Tichys Einblick
SERIE: KRISE DER ÖFFENTLICH-RECHTLICHEN

ARD und ZDF behandeln ihre Zuschauer wie Schüler oder gar Untertanen

Der Skandal um die gescheiterte ARD-Vorsitzende Patricia Schlesinger hat den Blick auf die Krise der Öffentlich-Rechtlichen freigelegt. Diese besteht aus vielen ineinandergreifenden Elementen. Eines davon ist das Verhältnis zum Zuschauer.

IMAGO/epd

Es gibt sie noch, die Liebe zwischen Öffentlich-Rechtlichen und ihren Fans. Zumindest zu einzelnen Sendungen. Wenn sonntags der Tatort läuft, ist der das Thema auf Twitter. „Aktenzeichen XY… ungelöst“ hat eine treue Gemeinde, die Fälle weit über die Ausstrahlung im Fernsehen verfolgt. Mit Eintrittskarten für den Fernsehgarten lassen sich sogar Journalisten bestechen, die vorwiegend kritisch übers ZDF berichten.

Eine solche Fangemeinde kämpft derzeit um das Überleben ihrer Show: Verantwortliche der ARD haben öffentlich über das Ende der werktäglichen Serie „Sturm der Liebe“ spekuliert. Nun weisen die Geschichten rund um den „Fürstenhof“ weder die Erzählkraft eines Shakespeares auf noch die Bildwucht eines Quentin Terentinos. Doch rund eine Million Menschen versammelt sich täglich vor dem Fernseher. Aus ihren Reihen haben jetzt welche eine Facebook-Gruppe zum Erhalt der Serie gegründet, andere eine Petition auf den Weg gebracht. Für eher unpolitische Menschen, die ihre Freizeit mit einer Seifenopfer gestalten, ist das erstaunlich weit aus dem Fenster gelehnt.

TE-Serie: Krise der Öffentlich-Rechtlichen
Rücktritt von Intendantin Schlesinger zeigt: Die ARD ist eine feudale Anstalt
Das Bild von ARD und ZDF als öffentlichem Kaminfeuer, vor dem sich früher die Menschen versammelt haben, ist oft bemüht worden. Doch es romantisiert die Vergangenheit und trifft nur teilweise. Der Fernseh-Samstag mit den Schnittchen und den Kindern in Bademänteln beschreibt eben nur ein Siebtel früheren TV-Konsums. In den Glanzzeiten des öffentlich-rechtlichen Fernsehens hatte das Verhalten der Zuschauer durchaus Suchtcharakter. Schon Ende der 60er Jahre hat die ARD für einen (unwissenschaftlichen) Feldversuch einer Familie für eine Woche den Apparat entzogen. Es führte bald zu Streit zwischen Eltern und Kindern, weil der Fernseher längst Mittelpunkt und einziger Freizeitgestalter geworden war.

Die Dominanz des Fernsehens wirkte sich meist bis zur Innenausrichtung der Wohnung aus. In der Guten Stube stand das Gerät im Mittelpunkt. Um ihn herum waren Couch und Sofa angeordnet. Die Zahl der Haushalte ohne Apparat ist immer noch klein: Laut Statistischem Bundesamt kommen auf 2,65 Millionen Haushalte ohne Gerät knapp 68 Millionen Haushalte mit einem oder mehreren Geräten. Wobei das Amt in dieser Statistik nicht exakt zwischen Personen und Haushalten unterscheidet. Gefühlt wird der Fernseher immer weniger der Mittelpunkt der Wohnung – doch die Zahlen sagen etwas anderes aus. Das aber liegt an unterschiedlichen Wahrnehmungen. Für Medienmacher ist der Fernseher nicht mehr so wichtig – es gibt aber noch Welten, in denen er weiterhin den Mittelpunkt bildet.

