Klaus Müller, der Präsident der Bundesnetzagentur, hat gute Chancen, zu einer prominenten Persönlichkeit in Deutschland zu werden. Spätestens nach seinem aktuellen Alarmruf im Interview mit der Funke Mediengruppe dürften ihn sehr viele Deutsche nun kennen. Er befürchtet den Totalausfall russischer Gaslieferungen und appelliert an die Bevölkerung, Energie zu sparen. Wenn der Gasfluss aus Russland „motiviert länger anhaltend abgesenkt wird, müssen wir ernsthafter über Einsparungen reden“. Und er mahnt nicht die Politik, sondern die Nutzer von Gasheizungen zur Eile: Sie sollten diese unbedingt noch im Sommer warten lassen, das könne „den Gasverbrauch um zehn bis 15 Prozent senken“. Und: „Das muss jetzt passieren und nicht erst im Herbst.“ Familien sollten jetzt schon darüber reden, „ob im Winter in jedem Raum die gewohnte Temperatur eingestellt sein muss – oder ob es in manchen Räumen auch etwas kälter sein kann“.
Man muss sich klarmachen, was das bedeutet: Notstromaggregate! Eine der führenden Industrienationen der Welt sinkt damit auf das Niveau eines Entwicklungslandes herab. Die Unsicherheit der Stromversorgung ist für potentielle Investoren stets ein gewichtiger Grund, Produktionsstätten nicht in bestimmte Ländern zu verlegen.
Nun ist er also da, der Energienotstand. Wann machte man sich in Deutschland zuletzt Sorgen vor einem herannahenden Winter? Jedenfalls nicht mehr seit Gründung der Bundesrepublik. Und die Lage entbehrt nicht einer gewissen Ironie: Die Energiewende, die die Erwärmung des Weltklimas abwenden soll, führt nun, da man sich auf russisches Gas verließ, dazu, dass die Deutschen im Winter frieren werden.
Erstmals in der Nachkriegsgeschichte müssen die Deutschen, beziehungsweise die in Deutschland Lebenden wohl kollektiv ganz konkret spürbare Wohlstandsverluste hinnehmen. Räume nicht oder zumindest weniger als gewünscht heizen zu können – solche Erfahrungen haben heutige Generationen nie gemacht. Und auch heutige Politiker haben keine Erfahrungen darin, Bürgern solche ganz konkreten Einschränkungen der für selbstverständlich gehaltenen Bequemlichkeiten zu vermitteln.
Bisher übliche Versprechen des in allen Notlagen einspringenden (Sozial-)Staates sind nun erstmals nicht mehr möglich. Auch in dieser Hinsicht ist der bevorstehende Erdags-GAU eine Zeitenwende, allerdings eine, die die deutsche Politik nicht ausgerufen hat. Da wird wohl noch einiges auf sie zukommen.
Der Kanzler weiß das. Er hat den Deutschen vor wenigen Tagen nicht versprechen wollen oder können, dass ihre Wohnungen warm bleiben, als er im ARD-Interview unmittelbar nach dem G7-Gipfel direkt von der Interviewerin Tina Hassel danach gefragt wurde. Das war ein erstaunlicher Moment, dessen Bedeutung der ARD-Hauptstadtbüroleiterin offensichtlich gar nicht klar geworden ist.
Das Drumrumgerede des Kanzlers verdeckt nur seine Rat- und Machtlosigkeit in der Frage der Gasversorgung. Die Bundesregierung kann nur zum Sparen, also letztlich zum Verzicht auf Wärme auffordern – und hoffen, dass die jetzt schon von steigenden Preisen und im Herbst von fallenden Zimmertemperaturen betroffenen Bürger sich wenig Gedanken über den Anteil von in Berlin und Brüssel getroffenen politischen Entscheidungen an diesen Entwicklungen machen.