Im Innenministerium wartet man angeblich noch darauf, dass ein Abkommen mit Griechenland greift, durch das man das Mittelmeerland zur Rücknahme von Zehntausenden Syrern, Afghanen und Irakern bringen will. Doch in der Zwischenzeit haben die deutschen Behörden mit der Bearbeitung der missbräuchlich gestellten Asylanträge von knapp 50.000 Sekundärmigranten begonnen.
Irgendwann in der letzten Legislaturperiode, zwischen Winter und Frühjahr 2021, fiel den Regierenden in Berlin auf, dass anerkannte Asylbewerber aus Griechenland oder solche, die dort internationalen Schutz genossen, massenhaft ins Flugzeug stiegen und so nach Deutschland kamen.
Die in Deutschland zum zweiten Mal gestellten Asylanträge wurden folglich „rückpriorisiert“, also nicht bearbeitet. So türmten sich laut Informationen von Welt am Sonntag bis Juni dieses Jahres 49.841 unzulässige Asylanträge auf den Schreibtischen des Bundesamts für Flüchtlinge und Migration (BaMF). Innenministerin Nancy Faeser oder ihr nachgeordnete Entscheidungsträger haben die Praxis ihres Vorgängers nun offenbar beendet: Die missbräuchlich gestellten Asylanträge werden nun bearbeitet. Mehr als 15.000 Verfahren sollen im ersten Halbjahr schon abgeschlossen sein. 88 Prozent der meistenteils Syrer, Afghanen und Iraker erhielten dabei einen Schutzstatus. Um den Rest kümmert sich Faeser mit dem neuen Chancen-Aufenthaltsrecht für Geduldete.
Die genannten Urteile – beispielsweise vom Verwaltungsgericht Münster – machen deutlich, dass es beim deutschen Asylstaat nicht so sehr um Schutz vor politischer Verfolgung und Krieg geht als vielmehr um die Aufhebung von Armut durch den deutschen Sozial- und Wohlfahrtsstaat. Ein Schutztitel eines europäischen und EU-Landes reicht dieser juristischen Schule nicht, es muss auch staatlich garantierter Wohlstand dazugeliefert werden.
Man begann also die Pressionen, beriet die griechische Regierung darin, wie auch sie ein soziales Sicherheitsnetz für die Flüchtlinge schaffen könnte. Mehr noch, Seehofer wollte den griechischen Sondersozialstaat für Flüchtlinge mit deutschem Steuergeld aufbauen, wollte selbst, wenn auch nicht persönlich, für Kost und Logis sorgen, wenn die Sekundärmigranten nur zurück nach Hellas gingen. 50 Millionen Euro deutscher Zuschuss wären wohl nur die erste Rate gewesen.
Athen war bisher gegen den Spezial-Sozialstaat für Flüchtlinge
Der Versuch misslang, weil sich die konservative Regierung nicht auf einen „Sozialstaat im Staate“ einlassen wollte. Der Minister für Asyl und Migration, Notis Mitarakis, hatte schon vor einem guten halben Jahr diagnostiziert, dass es vor allem die hohen Sozialleistungen in Deutschland seien, die Menschen in die EU und besonders nach Deutschland locken: „Wenn Sie den Menschen, die in Ihr Land kommen, hohe Vorteile bieten, wird das Menschen anziehen.“
Athen wird wiederum nachgesagt, ihm seien die Abreisen der „Flüchtlinge“ nur recht, man lasse sie widerstandslos weiterziehen. Aber welcher Widerstand sollte Menschen mit offiziellem Aufenthaltstitel entgegengesetzt werden, die rechtlich einwandfrei eine Auslandsreise innerhalb der EU antreten? Im März dieses Jahres wurde aus Gesprächen von Innenministerin Faeser und Migrationsminister Mitarakis vermeldet, dass man einer Einigung näher gekommen sei. Die Bundesrepublik sollte Griechenland bei der Rücknahme und Unterbringung von Sekundärmigranten gemäß dem alten Seehofer-Plan helfen. Derlei Berichte hatte der griechische Minister zuvor stets als „falsch und desinformierend“ kritisiert.
Mitarakis fordert gesamteuropäisches Asylsystem
Für wie viele Migranten ein solches Programm dasein soll, bleibt aber auch heute noch unklar. Die Welt am Sonntag berichtet aus einem direkten Gespräch mit Mitarakis am Rande des jüngsten Athen-Besuchs von Außenministerin Baerbock, dass der Beginn des besagten Programms sich verzögern dürfte – vielleicht bis Anfang 2023, vielleicht auch darüber hinaus. Die Mittel, die Deutschland Griechenland in diesem Rahmen „bereitwillig zur Verfügung stellt“, seien „technisch noch nicht verfügbar“, so Mitarakis. Aus dem Innenministerium verlautete unterdessen, das Programm sei „noch nicht richtig angelaufen“, es laufe „so nebenbei unter dem Radar“. Das hört sich eher nach einer probaten Verzögerungs- und Verschleierungstaktik an.
In jedem Fall wird das Ziel einer Rückführung nach Griechenland durch die nun begonnene Bearbeitung der Doppelanträge in Deutschland regelrecht konterkariert und wird so immer unrealistischer. Es handelt sich um ein Scheitern des Innenministeriums auf ganzer Linie. Man wird wohl auch die verbleibenden 35.000 Doppel-Anträge bis zum Jahresende durchwinken – genauso wie jene von den Sekundärmigranten, die bis dahin noch dazukommen. Einzige Hoffnung: Der Zustrom könnte versiegen.
Asyl- und Migrationsminister Mitarakis fordert ohnedies ein „Asylsystem, das für die gesamte EU gilt“. Er stellt die Frage: „Wenn man in Europa Asyl erhält, warum wird man dann in einem Land geographisch eingeschränkt?“ In abgeschwächter Form gibt es dieses System ja schon, die Dublin-Regeln sind bekanntlich weitgehend außer Kraft gesetzt, die illegalen Migranten konzentrieren sich immer stärker auf die Wohlfahrtsstaaten im Norden und Westen des Kontinents. Die Zuwanderung illegaler Zuwanderer ins deutsche System wird schon heute auf allen Wegen begünstigt, von Mittelmeer-Migrations-NGOs bis zur Ablehnung von Grenzzäunen und anderen Schutzmaßnahmen an den Landgrenzen im Osten und Südosten. Bei solchen Unklarheiten darf man sich wohl nicht über weitere Folgeeffekte wundern.