Eine Pressestelle ist etwas wunderbares. Für einen Journalisten: Stellt er seine Anfrage vor 12 Uhr, hat er gute Chancen, noch bis 16 Uhr eine Antwort zu bekommen. Herrscht ein gutes Verhältnis, kann der Journalist noch Zusatzinformationen erhalten wie Zahlen, Links zu Fachartikeln oder passende Gesetzestexte. Hat er seine Antworten zusammen, kann er daraus einen Artikel oder einen Beitrag basteln. Ein leichtes Leben.
Gibt es keine Pressestellen, ist seine Arbeit deutlich schwieriger. Zum Beispiel in der Pflege. Dass es dort katastrophal zugeht, wissen oder ahnen Journalisten schon seit Jahrzehnten. Doch wie über einen Pfleger schreiben, der 80 Stunden in der Woche drei Dutzend Patienten alleine versorgen muss? Oder über eine hilflose Dame, die an Wundkrämpfen stirbt, weil sie nicht ordentlich behandelt wurde? Der Journalist muss Betroffene ausfindig machen – oder Angehörige. Ist dieser schwierige erste Schritt genommen, muss er sich mit Menschen unterhalten, die eben keine Medienprofis sind. Dann müssen sie noch damit einverstanden sein, dass ihr Name in der Zeitung steht oder ihr Gesicht zu sehen ist. Manche erzählen stundenlang ihre Geschichte, froh, endlich mal darüber reden zu können – aber dann wollen sie nicht, dass eben diese Geschichte veröffentlicht wird.
Es gibt viele Gründe, warum Journalismus abgehoben sein kann. Die meisten Außenstehenden vermuten ausschließlich politische Absichten dahinter. Doch manchmal sind die Gründe banaler. Eben weil ein Journalist zum Beispiel jeden Tag eine Geschichte für seine kleine Redaktion liefern muss, was in Kooperation mit Pressestellen kein Problem ist – was aber aufwändige Geschichten wie die über die Realität in der Pflege für ihn nahezu unmöglich machen. Das erklärt, wie es zur jetzigen Situation kommen kann. Das ändert aber nichts daran, wie wenig zufriedenstellend diese Situation ist. Wie wenig die Medien ihrem Auftrag als Vierte Gewalt nachkommen und wie sehr die Welt, die sie darstellen, eine Welt der Pressestellen ist, statt einer der Pfleger, Bauarbeiter oder Soloselbstständigen.
Nicht mehr von den Medien vertreten fühlen sich auch die, die sich der Bewegung LeuchtturmARD angeschlossen haben, die auch den ORF und die SRG zum Thema macht. In einem Offenen Brief an die ARD schreiben sie, dass die Gesellschaft gespalten sei. Auch dass es zwei Medienwelten gebe: Die des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und die der unabhängigen Journalisten. Die Intiative wolle diese Gruppen miteinander versöhnen: „Wir denken, dieses Land braucht wirklichen Dialog, um viele Gräben zu überwinden, und wir alle wissen, welche Chance und welche Verantwortung hier beim öffentlichen Rundfunk in Deutschland liegt.“ Sie wünschen sich, dass ARD, ZDF und andere weniger einseitig über Themen wie Corona oder den Ukraine-Krieg berichten.
Der Kopf hinter LeuchtturmARD ist Jimmy C. Gerum. Ein namhafter Produzent. Von ihm stammt „Nach 5 im Urwald“, mit dem seinerzeit Franka Potente ihren Durchbruch schaffte. Oder „Der Totmacher“, mit dem es Götz George gelang, zu zeigen, dass er mehr drauf hat als „nur“ Schimanski. Oder das Werk, auf das Gerum am meisten stolz ist: So weit die Füße tragen. Eine Verfilmung der berühmten Serie aus der Nachkriegszeit. Das Netz aus deutschem Film, staatlichen Subventionen und öffentlich-rechtlichen Anstalten ist Gerum daher bestens vertraut.
