17 Milliarden Euro beträgt das Defizit der gesetzlichen Krankenkassen, bei denen rund 90 Prozent der Deutschen versichert sind. Bleibt dieses Defizit, drohen den Mitgliedern deutlich höhere Beiträge. Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat die Aufgabe, die Lücke zu schließen und in Zeiten der Inflation eine weitere Belastung für Bürger und Wirtschaft zu vermeiden – oder wenigstens zu mindern. Wenn auch mit Verspätung, tut er das. Der Referentenentwurf des „Finanzstabilisierungsgesetzes“ liegt nun vor. Und der enthält eine Tretmine.
Krankenkassen ist es bisher verboten, Schulden zu machen. Das Gesetz erfüllt einen wichtigen Zweck: Anders als in der Weimarer Republik sollen in Krisenzeiten nicht auch noch die Sozialsysteme zusammenbrechen. Das Verbot, Schulden zu machen, sorgt also für Stabilität. Nun haben Lauterbach und sein Haus ein Schlupfloch gefunden, wie sie das Gesetz umgehen können. Der „Gesundheitsfonds“ soll eine Milliarde Euro Schulden machen und das Geld den kranken Kassen überlassen, die es dann wieder zurückzahlen müssen.
Der Gesundheitsfonds ist eine Art gemeinsames Konto der gesetzlichen Krankenkassen. Die Mitglieder und ihre Arbeitgeber zahlen in diesen Fonds ein, der verteilt das Geld dann an die Kassen. Für den Staat hatte dieses Prinzip den Vorteil, dass er seine Zuschüsse und Kostenerstattungen nicht mehr an die einzelnen Kassen, sondern nur noch an den Fonds überweisen musste. Sich selbst einen Arbeitsschritt gespart, anderen dafür mehrere zusätzliche Arbeitsschritte aufgenötigt. Selbstständige dürften dieses deutsche Verwaltungsprinzip kennen.
Dieser Fonds soll nun für die Kassen den Kredit aufnehmen, den sie selbst zurückzahlen müssen. An der Tatsache, dass somit das Schuldenverbot fällt, ändert das faktisch nichts. Auch nicht daran, dass die Solidität entsprechend verloren geht, die das Verbot bisher gesichert hat. Der Schritt verbessert lediglich die Bilanz Lauterbachs – aber auch das nur kurzfristig. Denn mit den Schulden können die Kassen jetzt Rechnungen bezahlen, werden aber später umso höhere Rechnungen haben.
Vorschläge, wie die Kassen entlastet werden könnten, habe Lauterbach nicht aufgegriffen. So weigere er sich weiterhin, dass der Staat den Kassen so viel für Hartz-IV-Empfänger bezahlt, wie diese die Kassen kosten. Deren Mitglieder müssten so für eine Lücke von 10 Milliarden Euro aufkommen. Auch erhebe der Bund die volle Mehrwertsteuer auf Arznei. Das würden in der EU sonst nur Bulgarien und Dänemark machen. Die Pharmaindustrie verschone Lauterbach indes: Sie könnte „deutlich mehr für die Sicherung der finanziellen Stabilität beitragen“. Stattdessen sei jetzt sogar der ursprünglich geplante Beitrag der Pharmaindustrie von einer Milliarden Euro in Frage gestellt.
Aus Sicht der Kassen schiebt Lauterbach mit seinem Entwurf die Probleme nur auf: „Damit drohen 2024 erneut Beitragssatzerhöhungen.“ Zumal die Inflation und die hohen Energiepreise die Kosten weiter in die Höhe trieben und die Politik die Ausgaben auch immer weiter in die Höhe treiben will, etwa durch Projekte wie den „Gesundheitskiosk“. Diese seien kaum noch zu finanzieren, warnen die Krankenkassen.