Tichys Einblick
Von der Wasser-Flut in die Bürokratie-Flut

Ein Jahr nach der Flut im Ahrtal: Der gerettete Politiker-Porsche und das Staatsversagen

Ein Jahr nach der Flut-Katastrophe im Ahrtal übt sich die Politik in Betroffenheitsritualen. Doch die Hilfe für die Opfer läuft schleppend, Lehren aus dem Desaster werden nicht gezogen. Auf die Katastrophe der Flut folgte die Katastrophe des staatlichen Versagens – das setzt sich bis heute fort.

Zerstörtes Wohnhaus in Dernau im Ahrtal, 06.07.2022

IMAGO / epd

Plötzlich kam das Wasser: In der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 riss die zur Flut gewordene Ahr Häuser und Menschen mit sich, Existenzen gingen in Sekundenschnelle verloren. Durch das Hochwasser nach extremen Starkregen am 14. und 15. Juli wurden mindestens 135 Menschen allein im nördlichen Rheinland-Pfalz getötet (in Nordrhein-Westfalen und anderen Bundesländern starben über 50 Menschen). Zwei Menschen werden bis heute vermisst. Und mehr als 750 Menschen wurden durch die Flutkatastrophe verletzt.

Zudem wurden circa 9000 Gebäude sowie Straßen, Brücken, Schienen, Gas-, Strom- und Wasserleitungen auf rund 40 Kilometern an der Ahr zerstört oder schwer beschädigt. 49 Menschen starben wiederum im benachbarten Nordrhein-Westfalen durch die Flutkatastrophe. Auch hier kam es zu schweren Zerstörungen.

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Ein Jahr nach der Katastrophe übt sich die Politik in Betroffenheitsritualen, heute auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzler Olaf Scholz. Doch dabei scheinen die Verantwortlichen vor allem darauf bedacht zu sein, jegliche Verantwortung von sich zu weisen: „Das Ausmaß der Katastrophe konnte so niemand voraussehen“, behauptet die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD). Der klägliche Versuch einer Reinwaschung. Denn die Wahrheit ist: Der Staat hat versagt – sowohl vor, während als auch nach der Katastrophe.

„Mit früheren Warnungen und Evakuierungen hätten womöglich viele Leben gerettet werden können“, erklärt Ex-Bundeswehr-Oberst und Krisen-Experte Wolfgang Grambs, der selbst im Ahrtal wohnt. Doch diese Warnungen kamen nicht, obwohl der Staat informiert war. Die britische Hydrologin Hannah Cloke attestierte Deutschland nach der Flut ein „monumentales Systemversagen“. Sie entwickelte das europäische Flutwarnsystem mit. Auch das nordrhein-westfälische Innenministerium räumte einige Tage nach der Katastrophe ein, dass die Überflutungen nicht überraschend kamen. Bereits zwei Tage vor der Flut sei man in Düsseldorf über die Gefahr informiert gewesen. Trotzdem erklärte der damalige Innenminister Herbert Reul: „Es gab nach meinem heutigen Erkenntnisstand keine großen grundsätzlichen Probleme.“

Auch der damalige Chef des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe, der CDU-Politiker Armin Schuster, redete das eigene Versagen schön. „Unsere Warninfrastruktur hat geklappt im Bund“, meinte der heutige sächsische Innenminister.

Die Tausenden Flutopfer dürften das freilich anders sehen: Sie wurden bereits Tage vor der Katastrophe von einer Politik im Stich gelassen, die sich immer erst für sich selbst interessierte. Das bezeichnendste Beispiel ist der im Ahrtal verantwortliche Landrat Jürgen Pöhler. Der rief erst um 22:00 Uhr den Katastrophenfall aus, als die Flut schon diverse Opfer gefordert hatte. Vorher warnte er Freunde und Nachbarn – und brachte seinen roten Porsche in einer Tiefgarage der Kreisverwaltung in Sicherheit. Er versuchte, seine Kommunikation zu verschleiern.