Die Idee zu LeuchtturmARD entwickelte sich um den Jahreswechsel unter den „Spaziergängern“. Bürger, die für ihre Freiheitsrechte auf die Straße gingen. die sich gegen eine Impfpflicht aussprachen und die mit ihren Zweifeln allmählich recht bekommen, da sogar Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) eingestehen muss, dass statistisch gesehen eine von 5.000 Impfdosen zu schweren Nebenwirkungen führt. Doch für die ARD ist die Szene rund um Gerum nur dann Thema, wenn es darum geht, Zusammenhänge zwischen den „Spaziergängern“ und der rechten Szene herzustellen. Nun haben alle Parteien schon erfahren müssen, dass man sich nicht über jeden freut, der an den eigenen Demonstrationen teilnimmt. Doch bei den Spaziergängern ist diese Kontaktschuld zugleich die Verurteilung, zumindest wenn Richter und Staatsanwalt ARD heißt. Sie berichte einseitig, heißt der Vorwurf von LeuchtturmARD – nicht nur bei dem Thema.
LeuchtturmARD sucht das Gespräch. Trotzdem. Auch wenn es schwer ist. Schwer, weil sie über den eigenen Schatten springen und sich beherrschen müssen. Gerum räumt im Gespräch ein, dass er selbst Fehler gemacht habe. Ganz am Anfang habe er gesagt, dass er eine Entschuldigung für die Berichterstattung erwarte. Dass sei zu hart gewesen. Diese Wortwahl dränge die Journalisten in eine Ecke und mache folglich den Dialog unmöglich. Doch genau um diesen Dialog gehe es ihm, betont Gerum. In diesem Zusammenhang sei auch ein Aufruf, die Rundfunkgebühr nicht zu zahlen, ein Fehler gewesen.
Schwer ist die Kontaktaufnahme aber auch, weil Gerum und Freunde nicht gerade offene Türen einrennen. Die Journalisten würden seine Leute nicht als Gesprächsangebot wahrnehmen, sondern als Vorwurf und Bedrohung. Seit zwei Wochen hält LeuchtturmARD Mahnwachen ab. Nicht nur vor öffentlich-rechtlichen Sendern, sondern auch vor Zeitungen. Aussuchen würden sie sich Medien, die aus ihrer Sicht besonders einseitig berichtet hätten, erklärt Gerum. Etwa in der Pandemiepolitik oder im Ukrainekrieg. Zum 14. Juli – dem Gedenktag der Französischen Revolution – sei es losgegangen. In der ersten Woche habe es 45 Mahnwachen gleichzeitig gegeben, in der zweiten noch zwölf – jetzt, in der dritten Woche gäbe es schon Anmeldungen für 25 Mahnwachen.
Darüber berichten tun die wenigsten Medien. Die in Ludwigshafen und Kaiserslautern erscheinende Rheinpfalz hat einen Beitrag zu einer Mahnwache veröffentlicht. Einen ablehenenden. Die Journalisten fühlten sich angemacht, bedroht und beleidigt. Gerum räumt ein, es sei schwer bei so vielen Veranstaltungen gleichzeitig, alle Teilnehmer unter Kontrolle zu haben. Ob denen keine Wörter herausrutschen, die LeuchtturmARD eigentlich vermeiden wolle, könne er nicht versprechen. Er selbst lehne etwa den Begriff der „Lügenpresse“ entschieden ab. Dass in einer solchen Konfrontation unschöne Worte fallen, ist nicht auszuschließen. Es ist sogar ziemlich wahrscheinlich. Aber die betroffenen Journalisten täten gut daran, sich zu erinnern, dass sie es hier nicht mit einer Pressestelle zu tun haben. Sondern mit Menschen aus dem echten Leben. Sie kommen mit einem Gesprächsangebot. In einer auseinander driftenden Gesellschaft wäre es ein Anfang, wieder miteinander zu reden.