Deutschland staunte nicht schlecht, als die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang Mitte Juli in einer Talkrunde den Fernsehzuschauern mitteilte, eine Laufzeitverlängerung für die drei letzten deutschen Kernkraftwerke könne man durchaus in Erwägung ziehen, wenn es die Lage erfordere. Zwar verklausulierte sie ihre Aussage sorgfältig, doch sie hatte Folgen. FDP und CDU, die ohnehin weiter auf Kernenergie setzen, und erst recht die CSU, die sich ohne das letzte Kernkraftwerk auf bayrischem Boden von der Stromversorgung abgekoppelt sieht, sind seitdem mutiger und lauter geworden, wohingegen die SPD weiter schmollt. Sie und die Grünen, die eigentlich die Finger „vom Atom“ lassen wollen, haben jetzt noch eine Gnadenfrist. In einem zweiten Stresstest soll die Stabilität des deutschen Stromnetzes unter erschwerten Bedingungen unter die Lupe genommen werden. „Sollte man da sehen, dass anders, als es bisher alle Zahlen zeigen, eine Strommangellage erwartbar ist, werden wir natürlich alle Maßnahmen noch mal auf den Tisch setzen“, sagt Ricarda Lang.
Für eine Wiederinbetriebnahme der drei Kernkraftwerke Brokdorf, Grohnde und Gundremmingen C wären allerdings große Anstrengungen nötig. Sie müssten zunächst in Revision, das heißt, sie würden also technisch auf Herz und Nieren überprüft, wenn man das in einem solchen Fall sagen kann, bei Bedarf auch mit neuerer Sicherheitstechnik ausgestattet. Zudem ginge es nicht ohne frische Brennelemente, Im Gegensatz zur Laufzeitverlängerung der noch laufenden Kernkraftwerke. Die würden nach dem 31. Dezember 2022, dem eigentlichen Stilllegedatum, problemlos noch weiterlaufen, wenn auch mit „gewissen technischen Anstrengungen“, wie es Leonard Biernbaum ausdrückt, Chef des Stromkonzerns E.On, dessen Tochter PreussenElektra mit Isar 2 eins der drei verbliebenen Kernkraftwerke betreibt.
Allein Isar 2 könnte ohne den Einsatz neuer Brennelemente noch mindestens 5.000 Gigawattstunden Strom produzieren, und zwar CO2-frei. Die müssten sonst von Stein- und Braunkohlekraftwerken erzeugt werden. Dabei würden überschlägig gerechnet fünf Millionen Tonnen CO2 emittiert. Zählt man die beiden anderen Kernkraftwerke hinzu, bei denen ähnliche Produktionsmöglichkeiten zu erwarten sind, kommt man schon auf 15 Millionen Tonnen eingespartes CO2. Eine Wiederinbetriebnahme der jüngst stillgelegten Kernkraftwerke würde die CO2-Bilanz pro Jahr um bis zu 30 Millionen Tonnen verbessern. Angesichts des steigenden Stromverbrauchs aufgrund der Zunahme der Zahl von Elektroautos und des Booms bei Wärmepumpen würde der Bedarf an Kohlestrom dann noch einmal steigen.
Zudem würde ein Teil des Erdgases, das heute verstromt wird, für Heizungs- und Prozesswärme frei. Der größte Teil geht allerdings drauf, um Stromlücken kurzfristig zu stopfen, die Wetterkapriolen aufreißen. Denn Stromspeicher, die die gleiche Aufgabe erfüllen könnten, sind in Deutschland rar gesät.