiert werden kann. Dieser Prozess läuft in der konkreten Phase der gesellschaftlichen Umgestaltung maßgeblich über das „Framing“, mittels dessen Ereignisse in sogenannte „Deutungsraster“ eingebettet werden. Diese basieren auf konstruktivistischen „Narrativen“ – zielorientiert konstruierte Erzählzusammenhänge, in denen die zuvor gezielt konstruierten Ungewissheiten neu und scheinlogisch sowie sozial „gerecht“ eingebettet werden.
Angriffsfeld Jugend
Um ein in soziale und historische Gewissheiten eingebettetes Individuum neu zu konstruieren, reicht es jedoch nicht aus, aus narrativen Erzählgeschichten Ersatzgewissheiten zu produzieren. Denn die Erfahrung lehrt, dass ein in sich selbst ruhender, selbstgewisser Mensch solche Ersatzgewissheiten an sich abprallen lässt. Der neomarxistische Anspruch des Konstruktivisten muss daher darauf ausgerichtet sein, die Selbstgewissheit des umzuerziehenden Individuums zu zerstören. Folglich gilt es, das, was das Individuum als sich selbst ausmacht und was wir gemeinhin als Identität bezeichnen, zu vernichten. Das wiederum lässt sich nur erreichen, wenn jene Träger der Identitätsbildung ausgeschaltet werden, welche diese Funktion seit Jahrtausenden übernommen hatten.
Das vorrangige Ziel der konstruktivistischen Neugestaltung musste insofern der noch nicht geprägte, junge Mensch sein, dessen existenzielle Bedeutung durch Verweigerung des Prozesses des Erwachsenwerdens in der dauerpubertären Gesellschaft deutlich über die biologisch festgelegte Zeitphase hinaus verlängert werden kann. So ist beispielsweise der selbst von der katholischen Kirche mitgetragene Angriff auf das tradierte Modell der heterosexuellen Familie nur scheinbar Folge eines gesellschaftlichen Wandels. Vielmehr wurde dieser angestrebte Wandel zuvor konstruiert, um dann mit den Instrumentarien der Manipulation als scheinbar unwillkürlich eingetretene Entwicklung durchgesetzt zu werden. In diesem konkreten Fall galt es, dieses erfolgreiche und tradierte Modell bei allen individuellen Mängeln als systemrelevantes Konzept gezielt zu ersetzen durch Modelle rudimentärer und unvollständiger Identitätsbildungsmöglichkeiten, in denen die Aufgabe der Identitätsbildung zunehmend mehr von der familiären Individualbetreuung auf die Kollektivbetreuung und -beeinflussung verlagert wird. Ob Erwerbszwang bei Familien oder besser noch Alleinerziehenden – die Verlagerung des Betreuungsschwerpunktes aus dem familiären Sektor in den öffentlichen der staatlichen Kinderbetreuung von der Krippe bis hin zur Ganztagsschule entzieht die kindliche Identitätsbildung den als potenzielle Widerstandsfelder erkannten, angeblich reaktionären Feldern der bürgerlichen Identitätsbildung und schafft damit die ideale Voraussetzung des manipulierbaren, dauerhaft Nicht-Erwachsenen.
Geschlechtsverwirrung in der Pubertät
Perfektioniert wird die Erziehung zur identitätsgehemmten Individualität durch gezielte Verwirrung in der für die Individualentwicklung maßgeblichen Phase der Pubertät. Die biologisch absurde Leugnung einer natürlichen, geschlechtlichen Prägung als angebliches Ergebnis sozialer Konstrukte mit der darauf aufbauenden Pseudosexualisierung über nonbinäre, genderfluide und sonstige Geschlechter, die längst und zumeist von der Mehrheitsgesellschaft zumeist unbemerkt tief vor allem in die universitären Betriebe ebenso wie in die von jungen Menschen genutzten (Internet-)Medien eingedrungen ist, zerstört gezielt die in der kindlichen Entwicklungsphase noch als selbstverständlich empfundene, biologisch vorgegebene Selbsteinordnung als Junge oder Mädchen und damit die unverzichtbare Basis einer erwachsenen Identität.