Es gibt nicht nur den wahrgenommenen Bedeutungsverlust des Fernsehens. Parallel dazu kommt der Bedeutungsverlust von ARD und ZDF innerhalb des Systems Fernsehen. Der lässt sich in Zahlen belegen. Es ist aber denkfaul, den Bedeutungsverlust von ARD und ZDF auf das Erscheinen der Privaten zu reduzieren. Im Gegenteil. Als RTL, Sat1 und Co auf den Plan traten, feierten die Öffentlich-Rechtlichen überhaupt erst ihre größten Zuschauer-Erfolge: Schwarzwaldklinik, Lindenstraße, Diese Drombuschs, Wetten dass..? unter Thomas Gottschalk oder die WM-Finalspiele von 1986 und 1990. In den Anfangsjahren der Privaten gelang es den Öffentlich-Rechtlichen besser als zuvor, die Zuschauer zu binden.

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Aber auch besser als danach je wieder. Der Grund dafür ist so banal wie komplex: Als die Privaten aufkamen, haben sich die Öffentlich-Rechtlichen schlicht mehr Mühe gegeben. Haben den Zuschauer ernst genommen und umworben. Davon sind ARD und ZDF heute so weit wie möglich abgerückt. Die Macher haben erkannt, dass das Geld auch und erst recht fließt, wenn der Zuschauer wegschaut, aber die Politik als eigentliche Auftraggeberin zufrieden ist.

Der Kunde als König hat sich bei ARD und ZDF als Prinzip umgedreht – bestenfalls ist er der Schüler, oft genug der Untertan. Nur schwer bis unmöglich lässt sich der Punkt festmachen, an dem genau ARD und ZDF den Kunden vom König zum Untertanen degradiert haben. Es ist eine Entwicklung. Sie begann lange vor 2015. Aber die Asylkrise war ihr Beschleuniger: Das ZDF zeigte an den Bahnhöfen nur englischsprachige Frauen, die ankamen – obwohl zu einem überwältigenden Teil Männer ohne Fremdsprachenkenntnisse kamen. Die ARD weigerte sich, den Mord an einer jungen Frau als Thema anzuerkennen, über den der Kunde zwar diskutierte, den die Tagesschau als Thema aber unterdrückte. Beide Sender zusammen mussten nach der Kölner Silvesternacht regelrecht dazu gezwungen werden, über diese zu berichten.

Immerhin hat der damalige ZDF-Intendant Thomas Bellut noch eingestanden, dass seine Nachrichtenteams im Jahr 2015 ein falsches BIld von den Bahnhöfen transportiert haben. Das sei auf die Produktionsbedingungen zurückzuführen gewesen. Mittlerweile verfolgen Mitarbeiter von ARD und ZDF hingegen eine Doppelstrategie. Einerseits bekennen sie sich zum „Haltungsjournalismus“, der nicht Nachrichten, sondern ein gewisses Weltbild transportieren will. Andererseits erklären sie die sich daraus ergebende Parteilichkeit zur rechten Behauptung. Einen solch offensichtlichen Widerspruch in der eigenen Argumentation stehen zu lassen, ist Teil der Arroganz, die ARD und ZDF gegenüber ihrem Kunden entwickelt haben.

Serie: Krise der Öffentlich-Rechtlichen
Finanzen spalten die Mitarbeiterschaft bei ARD und ZDF
Das erleben sogar die eher konservativen Zuschauer von „Sturm der Liebe“. Auf dem Sendeplatz ihrer Serie war jüngst Eckart von Hirschhausen zu sehen. Der erfüllt aus der Sicht der ARD zwei Vorteile. Er ist billiger als die Seifenoper und er entspricht dem Sendungsbewusstsein eher, das die Redaktionen gegenüber den Untertanen Kunde mittlerweile empfinden. „Team Hirschhausen“ besteht aus Frontalunterricht. Zum Beginn der Sendung spricht Hirschhausen über den Klimawandel, dann geht er zu einer Köchin und redet mit ihr über veganes Essen und Klimawandel, weiter zu einer Gärtnerin – schon Hirschhausen zu beschreiben, ist langweilig. Fünf Minuten Hirschhausen kommen einem vor wie 90 Minuten Unterricht – nur, dass im Unterricht nicht so viele Belehrungen ausgesprochen werden. Sehen will das kaum einer. Zuletzt waren es weniger als 400.000 Menschen. Das entspricht in etwa der Zahl der Rentner, die nach dem Mittagessen vor dem Fernseher eingeschlafen sind. Doch um den Kunden geht es bei ARD und ZDF schon lange nicht mehr.

