In Frankreich findet Emmanuel Macron keine Regierungsmehrheit, in Großbritannien ist das Schicksal Boris Johnsons besiegelt worden – da meldet sich die Mutter aller europäischen Regierungskrisen zurück. In Italien droht der Regierung von Mario Draghi möglicherweise schon morgen das Aus. Neben Energiekrise, Krieg und Inflation gesellt sich der Reiter der politischen Instabilität hinzu.
Aus der Parteienkrise des M5S wird eine Regierungskrise
Die „Grillini“ waren einst angetreten, um die korrupten und inkompetenten Amtsinhaber aubzulösen. Kaum in Amt und Würden erwiesen sich die Linksalternativen jedoch als konzept-, orientierungs- und verantwortungslos. Auch kommunal enttäuschte die Partei, namentlich unter der Sterne-Bürgermeisterin Virginia Raggi, von der man gehofft hatte, sie könnte die Hauptstadt Rom auf Vordermann bringen. Stattdessen verschlimmerte sie die Situation.
Im ersten Kabinett unter Giuseppe Conte brillierte nicht der große M5S, sondern die kleinere Lega mit ihrem Innenminister Matteo Salvini. In der Nachfolgeregierung aus dem sozialdemokratischen Partito Democratico (PD) und dem M5S verblassten die Sterne noch mehr: Denn eigentlich galt der PD als Vertreter des linken Establishments als erklärter Feind. Dass der M5S dann auch noch dem verhassten Ex-EZB-Chef Draghi ins Amt verhalf, war für viele „aufrechte“ Sterne der letzte Beweis, dass die Partei dem Sumpf zuarbeitete, statt ihn auszutrocknen.
Die guten Ergebnisse der Wahl 2018 verpufften innerhalb weniger Monate. In heutigen Umfragen kommt der M5S noch auf rund 10 Prozent – und ist damit auf ein Drittel geschrumpft. In manchen Städten und Regionen bangen die Mitglieder um die Zukunft der Partei. Ende Juni folgte das nächste Kapitel: Der M5S spaltete sich in einen regierungsstützenden und einen regierungskritischen Teil.
Der Machtkampf zwischen Di Maio und Conte hat die Partei gespalten
Außenminister Luigi Di Maio, das einstige Aushängeschild der Partei, hat seine eigene Bewegung (Insieme per il Futuro, „Zusammen für die Zukunft“) gegründet, die Draghis Kabinett die Treue hält. Grund ist der Machtkampf mit Ex-Premier Conte, der jetzt Chef des M5S ist – und offenbar versucht, mit einem deutlich populistischeren Kurs Stimmen wettzumachen. Conte hat sich mit seiner Entmachtung nicht abgefunden. Er will auf den Sessel des Premiers zurück.
Conte hat deswegen schon in der Vorwoche die Krise geschürt, indem er mehrere Forderungen gegenüber Draghi stellte. Die belasten die Regierung der Nationalen Einheit des Premiers, der die Parteien rechts wie links an sich gebunden hat. Conte will einen höheren Mindestlohn, die Legalisierung von Cannabis und die Sterbehilfe – Punkte, die für die konservativen Parteien nicht hinnehmbar wären. Im Streit um die Ukraine-Politik legte Conte einen Gegenkurs zum Ukraine-freundlichen Draghi hin.
Die aktuelle Krise entzündet sich anlässlich eines Wirtschafts- und Entlastungspakets. Conte sieht darin falsche Schwerpunkte gesetzt und will dieses nicht mittragen. Am Donnerstag wird die Abstimmung über das Konjunkturpaket mit der Vertrauensfrage verknüpft. Bisheriger Stand ist, dass die Abgeordneten des M5S den Saal bei der Abstimmung verlassen wollen.
Draghi befeuert die Eskalation
Eigentlich könnte Draghi das Ausscheren der Sterne gelassen beobachten – denn seine Regierung hätte weiterhin eine Mehrheit. Doch stattdessen befeuerte der Römer die Eskalation. Sollten die Sterne ausscheren, dann stehe er nicht mehr als Premier zur Verfügung. Weitere Ultimaten von Parteien – wie den Neun-Punkte-Plan Contes – werde er nicht mehr akzeptieren. Draghi hatte schon bei Regierungsantritt deutlich gemacht, dass er den Posten als Premier nur übernehmen wolle, wenn man ihn auch darum bitte. Offenbar klebt Draghi im Gegensatz zu den meisten Vertretern der Gerontokratie nicht am Amt.
Am Mittwoch sollten sich die Fronten klären. Doch weder eine interne, fünfstündige Konferenz des M5S noch ein Telefonat zwischen Draghi und Conte konnte den Streit beilegen. Sollte Draghi zu sehr auf die Forderungen des M5S eingehen, muss er wiederum mit einem Bruch von rechts rechnen. Mittwochabend trafen sich die Vertreter des M5S erneut, um das Vorgehen am Donnerstag zu besprechen.
Die Regierungsparteien zeigen sich erschöpft
Die Situation unterscheidet sich daher von den beiden anderen Regierungsbrüchen der Legislatur. Eine deutliche Erschöpfung ist bei allen Parteivertretern zu spüren. Die nächste ordnungsgemäße Wahl wäre in weniger als einem Jahr. Und anders als Conte, der seine Macht zu sichern trachtete, scheint Draghi nicht zu jeder Kondition regieren zu wollen. Sollte der M5S morgen also tatsächlich den Regierungsbruch zementieren, könnten die Parteien mit einer gewissen Erleichterung der Neuwahl entgegensehen.
Doch das hängt – neuerlich – am M5S selbst. Womöglich könnten einige Vertreter kalte Füße bekommen. Denn der Wiedereinzug ins italienische Parlament gilt als unsicher. Eine andere Möglichkeit: Conte knickt am Ende ein und kommt Draghi entgegen. Das wiederum würde als Schwäche von Partei und Chef gewertet werden. So oder so: Der M5S ist am Ende. Die Frage bleibt, ob er bereit ist, die Regierung mit in den eigenen Abgrund zu zerren.