Tichys Einblick
Dollar-Euro-Parität

Der Euro ist schwach – und die deutsche Politik noch schwächer

Die zugleich mit der Energiekrise kommende Euro-Schwäche beweist die doppelte Abhängigkeit und ökonomische Wehrlosigkeit, in die zwei fatale Grundsatzentscheidungen Deutschland und damit auch Europa geführt haben.

Symbolbild

IMAGO / agrarmotive

Angesichts der vielen täglich eingehenden Hiobsbotschaften für Deutschland erscheint die heutige von den Devisenmärkten fast schon harmlos. Der Wertverfall des Euros gegenüber der Weltleitwährung US-Dollar hat ein historisches Maß erreicht: Am Dienstagvormittag notierte die europäische Währung kurzzeitig auf Parität zum US-Dollar. Zuletzt war das vor knapp 20 Jahren im Oktober 2002 der Fall, kurz nach seiner Einführung als Papiergeld.

Im exportorientierten Deutschland hatte man sich angewöhnt, einen gegenüber dem Dollar starken Euro als Nachteil zu betrachten. Aber das war auch früher eine kurzsichtige Betrachtungsweise. Die Kursentwicklung einer Währung gegenüber anderen war stets und bleibt eines der wichtigsten Indizien für die relative ökonomische Stärke und vor allem Stabilität dieses Währungsraumes in den Augen des Weltmarktes. Wenn jetzt die Währung der Eurozone immer weniger nachgefragt ist, so bedeutet das nichts anderes, als dass der Glaube an die wirtschaftliche Zukunft Europas und nicht zuletzt Deutschlands schwindet. Und mittlerweile kann auch der Blick auf Deutschlands Handelsbilanz nicht mehr über die Außenschwäche des Euro hinwegtrösten, denn diese Bilanz ist seit neuestem negativ: Deutschland hat im Mai mehr importiert als exportiert. Was nicht an abnehmenden Exporten, sondern an den extrem gestiegenen Preisen für Energieinfuhren lag – nicht zuletzt aus den USA!

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Die Parität sollte nicht als Zeichen für die besondere Stärke des Dollar gewertet werden. Beide großen westlichen Währungen sind durch ausufernde Staatsverschuldung und jahrelange Nullzinspolitik, die zu astronomischer Geldschöpfung führte, inflationiert worden. Und vermutlich stehen beide langfristig vor einem globalen Bedeutungsschwund. Nur ist der Euro eben im Vergleich noch schwächer als der Dollar. Dabei dürfte neben spezifisch ökonomischen Gründen auch die in den vergangenen Jahren offenkundig gewordene vergleichsweise größere geopolitische Verwundbarkeit Europas eine Rolle spielen. Der Ukraine-Krieg und die vielen instabilen Länder Nordafrikas und Westasiens sind Nachbarn Europas, nicht Amerikas. 

Die akuten Ursachen für die besondere Schwäche des Euro relativ zum Dollar sind naheliegend: „Die Gefahr einer Energiekrise in Europa ist das Damoklesschwert, welches über den Eurowechselkursen schwebt und diese belastet“, sagte Währungsexperte Ulrich Leuchtmann von der Commerzbank laut Presseberichten gegenüber der DPA. Angesichts der exorbitant gestiegenen Preise ist diese Krise eigentlich sogar schon Wirklichkeit. Die akute Stärke des Dollar und Schwäche des Euro hat aber auch damit zu tun, dass die US-Notenbank Fed schneller als die Europäische Zentralbank (EZB) die Zinswende eingeleitet hat, um die in beiden Währungsräumen grassierende Inflation in den Griff zu kriegen. Morgen werden neue Inflationsdaten für die USA im Juni veröffentlicht. Sie dürften zwar sehr hoch liegen – nach Umfragen erwarten Experten rund 8,8 Prozent. Aber als Reaktion darauf wird auch ein sehr deutlicher Zinsschritt der Fed von 0,75 Prozentpunkten erwartet.

Die EZB unter Führung von Christine Lagarde hat dagegen noch vor kurzem die Inflation als nur vorübergehendes Phänomen verharmlost und die Zinswende bis jetzt hinausgezögert. Das macht die Märkte eher zuversichtlich für den Dollar, oder zumindest weniger pessimistisch als für den Euro. Wer traut schon ausgerechnet der Inflationsverharmloserin Christine Lagarde einen entschlossenen Antiinflationskurs zu? Die europäische Geldpolitik wird bestimmt von einer Notenbankpräsidentin ohne geldpolitische Ausbildung und Notenbank-Erfahrung, die nun lapidar Fehler bei der Bewertung der Inflation einräumt und mit einer geradezu sprachlos machenden Chuzpe plötzlich das Gegenteil von dem verkündet, was sie noch vor wenigen Monaten gebetsmühlenhaft predigte: „Ich glaube nicht, dass wir in ein Umfeld niedriger Inflation zurückkehren werden.