Die Sender nutzen immer unverblümter die Ressourcen des Hauses für die Zwecke der Mitarbeiter. Das beginnt nicht erst beim Massagesessel der ehemaligen RBB-Intendantin Patricia Schlesinger oder den Chauffeuren im Bayerischen Rundfunk. Anhand der Samstagabend-Shows in ARD und ZDF lässt sich gut ablesen, welche öffentlich-rechtliche Produktionsfirma mit welcher Agentur gut kann. So präsentieren diese Shows dann mitunter eine Gästeliste, die aus den 70ern stammen könnte: mit Andy Borg, Roland Kaiser, Al Bano und Vicky Leandros. Dazu kommt für die Jüngeren jemand von der Kelly-Family, die hatte ihre beste Phase immerhin erst in den 90er Jahren.

So, nämlich inhaltlich, lässt es sich belegen, dass ARD und ZDF ihren Wert für die Zuschauer verloren haben: Die Zahlen alleine belegen das nicht – oder nur, wenn man genauer hinschaut. Der Fernsehkonsum ist in den letzten Jahren eher gestiegen: Der durchschnittliche Zuschauer hat 1997 nur 183 Minuten am Tag geschaut, 2019 waren es dann 211 Minuten, wie das Statistische Bundesamt mitgeteilt hat. In der Pandemie gingen die Zahlen dann nochmal ein Stück nach oben. Doch wie lassen sich Fernsehminuten miteinander vergleichen, wenn die Minute genauso viel zählt, die eine Familie gezielt vor dem Gerät verbringt, ohne dass einer reden darf, wie die Minute, in der jemand vor der Glotze eingeschlafen ist?

Sicher ist: Sich gemeinsam eine Sendung anzuschauen, ist zur Seltenheit geworden. Hohe Reichweiten auch. Dieter Thomas Heck hat die Anekdote erzählt, dass es eine Krisensitzung bei der ZDF-Hitparade gab, als diese erstmals weniger als 20 Millionen Zuschauer hatte. Das Finale der Frauen-Europameisterschaft erreichte 12,5 Millionen Zuschauer. Das war ein solcher Topwert, dass Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ihn zum Anlass nahm, die gleiche Bezahlung von Fußballerinnen zum Schwerpunktthema der Ampel zu machen – trotz Inflation, Energiekrise oder Corona-Maßnahmen.

„Den Blick nach vorne richten“
Panik in der ARD – Der unreformierbare öffentlich-rechtliche Rundfunk
Die meist gesehene Sendung am Donnerstag war der „Barcelona-Krimi“ im Ersten mit 4,4 Millionen Zuschauern. Ein durchaus typischer Wert für einen Tagessieger. Nur Tatort, Wetten, dass..? oder Fußball reißen noch die Zehn-Millionen-Marke – und das auch nur noch bei Topspielen wie einem EM-Finale. Erfolgsformate wie Aktenzeichen beeindrucken mit sechs Millionen Zuschauern. Doch die allermeisten Sendungen bleiben darunter. Das gilt sogar für die Shows am Samstag, für die ARD und ZDF Millionenbeträge ausgeben.

Der Fernsehzuschauer ist heute zudem deutlich über 50 Jahre alt. Bei allen Zuschauern sind ARD und ZDF mit Abstand Marktführer. Doch bei den Menschen unter 50 Jahren belegen sie abwechselnd den dritten bis sechsten Platz. Auch mit Abstand zu den Marktführern RTL und Pro Sieben. Bei den Zuschauern unter 50 Jahren kam der Spitzenreiter vom Donnerstag, der Barcelona-Krimi, nur auf 280.000 Zuschauer. Gerade mal 6,4 Prozent der ARD-Zuschauer um 20.15 Uhr waren demnach jünger als 50 Jahre alt. Spitzenreiter in dieser Gruppe war am Donnerstag die Tagesschau im Ersten mit 600.000 Zuschauern. Keine TV-Sendung erreichte an dem Tag mehr Menschen unter 50 Jahren. Ein niedriger Wert. Aber dass an einem Tag auch nur eine Sendung in dieser Gruppe die Millionenmarke reißt, ist ebenfalls die Ausnahme – bezogen auf alle Programme.