Behauptete Geschlechterrollen werden unabhängig davon, ob das Kind sie aus eigener Veranlassung gewählt hatte oder ihm diese tatsächlich von den Eltern aufgegeben wurden, im Narrativ einerseits zum vergewaltigenden Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung und gleichzeitig zur Begründung gefühlter, vom biologischen Geschlecht abweichender Orientierung: Spielt ein Mädchen mit Puppen, ist dieses die soziale Vergewaltigung durch eine nach Geschlechterrollen organsierte Gesellschaft – stellt ein der Pubertät jüngst entwachsener Mensch mit männlichen Geschlechtsmerkmalen fest, dass er als Kind eine Affinität zur Farbe rosa hatte, denkt er sich selbst als non-binär oder transsexuell (was nicht ausschließt, dass biologische Fehlschaltungen jenseits der politisch bezielten Konstruktion tatsächlich transsexuelle Personen schaffen).
Sexualverwirrung als Einfallstor der Manipulation
Da die Geschlechtszuordnung ein, wenn nicht das zentrale Element der identitären Selbstgewissheit eines erwachsenen Menschen ist, wird die Verursachung sexueller Ungewissheit zum idealen Einfallstor der konstruktivistischen Gehirnsteuerung. Darauf aufbauend sowie parallel dazu gilt es, die individuelle Selbstgewissheit maßgeblich zudem über die Vernichtung klassischer Identitätsgruppenzuordnungen zu zerstören. Eine Gesellschaft, die mit ihrer Genderfluidität beschäftigt ist, verliert den biologischen Bezug zu Geschlecht und familiärer Bindung als schützender Hort der Eigenreproduktion. Die Vernichtung der identitätsbildenden Gewissheiten beginnt hier bereits in dem Moment, in dem gleichgeschlechtliche Beziehungen für sich tradierte Begriffe binärer Beziehungen okkupieren und damit sinnentleeren. Aus der genderfluiden Gesellschaft wird eine zielfluide, deren Mitglieder sich durch steuernde Eliten nach Belieben manipulieren und für die eigenen Zwecke einsetzen lassen.
Ähnliche Versuche hat es in der Menschheitsgeschichte schon immer gegeben und sie reduzieren sich nicht auf jene marxistischen Umerziehungsradikalismen eines Stalin, Mao oder Pol Pot. Auch die Scheinwissenschaft des Rassismus funktionierte nach ähnlichem Muster, indem sie sämtliche Ebenen des gesellschaftlichen Diskurses übernahm und dominierte und jede von ihren Scheinerkenntnissen abweichende Tatsache und Annahme als gesellschaftsschädlich diffamierte. In der aktuellen Dominierungsphase des neomarxistischen Konstruktivismus eingesetzte Begriffe wie „transfeindlich“ und „Biologismus“ korrespondieren auf fast schon perfekte Weise mit seinerzeit eingesetzten Begriffen wie „volksschädlich“ oder „Verjudung“.
Ihr Ziel ist es, jeglichen von der eigenen Haltung abweichenden Diskurs zu verunmöglichen und deren Vertreter als Feinde dessen, was seinerzeit „Volkskörper“ und heute nicht minder irreführend als „demokratische Gesellschaft“ bezeichnet wurde und wird, aus der gesellschaftlichen Wahrnehmung auszugrenzen. Standen derartige Begriffe damals für konkrete Ausgrenzungs- und schließlich physische Vernichtungsmaßnahmen „zur Säuberung des deutschen Volkskörpers“, beschränken sie sich derzeit noch darauf, wissenschaftliche Grundlagenerkenntnisse als „längst widerlegte Thesen“ aus dem öffentlichen Bewusstsein zu verbannen.