Fraglich ist auch, ob Lagarde und andere Notenbanker in Frankfurt, aber auch bei der Fed in Washington das überhaupt wollen. Bezeichnenderweise werden Notenbanker immer seltener als „Währungshüter“ bezeichnet. Offenkundig ist ihre Lust, die Währung zu hüten, seit Jahren schon rückläufig. Und je länger die Politik des billigen Geldes praktiziert wurde, desto unattraktiver wurde die schnelle Umkehr in einem wirtschaftlichen Umkehr, das sich daran gewöhnt hatte. Nicht nur die Inflation, sondern auch ihre entschlossene geldpolitische Bekämpfung birgt existenzielle systematische Risiken, wie der Ökonom Sikandar Siddiqui in einem aktuellen Aufsatz feststellt: „Jeder ernsthafte Versuch nämlich, den derzeit hohen Inflationsdruck mit geldpolitischen Mitteln abzumildern, ginge mit einer erheblichen Verknappung und Verteuerung des Kreditangebots an den Nichtbankensektor einher. Mit einiger Wahrscheinlichkeit würde genau dies aber die Solvenz sehr vieler eher bonitätsschwacher Schuldner akut gefährden, sobald die Zinsbindungsfristen ihrer aktuell bestehenden Kredite auslaufen und sich die veränderte Marktlage folglich in sprunghaft ansteigenden Refinanzierungskosten niederschlägt. Unter ungünstigen Bedingungen kann eine solche Entwicklung zur Keimzelle einer neuen Finanzkrise werden.“ 

Dass die deutsche Politik an der Schwäche des Euro als Gemeinschaftswährung ohnehin wenig ändern kann, liegt auf der Hand. Das gilt natürlich auch für andere Mitgliedsstaaten.

Den im Wesentlichen nur kommunikativen, allenfalls kompensatorischen Inflationsmaßnahmen der deutschen Regierenden haftet längst der Geruch der Hilflosigkeit an. Der Kanzler hat sich auf die Inszenierung von Krisen-Treffen ohne handfeste Ergebnisse (die wohl auch kaum möglich sind) verlegt, nach denen er dann per Twitter gefühlige Anteilnahme und Durchhalteparolen verkündet (, was ihm vor der Kamera weniger gut gelingt). „Unterhaken“ ist dabei sein neues Lieblingswort (oder das seiner Ratgeber), das wohl eine Art neuartigen Ersatzpatriotismus angesichts düsterer Aussichten heraufbeschwören soll. 

Hinter solchen Parolen soll wohl verschwimmen, was offenkundig ist: Die heute regierenden Ampel-Parteien haben ebenso wie die oppositionelle Union im Laufe der jungen Geschichte der Währungsunion selbst dazu beigetragen, dass der Euro zu einer Inflationswährung wurde. Langzeitkanzlerin Merkel und Kabinettskollegen haben im Verlauf der sogenannten Eurokrise letztlich nur so getan, als ob sie die Stabilitätskriterien, vor allem das No-Bail-Out-Gebot, verteidigten. De facto haben sie die indirekte Finanzierung der eigentlich zahlungsunfähigen Mitgliedsstaaten durch die EZB zugelassen, weil die Alternative ein zumindest teilweiser Verfall der Eurozone gewesen wäre. Das wurde als ultimatives Scheitern betrachtet, weswegen es unbedingt zu verhindern war. Die SPD, auch Scholz, hat im Verlauf der Eurokrise aus der Opposition heraus sogar noch die zunächst scheinbar harte Politik von Merkel und dem damaligen Finanzminister Wolfgang Schäuble kritisiert. Von den Grünen ganz zu schweigen. 

Die gesamte politische Klasse – man muss das leider so pauschal feststellen – hat in den ersten beiden Jahrzehnten der Währungsunion die Aufweichung des Euro zu einer potenziell inflationären Währung hingenommen. 

Den heutigen Partei- und Fraktionsvorsitzenden der CDU, Friedrich Merz, der sich 2005 aus der Politik verabschiedet hatte, trifft daran zwar keine persönliche Schuld. Aber das macht seinen „7-Punkte-Plan gegen den Teuer-Schock“ in der Bild nicht weniger hilflos als die Unterhaken-Parolen des Kanzlers. Neben der Aufforderung an die „lieben Grünen“, die Atomkraftwerke weiterlaufen zu lassen (mit der angesichts grüner Vorlieben wohl eher kontraproduktiven Bitte „Tut es für Deutschland!“ unterlegt), und dem natürlich sinnvollen Vorschlag, „die Energiesteuern weiter abzusenken“, schlägt der vermeintliche Marktwirtschaftler Merz ernsthaft vor: „Wir brauchen jetzt einen deutschlandweiten Wettbewerb der besten Ideen! Jeder kann vom anderen lernen! Unternehmen, die am effektivsten Strom, Kraftstoff und Gas sparen, zeigen auf einer offenen Internet-Plattform, wie sie es machen.“ Wo soll denn der Anreiz für Ideen sein, wenn sie jeder Wettbewerber sofort nachahmen darf? Solche sozialistisch inspirierten Träumereien kennt man bislang eher von linken NGOs. 

Die bittere Erkenntnis wird nun immer konkreter spürbar: Deutschland ist auf den beiden wichtigsten Feldern der gegenwärtig sich aufbauenden Wirtschaftskrise weitgehend vom Wohlverhalten anderer Akteure abhängig. Die zur Transferunion gewordene Währungsunion macht eine nationale Antiinflationspolitik so gut wie aussichtslos. Währenddessen hat uns fast gleichzeitig die Energiewende in Abhängigkeit von (russischen) Gasimporten geführt und einen realistischen Blick auf die Kernenergie ideologisch tabuisierend verstellt. Zwei fatale Grundsatzentscheidungen zeigen jetzt gleichzeitig ihre schmerzhaften Folgen. Die immer parolenhaftere Kommunikation der Bundesregierung bereitet die Bürger schon längst darauf vor, dass sie die Hilflosigkeit ihrer Regierenden angesichts der in großem Maße selbst verschuldeten Misere auszuhalten haben werden.

Es bleibt nur die Hoffnung, dass der Machthaber im Kreml nach der Wartung von Nord Stream I wieder Gas fließen lässt. Erinnert sich noch jemand an die nur wenige Wochen alten Rufe nach einem Gas-Import-Embargo?

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