Um es gleich vorweg zu sagen. Der FDP-Vorgänger von Christian Lindner als Bundesminister und Parteivorsitzender, Guido Westerwelle, hätte für dieses Verhalten nur zwei Worte gefunden: spätrömische Dekadenz. Auch wenn ich mit meiner Meinung gegen den gerade anschwellenden Internet-Mainstream stehe: ich finde eine dreitägige Luxus-Hochzeit auf Deutschlands Schicki-Micki-Insel in Luxus-Restaurants und Luxus-Hotels in diesen Zeiten einfach falsch. Sorry, liebes Ehepaar Lindner. Meine Oma hätte schlicht angemerkt: das gehört sich nicht.
Ich betrachte das Ganze von der rustikalen Nachbarinsel Amrum aus. Sozusagen das Sylt für Arme. Und ich gönne mir hier meine Nordseescholle und meine Friesentorte und mein üppiges Hotel-Frühstück, obwohl ich weiß, dass weltweit Millionen von Kindern hungern müssen.
Und da sind wir beim Punkt. Es kann der herrschenden (fast-) Allparteien-Politik in der Regel doch moralisch nicht hoch genug hergehen. Kein Tag ohne Appelle an die Bürger, ans Land, ja an die ganze Welt. Alles trieft nur so von Moralin-Modevokabeln wie Solidarität, Gemeinsinn, Toleranz, Rücksichtnahme. Und vor allem: Verzicht, Verzicht , Verzicht …
Helgoland ist nicht weit entfernt. Die erste Strophe des dort entstandenen Deutschland-Liedes passt prächtig zur Links-Schickeria: Deutschland, Deutschland über alles —- über alles bei Klima, Corona, Migration, Waffenproduktion, Kriegseuphorie, AKW-Verzicht etc pp …
Und dieselben, die mir das in dramatischen, teils weinerlichen Appellen mit bebender Stimme abverlangen, sitzen in ihren dicken Dienstlimousinen und Business im Flieger. Sie halten sich einen Dreck an Masken-Pflicht und Abstand, tummeln sich auf Partys, schicken ihre Kinder in Privatschulen und leben (zusammen mit einem Großteil der Journalisten) in einer Parallelwelt ohne jeden Kontakt zur Normalbevölkerung.
Die Lindnersche Luxushochzeit ist ein Paradebeispiel für die Chuzpe dieses Paralleluniversums. Erst die schlimmste Wirtschaftskrise der Nachkriegszeit ausrufen und sich dann auf den Weg nach Sylt machen — drei (!) Tage feiern im 5-Sterne-Hotel und in den angesagten Luxus-Tempeln der Insel — das passt nicht, Herr Lindner. Das ist jene Selbstgefälligkeit, von der Sarah Wagenknecht schreibt (die selbst gerne Hummer isst, warum auch nicht).
Ging es nicht eine Nummer kleiner? In der Heimat Wermelskirchen? Im herrlichen Spreewald nahe Berlin? Nur aus Rücksicht, aus Anstand, aus Solidarität mit denen, die panische Angst vor der Zukunft haben. Wir sollen doch dauernd Zeichen setzen und Haltung zeigen. Wo ist denn Ihre Haltung, bitteschön?!
Klar, Ihre Kollegin Verteidigungsministerin hat es uns ja bereits vorgemacht, wie man mit Familie ohne Flughafen-Wartestunden nach Sylt kommt. Schloß Ellmau mit 18.000 Polizisten war ja ein Vorgeschmack der Geschmacklosigkeit in schwersten Krisenzeiten. Welche Prioritäten das Ampel-Kabinett im Terminkalender setzt, konnte man letzten Mittwoch erleben: bei der wichtigen Bundestagsdebatte über die Krise Deutschlands saß kein einziger Minister auf der Regierungsbank, keiner. Und auf Sylt tummelt sich ein Viertel unserer Regierung samt Begleit- und Sicherheitskommandos.
Ist denn keiner da, der „Stopp!“ ruft? Keiner wie Westerwelle mit seinem Verdikt von der „spätrömischen Dekadenz“?! Im Gegenteil: Leute wie Merz oder Laschet von der CDU feiern fröhlich mit. Und Annalena, Olaf und Robert dürfen auch nicht fehlen. All die Wasser-Prediger, die nun Wein trinken. Selters fürs Volk, Champagner für Wandlitz, das nun für drei Tage Sylt heißt.
Und hören wir nicht von überall aus den Politi-Etagen die Schalmeien der Kriegssolidarität mit der Ukraine, vor allem aus den Kirchen? Aber die evangelische Kirche entblödet sich nicht, eine solche Hochzeit auszurichten, statt den Hochzeitern ins Gewissen zu reden. Nach Kiew sind es von Sylt aus nur an die zweitausend Kilometer.
Verrückt: Nicht nur die falsche Migrations-Politik vergällt uns, „die wir schon länger hier leben“ (CDU-Jargon) den Schwimmbad-Besuch, jetzt wird das Wasser auch kaum mehr geheizt. Das scheint die herrschenden in ihrer Luxus-Prallelwelt nicht zu interessieren.
Wer in aller Welt soll der Polit-Schickeria, die sich gerade auf meiner Nachbarinsel versammelt, noch die Durchhalteparolen der kommenden Tage und Wochen abnehmen? Ich will gar nicht sagen, an was mich das alles erinnert.
Doch Sie können sich trösten: das dumme Volk macht auch das alles mit. Es wird staunend vor der Glotze sitzen und der FDP in der nächsten Umfrage ein Plus servieren. Mein Artikel ist also eigentlich für die Katz. Aber ich wollte mir nur mal mein Gewissen erleichtern. Denn wer schweigt, stimmt zu.
Ich will der Oma, die nicht mehr weiß, ob sie es im Winter noch warm hat, in die Augen schauen können. Oder dem saarländischen Fabrikarbeiter von Ford und Villeroy & Boch, der nach Jahren CDU-Misswirtschaft vor der Arbeitslosigkeit steht. Oder dem Familienunternehmer, dem die Pleite droht und für den die FDP einmal Schutz und Schild war. Die (fast-) Allparteien-Schickeria jetzt auf Sylt kann es nicht mehr. Es ist wie zu Noahs Zeiten oder wie auf der Titanic: vor dem Untergang wird nochmal eine richtige Sause gemacht. Koste es, was es wolle.