Tichys Einblick
Herrschaftszeiten

Requiem auf das Rind

Viehzucht ist der Schlüssel: Ohne die damit verbundene Sesshaftigkeit gäbe es weder Zivilisation noch Kultur. Aber ein nicht zu übersehender Teil der Menschheit, der sich für besonders fort­schrittlich hält, will entschlossen zu­rück zur vermeintlichen Natur.

IMAGO / Winfried Rothermel

Ich bin kein Hindu, aber das Rind ist mir heilig. Wahrscheinlich schlagen meine k.u.k.-Wurzeln durch. Denn es gibt abgesehen vom Hinduismus keine Kultur, die dem Rind hingebungsvoller huldigt als die österreichische Rindfleischküche. Das rituelle Mahl ist einschließlich der exakt definierten Beilagen so komplex und unantastbar wie die 245 Dogmen der katholischen Kirche. Eines lautet: Die Welt wurde zur Verherrlichung Gottes erschaffen. Hier gilt: Das Rind wurde zur Verherrlichung der Kochkunst geschaffen. Deshalb wird in der traditionellen österreichischen Metzgerei das Rind auch anders zerlegt als etwa beim Massenschlachter Tönnies, einem Piefke.

Die Ehrfurcht vor dem Geschöpf Rind setzt Wissen um Anatomie, Qualität und Behandlung der Rinderteile voraus. Das Tier wird nach der Tötung nicht einfach in zwei Hälften gespalten, sondern die Brust als Ganzes abgetrennt. Wir müssen es nun auf die Spitze, gewissermaßen auf den Tafelspitz treiben.

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Nehmen wir beispielsweise die Schulter: Sie enthält das Zwerchried, das als Suppenfleisch und zum Dünsten Verwendung findet, das magere Meisel (Musculus supraspinatus), den Kavalierspitz, ein besonders saftiges Gustostück, das ihn überdeckende fette Meisel, das sich als Gulaschfleisch bestens eignet, dann das saftige Schulterscherzl (Musculus infraspinatus), die dicke Schulter (Musculus triceps brachii), den vorderen Wadschinken, das Bugschnitzel, das vordere Pratzel und das Ludel. Allein das Knöpfel, also die Keule, besteht aus Schale, Schalblattel (in Wien Fledermaus genannt), Zapfen, Hieferschwanzl, Hieferscherzl, Tafelspitz, Tafelstück, schwarzem und weißem Scherzl, dem Gschnatter, dem hinteren Wadschinken, dem Bratzel sowie dem dicken und dünnen Ochsenschlepp. Es ist Musik in meinen Ohren.

In der österreichischen Küche wird das Fleisch gekocht, anderswo lieber gebra­ten und geschmort. Auch die kunstvol­le Reifung des Rindfleisches, hier bei­spielsweise in Barcelona, ist ein Zeichen kultischer Verehrung des Rinds.

Warum ich das erwähne? Weil es ge­rade einer Hochkultur an den Kragen geht. Das Rind soll dem Klima geopfert werden. Das wäre so, als verzichtete die katholische Kirche auf die Verehrung der heiligen Jungfrau Maria wegen Überfüllung des Himmels. Das zeigt nicht nur, wie fundamentalistisch der gemeine Klimaretter agitiert, sondern vor allem, wie kulturlos er sich verhält. Er versteht unter Essen ausschließ­lich Ernährung, einen Tankvorgang mit möglichst erneuerbarer Energie.

Die vegetarische Welle rollt entgegen marktgängiger Beteuerungen nicht aus diätetischen Gründen, nicht mit dem Ziel, die Menschheit gesünder und damit älter werden zu lassen. Es wäre kontraproduktiv. Die Übervölkerung des Planeten nähme weiter zu. Es geht auch nicht um das Wohl der Rindheit. Sie scheißt und atmet zu viel. Dezimiert werden sollen Vieh und Mensch. Des­halb zielt der politische Vegetarismus zuerst auf die Lust am Speisen. Der Homo sapiens als Verbraucher, Ver­schwender und Verschmutzer.

Totalitäre Kost
Pläne zur staatlichen Regulierung der Ernährung verderben den Geschmack
Dahinter steckt ein verwerfliches Menschenbild. Es begreift den Erdbe­wohner Mensch nur noch als Schäd­ling. Seinem eigenen verachtenswer­ten Sein wirkt der woke Kostverächter entgegen. Die Krone der Schöpfung erhebt sich selbst zum moralischen Gipfel der Evolution, indem sie sich selbst erniedrigt und kasteit. Es ist pervers. Wäre der Mensch ein gewöhn­liches Tier, dürfte er darauf pochen, art­gerecht zu leben. Mit so viel Rücksicht durch seinesgleichen hat er selbst nicht zu rechnen.

Mit der Esskultur fing die artgerechte Menschenhaltung einmal an. Das Beutetier musste nicht mehr roh gefressen, es konnte zubereitet, verfeinert werden, gebraten und dann mittels tönerner oder metallischer Gefäße gekocht. Ei­nen Teil der Verdauungsarbeit über­nahm das Feuer. So entlastet, blieb dem Menschen mehr Energie zum Denken übrig.

Viehzucht ist der Schlüssel: Ohne die damit verbundene Sesshaftigkeit gäbe es weder Zivilisation noch Kultur. Aber ein nicht zu übersehender Teil der Menschheit, der sich für besonders fortschrittlich hält, will entschlossen zu­rück zur vermeintlichen Natur.

Würde die Menschheit sich selbst weniger verachten, würde sie das Rind mehr ehren. Im Stall, wo der Geschmack in es hinein­, und auf dem Tisch, wo er wieder aus ihm herauskommt. Statt­dessen wird es zu Hackfleischeinerlei verarbeitet. Für die weltweite Burger­schnellimbisskulturschande kann das arme Vieh nichts. Aber wir sehen: Das Rindheitsproblem ist nicht nur die Schuld irregeleiteter Vegetarier.

Aber der Mensch muss gar nicht zum Veganis­mus gezwungen werden. Er lässt sich auch anders täuschen. Hackfleischersatz, wohin man blickt. In nicht mehr allzu ferner Zukunft wer­den weltweit nur noch ein paar Dutzend Kühe benötigt. Aus ihren Stammzel­len wird Material generiert, das sich zwischen den Zähnen so ähnlich wie Fleisch anfühlt und sogar entfernt da­nach schmeckt. Auch Bratlinge aus Mehlwürmern sollen ernährungsphy­siologisch 1a sein. Von Mikroben pro­duzierter Proteinfleischersatz aus Pilz­kulturen steckt ebenfalls bereits in der technologischen Pipeline.

Nur einen Tafelspitz oder ein weißes Scherzl wird man niemals nachbauen können. So kommt unter die Räder, was weder Lebensmittelchemie noch Diätetik jemals begriffen haben: die kulinarische Kultur.

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