Das Dogma des Welteinheitskollektivs
Für die neomarxistischen Konstruktivisten steht das Modell einer elitär gesteuerten Welteinheitsgesellschaft als unvermeidliches Dogma fest – so wie Marx einst die „klassenlose Gesellschaft“ als deterministisch definierte (und damit lediglich die physische Vernichtung aller Nicht-Arbeiterklassen meinte), gilt den Konstruktivisten das auf der One-World-One-People-Philosophie basierende, über sogenannte „Zivilgesellschaften“ organisierte Eine-Welt-Prinzip als zwangsläufig. Hierbei gilt es, neben den haltungsabweichenden, individuellen Identitäten auch deren Träger zu überwinden – was konkret auf den Europäer als „weißen“ Mann zielt, dessen ebenfalls als Konstruktion zulasten einer unterdrückten Mehrheit betrachtete Realität der globalen Wirklichkeit als allein verantwortliche Ursache globaler Ungerechtigkeit und behaupteter Vernichtung der Lebensgrundlagen, für die sich das Attribut „natürlich“ angesichts des Mechanizismus des neomarxistischen Konstruktivismus per se verbietet, konstruiert wird.
Um den Prozess zu beschleunigen, müssen weitere, „reaktionäre“ und die Individualidentität prägende Gewissheiten vernichtet werden. Hierzu zählt neben der klassischen Biologie der Geschlechter und der darauf basierenden Idee der menschlichen Familie als identitätsprägende Erziehungsgemeinschaft vorrangig die Idee von Nation und Nationalstaat, die, ausgehend von Europa, die weltgeschichtlichen Abläufe in den vergangenen zwei Jahrhunderten maßgeblich in Folge des napoleonischen Universalstaatsgedankens bestimmten. Die Bestrebungen der neomarxistischen Konstruktivisten sind geprägt von der als unweigerlich begriffenen Utopie, aus der Divergenz zahlloser Ethnien, Völker und Nationen diese einheitliche „One-People-World“ im Sinne des marxistischen Gleichheits-Begriffs zu schaffen, welche einer globalen Führung bedarf. Diese liegt in den Händen einer Gruppe „wohlmeinender Diktatoren“, deren Machtanspruch sich aus der unterstellten Tatsache generiert, dass sie über die notwendige Erkenntnis verfügen, die neukonstruierte Wirklichkeit zu schaffen und zu bewahren.
Das konstruktivistische Paradoxon
Einmal abgesehen davon, dass wir von einem konstruktivistischen Paradoxon sprechen können, weil dann, wenn alles menschliche und politische Handeln letztlich nur auf konstruierter Wahrnehmung basiert, auch der Konstruktivismus selbst ein Konstrukt ohne jegliche Bedeutung ist, weil er gleich einem Perpetuum mobile sich selbst auf der Grundlage einer sich aus dem Irrealen geschaffenen Konstruktion selbst konstruiert und dabei mangels realer Fixpunkte in einem selbst konstruierten Universum nur noch um sich selbst kreist, hat die Geschichte mehr als einmal bewiesen, dass ehedem als Visionen oder Utopien bezeichnete Konstrukte menschlicher Zukunftsperspektive an den Fakten des Realen zerborsten sind. Bewiesen allerdings hat sie auch, dass dieses Scheitern in der Regel mit zahllosen Opfern verbunden ist – zumindest ist kein Fall bekannt, in dem das nicht der Fall gewesen wäre.
Dem neomarxistischen Konstruktivismus wird es auf mittlere Sicht nicht anders ergehen – bis dahin allerdings wird er noch dermaßen viel Unheil anrichten, dass die dann vielleicht überlebende Menschheit als geheilt von Utopismen jeglicher Art eine neue Seite in ihrer Evolutionsgeschichte aufschlagen könnte. Wobei, das soll nicht unterschlagen, dass auch diese Erwartung nichts anderes als ein geistiges Konstrukt ist, welches mit der Realität nicht das Geringste zu tun haben muss.