Die Zahlen erklären und untermauern den Eindruck, dass es vor allem die Jüngeren sind, die keine Bindung zu ARD und ZDF mehr haben. Ein Eindruck, den sich auch die Verantwortlichen der Öffentlich-Rechtlichen eingestehen mussten. Doch statt die Jungen wieder ans Programm binden zu wollen, haben sie diese ausgegliedert und 2016 die Plattform Funk gegründet. Diese sendet ursprünglich fürs Internet. Jugendgerechte Angebote sollen produziert werden, die von der Zielgruppe so begierig aufgegriffen werden, dass sie diese in den sozialen Netzwerken teilen. So die ursprüngliche Idee. Die besseren Sachen könnten dann auch im analogen Fernsehen laufen. Wie selten das passiert, ist ein erstes Indiz dafür, welch ein Flop Funk geworden ist.

Die Fernsehsender veröffentlichen täglich ihre Einschaltquoten. Funk hält es mit seinen Zugriffsraten anders. Will man die Resonanz von Funk erkunden, muss man recherchieren. Ein zweites Indiz dafür, welch ein Flop Funk geworden ist. Der Funk-Kanal auf YouTube hat 194.000 Abonnenten. Zum Vergleich: Der deutschsprachige Kanal „Bibis Beauty Place“ hat 5,9 Millionen Abonnenten. Auf diesem gibt eine junge Frau Schminktipps. Was bei Funk-Sendungen auf YouTube auffällt: Sie werden fleißig kommentiert, sodass der Eindruck entsteht, die Beiträge seien gesellschaftlich so relevant, wie es 2016 ursprünglich angedacht war. Aber häufig haben die kommentierenden Accounts wenige bis gar keine Follower. Sodass der Eindruck ebenfalls möglich ist, dass hier die eigenen Mitarbeiter den Debatten ein wenig nachhelfen wollen. Ein drittes Indiz dafür, welch ein Flop Funk geworden ist.

Serie: Krise der Öffentlich-Rechtlichen
Die Talkshow zeigt die Welt nur als Schatten an der Wand
Das Programm von Funk ist eine Mischung aus Sex für die Quote und grün-roter Agitation. Am Ende scheitert das Angebot aus dem gleichen Grund, aus dem die Jugendangebote in ARD und ZDF immer scheitern: Sie richten sich nicht an junge Menschen, wie sie sind, sondern an junge Menschen, wie sie sein sollen oder aus Sicht der Redaktionen sind: und das ist grün. Sitzt in einer Talkshow eine Vertreterin mit der Aufgabe, für „die Jugend“ zu sprechen, genügt eine kleine Google-Recherche, um ihren Bezug zu FFF, der letzten Generation oder gleich den Grünen selbst herzustellen. Die Bundestagswahl war für viele Vertreter von ARD und ZDF entsprechend ein regelrechter Schock, weil bei den Erstwählern die FDP gemeinsam mit den Grünen mit 23 Prozent vorne lag. Ein paar Tage spuckten die sendungsbewussten Öffentlich-Rechtlichen Gift und Galle, bis sie die Realität wieder aus ihrer Wahrnehmung verdrängen konnten.

Zwei große Gruppen gibt es auf Facebook für Fans von „Sturm der Liebe“. Eine vom Sender, eine von unten. Auf beiden hat sich bislang kein Programmverantwortlicher die Mühe gemacht, auf die Sorgen der Fans einzugehen. Wer generell Beschwerden übers Programm per Mail einreicht, bekommt zwar schon nach wenigen Stunden eine Antwort. Aber das ist ein Mustertext, der Zuschauer eher abwimmelt als ernst zu nehmen. Genau das ist aber, was ARD und ZDF tun müssten, um wieder an Relevanz zu gewinnen: Ihre Zuschauer und Zuhörer ernst nehmen. Auf ihre Wünsche eingehen ebenso wie auf ihre Kritik. Sie informieren wie ein Dienstleister und nicht belehren wie ein Schulmeister. Sie als Kunden betrachten und nicht als Objekt, das es zu formen und zu erziehen gilt. Doch diese Änderung ist nicht in Sicht. Nicht mal die Einsicht, dass diese Änderung notwendig ist.

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