Deutschlands Politiker sehen sich gerne als verantwortungsbewusste Architekten des gemeinsamen europäischen Hauses. Sie sind sich ihres Gewichts im europäischen Kräftegefüge bewusst, glauben aber von sich selbst, dass die die Interessen anderer Mitgliedsstaaten immer „mitdenken” und Lösungen anstreben, die für alle vorteilhaft sind.
Natürlich stimmt das nicht, kann auch gar nicht stimmen – in der Politik werden Interessen anderer Akteure zwar immer mitgedacht, aber eigentlich nur, um in Anbetracht dessen die eigenen Interessen besser durchsetzen zu können.
Solange sich alle dabei vernünftig verhalten, und kein Akteur übermächtig wird, kann das gut funktionieren. Schwierig wird es, wenn ein relevanter Akteur unvernünftige Entscheidungen trifft, die dann zu massiven Problemen führen – und diese Probleme dann auf die anderen Mitgliedsstaaten abwälzen will.
In Deutschland blickte man auf die Griechen herab und schimpfte, dass man nun als „Zahlmeister Europas” den „faulen” Griechen beispringen müsse. Aber in manchen Bereichen hat sich Deutschland in den letzten Jahren ganz ähnlich verhalten wie Griechenland: Politische Fehler, massive Folgeprobleme, und dann der Versuch, einen Teil des Problems auf die anderen Mitgliedsländer abzuwälzen.
In der Migrationskrise 2015/16 wirkten die Worte und Handlungen der deutschen Regierung wie ein Brandbeschleuniger – ohne Absprache mit den EU-Partnern wurden die Grenzen geöffnet, und Bundeskanzlerin Angela Merkel verkündete: „Wir schaffen das”. Dann war man aber doch sehr rasch an den Grenzen dessen angelangt, was „geschafft” werden konnte, und hatte eine Idee: Sollen doch alle anderen EU-Länder verpflichtet werden, gemäß einer „Quote” dauerhaft Flüchtlinge aufzunehmen. „Europäische Solidarität” nannte man das. Aber was man eigentlich wollte, war Solidarität mit Deutschland.
Es scheiterte letztlich am aktiven Widerstand des ostmitteleuropäischen Visegrád-Blocks, und auch am passiven Widerstand vieler anderer Mitgliedsstaaten. Der deutsche Reflex aber war unmissverständlich sichtbar gewesen: Es war ein Versuch, Deutschlands Macht in der EU zu missbrauchen, um ein teilweise selbstgemachtes Problem auf die anderen abzuwälzen.
Wie löst man das Problem? Weniger heizen, sagt Wirtschaftsminister Robert Habeck. Von der CDU in Deutschland und vom deutschen EVP-Chef Manfred Weber wird nun eine „Europäische Gas-Solidarität” ins Spiel gebracht. Mitgliedsländer sollen nicht selbst über ihre nationalen Gasreserven verfügen dürfen, sondern alles Gas, welches die EU erreicht, soll über einen Verteilungsmechnanismus „gerecht” verteilt werden.
Da scheint es niemanden zu stören, dass es sich im Falle Ungarns um das so verpönte russische Gas handeln würde, welches Ungarn günstig und bislang verlässlich und in vollem Umfang geliefert bekommt. Wie auch Serbien. Ungarns Gasspeicher sind relativ gut gefüllt (derzeit 23% des Jahresbedarfs) und werden weiter aufgestockt. Belgrad und Budapest haben mittlerweile vereinbart, dass Serbien ungarische Speicher nutzen kann, um Gasreserven für den Winter aufzubauen. Und dass man sich im Bedarfsfall gegenseitig aushilft.
So sieht echte Solidarität aus: Man bespricht es freundlich und beschließt es. Ein politisches Tauziehen in der EU, um Mitgliedsländer wie Ungarn dazu zu zwingen, etwas zu tun, was für Mitgliedsländer wie Deutschland gut ist, ist keine Solidarität und wird nicht funktionieren. Vor dem Hintergrund blockierter Covid-Fonds für Ungarn und Polen und Artikel 7-Verfahren gegen beide Länder darf man von ihnen nicht allzuviel Entgegenkommen erwarten.