Auch die über ihr Ahrtal-Versagen gestürzte Ex-Ministerin Anne Spiegel, die lieber gendergerechte PR für sich selbst machte und dann in den Urlaub flog, sollte in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben. Für die Luxus-Karossen der örtlichen Politik funktionierten die Frühwarnsysteme – für die Menschen, die ihre Sicherheit eben jener Politik anvertrauten, funktionierten sie nicht.

Ein Jahr nach der Katastrophe setzt sich das Staatsversagen aus der Flutnacht nahtlos fort. Das Land Rheinland-Pfalz hat 15 Milliarden Euro an Fluthilfen bereitgestellt – für geschädigte Eigentümer wurden aber bislang gerade mal 50 Millionen Euro ausbezahlt. Die meisten Flut-Opfer haben gar keine Anträge gestellt. Die zuständige Investitions- und Strukturbank verweist auf fehlende Unterlagen bei vielen Anträgen. „Allen fehlt das Geld, da seit der Soforthilfe nix mehr fließt“, klagt Loni Radermacher (80) aus Bad Neuenahr-Ahrweiler gegenüber der Bild. Ihr Haus wurde in der Flut schwer beschädigt. „Hier sieht‘s noch aus wie am ersten Tag“, sagt ein weiterer Betroffener über seine Situation. „Die Politik verspricht viel, aber wir fühlen uns schmählich im Stich gelassen.“

Alfred Sebastian, Bürgermeister des zu 90 Prozent zerstörten Winzer-Dorfes Dernau, sagt: „Vom Land werden uns nur Steine in den Weg gelegt. Wir können aber nicht drei oder vier Jahre warten, bis wir eine neue Kita oder einen Fußballplatz genehmigt bekommen. Auch viele Bürger verzweifeln an den bürokratischen Verfahren.“

Ins Abseits gespielt
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Den flutgeschädigten Gemeinden entlang der Ahr ergeht es kaum besser. Für jede noch so kleine Wiederaufbau-Maßnahme müssen sie einen einzelnen, exakten Förderantrag beim Land stellen: Nach der tatsächlichen Flut ertrinken die Überlebenden in einer Bürokatie-Flut. Der Streit um einen riesigen Dreckhaufen, den Kolonnen von Lastwagen und Baggern nach der Flut am Ufer der Ahr aufgetürmt haben, ist dafür exemplarisch: Schätzungsweise 90.000 Tonnen Schlamm und Erde sind ein Streitfall: Das Land Rheinland-Pfalz will die Kosten des damaligen Aufräumeinsatzes nur bezahlen, wenn die Kreisverwaltung Ahrweiler exakte Rechenschaft über die Herkunft der Erdmassen ablegt. Das Land will also genau wissen, aus welcher Ortschaft das aufgeschüttete Material kam. Währenddessen wurden 16 von 17 Schulen in der betroffenen Region bis heute nicht saniert. Immer noch leben Menschen ohne Strom und Wasser.

Die Flutkatastrophe sei eine Folge der „Klimakrise“, wird seit einem Jahr mantraartig wiederholt. „Diese extremen Wetterkapriolen sind Folgen des Klimawandels“, meinte der damalige Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU). Der Klimawandel wäre in Deutschland „angekommen“, sagte Svenja Schulze (SPD), zu diesem Zeitpunkt Umweltministerin. Der Starkregen wäre „verbunden mit dem Klimawandel“, so der ehemalige nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet.

Dabei fällt die Ahrtal-Flut, was die Regenmengen angeht, keinesfalls aus dem historisch-statistischen Rahmen. Selbst der UN-Klimarat konnte für die meisten Arten von Wetterextremen keine klimawandelbedingte Zunahme feststellen. Das Gerede über die „Klimakrise“ sollte also von Anfang an vor allem das Staatsversagen verschleiern. Die Wahrheit ist: Am Ausmaß der Katastrophe von vor einem Jahr hatte nie eine „Klimakrise“, sondern die substanzielle Krise des dysfunktionalen, deutschen Staates schuld: Keine noch so starke Erderwärmung erklärt Bürokratiedschungel, in den Urlaub fliehende Minister und sträfliches Versagen des Staates.

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