Die wenigsten müssen wegen eines Skandals zurücktreten. Die meisten wegen dessen Aufarbeitung. Diese Regel stammt von Hasso Mansfeld, einem mit mehreren Preisen ausgezeichneten PR-Berater. Wie wahr das ist, zeigt der Rücktritt von Patricia Schlesinger als Vorsitzende der ARD. Die Tatbestände hinter den Vorwürfen gegen die RBB-Intendantin sind grundsätzlich verzeihbar. Doch ihr Krisenmanagement war so schlecht, dass Schlesinger als ARD-Chefin letztlich nicht mehr zu halten war.
Der andere Schritt in der Krisenbewältigung ist, Reue zu zeigen. Schlesinger hätte ohne weiteres einräumen können, dass Audi ihr einen Dienstwagen samt Chauffeur stellt. Hätte sie argumentiert, dass sie als Führungskraft die Fahrzeiten zum Arbeiten braucht und ein Chauffeur deswegen hilfreich ist, hätte das sicher eine relevante Menge verstanden. Schlesinger hätte dann aber auch einräumen können, dass es falsch war, so einen leistungsstarken Wagen anzunehmen. Dass es blöd aussehe, wenn man einem Sender vorsteht, der seinen Zuschauern jeden Tag hundertmal predigt, sie sollten Verzicht üben, um die Welt zu retten – um dann selbst in der PS-starken Bonzenkarre durchs urbane Sendegebiet chauffiert zu werden. Selbstkritik schloss Schlesinger aber als Teil der Kommunikationsstrategie aus – auch deswegen musste sie jetzt zurücktreten.
Nur Selbstkritik gehört nicht zum Repertoire der ARD – auch nicht zum Repertoire der öffentlich-rechtlichen Sender. Selbstkritik kann gar nicht mehr zum Repertoire der Öffentlich-Rechtlichen gehören. Seit dem Zeitalter des „Haltungsjournalismus“ definieren sich dessen Mitarbeiter nicht mehr über die neutrale Information, sondern über die „Einordnung“: Sie entscheiden, welche Nachricht der Zuschauer bekommen soll, weil sie in das richtige Verständnis der Welt passt – und welche Nachricht wegfallen muss, weil sie nur einen falschen Blick auf die Welt freigebe. Das ZDF geht sogar so weit, Bilder anzupassen, damit das Dargestellte die Welt richtig einordnet. Wer sich in dieser Rolle sieht, fühlt sich wie der Weise, der auf dem Berg steht und die Welt richtig versteht. Auch wenn er nur ein Wanderer ist, der sich verlaufen hat.
Wer sich als Weiser auf dem Berg sieht, der alleine die Welt richtig einordnen kann, der kann anderen nicht entgegenkommen. Der verlangt von den anderen, dass sie ihm folgen. Selbst wenn er wie Schlesinger Anfragen von Medien nicht beantwortet. Selbst wenn er wie Schlesinger die Einladung des brandenburgischen Landtags ausschlägt zu erklären, wie es denn wirklich gewesen sei. Schlesinger hat sich geweigert, auf Augenhöhe zu kommunizieren. Für eine Intendantin ist das ein schweres Versäumnis: Ein Bauunternehmer, der das Finanzamt überzeugen kann, er habe den Sachverhalt nur schlecht dargestellt, der ist rehabilitiert. Die Chefin eines Kommunikationskonzerns, die nicht kommunizieren kann, ist eine Fehlbesetzung.
Um Schlesinger schlicht vertrauen zu können oder zu müssen, sind die Vorwürfe dann wieder zu massiv: Wolf soll ihrem Mann lukrative Aufträge besorgt und Schlesinger eine Gehaltserhöhung um 16 Prozent auf 304.000 Euro gewährt haben. Im Gegenzug sollen RBB-Aufträge an Firmen gegangen sein, die Wolf nahestehen.
Solche Vorwürfe muss ein von Zwangsgebühren lebendes Unternehmen wie der RBB aus der Welt schaffen. Am besten durch Belege. Mindestens aber durch ein klares: „Nein, das stimmt nicht“. Ein Verschwörungsgeraune, das sei eine Kampagne mit Verfolgungsabsichten, ist definitiv zu wenig. Gegebenenfalls wäre auch hier Reue möglich gewesen, à la: Die Aufträge sind ohne Ausschreibung vergeben worden, das berechtigt einen Verdacht, den wir ausschließen wollen – deswegen holen wir die Ausschreibung nun nach. Stattdessen veranstaltet Schlesinger zu Hause noble Essen, rechnet die über den Sender ab, weil es dienstliche Anlässe gewesen seien – nennt aber nicht die Namen der Beteiligten. Sie ist nicht wegen des Skandals zurückgetreten. Schlesinger ist wegen der Aufarbeitung des Skandals zurückgetreten.
Nun soll sie RBB-Chefin bleiben. Dort, wo sie den Skandal verursachte, dort soll sie bleiben. Sie verlässt nur den Posten, der mit dem eigentlichen Skandal nichts zu tun hat. Außerhalb der Medienwelt versteht das keiner. Innerhalb der ARD ergibt das Sinn: Schlesingers missglückte Aufarbeitung war den ARD-Kollegen peinlich. Dafür wollten sie bei Anfragen nicht den Kopf hinhalten, deswegen musste Schlesinger als Vorsitzende gehen. Im RBB gibt es keinerlei Selbstreinigungskräfte. Deswegen kann die Intendantin dort bleiben.
Strukturen zu haben, die außerhalb der eigenen Welt keiner verstehen kann – und die außerhalb der eigenen Welt auch keinen Sinn ergeben, ist eine der größten Schwächen von ARD, ZDF und Co. Häuser, für die alle zahlen müssen. Unternehmen, dessen Mitarbeiter sich selbst als „Bollwerk der Demokratie“ feiern. Journalisten, die für sich in Anspruch nehmen, entscheiden zu dürfen, welche Information ein Zuschauer erhalten und welche ihm erspart bleiben soll. Sie sollten zumindest ihre eigenen Strukturen erklären können. Ein Bauunternehmen, das schlecht kommunizieren kann, hat ein Problem. Ein Kommunikationskonzern, der nicht kommunizieren kann, ist eine Totgeburt.
Schlesinger bleibt Intendantin des RBB. ARD-Vorsitzender wird voraussichtlich SWR-Intendant Kai Gniffke. Als Chef der Tagesschau hat er wesentlich dazu beigetragen, den „Haltungsjournalismus“ in der ARD einzuführen. Er war der König des Bergs, der Meister der Arroganz, die Welt einordnen zu wollen. In der ARD gibt es einen Personalwechsel. Besser wird nichts. Kommissarisch übernimmt WDR-Intendant Tom Buhrow den Vorsitz in der ARD.