Es ist schlechter Stil, wenn man sich selbst zitiert; das riecht nach Rechthaberei. Aber manchmal muss es sein. „Inflation ist der Elefant, der im Raum steht: Jeder sieht ihn, kaum jemand in Politik und in den Medien spricht darüber. Die Bundesregierung hofft, dass die Preissteigerung von fünf Prozent im vergangenen Jahr abflacht“.
Das war im Januar, und wer das Wort Inflation in den Mund nahm, wurde gerne als Angstmacher verschrien. Unverändert hielt die EZB an ihrem Ziel fest, die Inflation in Europa anzuheizen, damit sie sich der Zwei-Prozent-Grenze annähern sollte. Damals betrug die Inflationsrate aber bereits das doppelte vom Zielwert, nämlich fünf Prozent; bis zum Jahresende diesen Jahres wird sie sich mindestens verdoppeln. Aber das ist der EZB erst jetzt aufgefallen – dabei hat sie die Inflation befeuert, immer neue Benzinkanister ins Feuer geschüttet, obwohl diese Fehlentwicklung längst klar war.
Keiner hat es kommen sehen?
Und nun rudert EZB-Chefin Christina Lagarde zurück. Auf einer Tagung der Notenbankchefs in Sinatra in Portugal räumt sie Fehler ein. Man habe sich getäuscht. Geldpolitik sei keine reine Wissenschaft, sondern „auch Kunst“. Dumm gelaufen, wenn die Preise davonlaufen, sagt sie jetzt. Mit dieser Form naiver Selbstkritik ist sie nicht allein. Die ökonomischen Modelle haben Schwächen, sagte Lagarde jetzt und will klären, wie es zu den jüngsten Fehleinschätzungen der Inflationsgefahren gekommen sei: „Das ist eine nützliche Übung.“ So habe die EZB unter anderem den Anstieg der Energiepreise unterschätzt.
Auch der Generaldirektor der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) Agustin Carstens gesteht Fehler ein. „Wir verstehen Inflation heute etwas besser als früher, aber wir verstehen nicht alles.“ Mit der Bedeutung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage für Inflation und Wirtschaftswachstum habe man sich lange beschäftigt. Jetzt sei es notwendig, sich stärker mit dem gesamtwirtschaftlichen Angebot zu befassen. Und „wir verstehen jetzt besser, warum wir wenig von Inflation verstehen“, meinte der Vorsitzende der amerikanischen Federal Reserve, Jerome Powell. „Wir dachten, dass nach der Pandemie die Angebotsprobleme schneller verschwinden würden.“
Man hat sich also getäuscht. Oder hat man sich gerne täuschen lassen? Oder sogar die Öffentlichkeit beschwindelt?
Die offenkundigen Fehler der Geldpolitik
Man muss nur ein halbes Jahr zurückblättern, um die dramatischen Fehler der EZB zu benennen: Zwei Prozent Inflation als Ziel – das ist an sich schon meschugge. Geldentwertung ist kein Thermostat am Wohnzimmer-Heizkörper, mit dem man beliebig die Raumtemperatur ändert. Inflation ist ein komplexes Phänomen. Aber hinreichend studiert und erklärt. Selbstverständlich verstehen wir genug von Inflation, um ihr Kommen zu erklären. Da ist zunächst die Geldmenge. Jede Wirtschaft braucht Geld, um die notwenigen Zahlungsvorgänge abwickeln zu können. Früher brauchte man dazu Münzen aus Gold; ohne Münzen keine Wirtschaft. Waren Münzen knapp, kamen Handel und Produktion aus Geldknappheit zum erliegen. Aber wieviel „Geld“ braucht die Wirtschaft?
Man kann etwa die Zentralbank-Geldmenge nehmen, die vor der Krise von 2008 und der großen Finanzkrise ausgereicht hat, die europäische Wirtschaft zu versorgen. Kaum Inflation, moderates Wachstum, die Wirtschaftswelt halbwegs in Ordnung. Das waren damals 880 Milliarden Euro. So viel Schmiermittel hatte für die reibungslose Funktion der Eurozonenwirtschaft ausgereicht. Die Europäische Wirtschaft ist seither nicht gewachsen. Zugenommen hat nur die Geldmenge – nicht Produktion, nicht der Konsum. Im Januar betrug sie rund 6,1 Billionen Euro. „Knapp fünf Billionen von 6,1 Billionen Euro sind gemessen an dem, was relativ zur Wirtschaftsleistung ausreicht, überflüssig“, rechnete im Januar Hans-Werner Sinn vor.
Diese Summe von rund 5 Billionen – also etwa das sechsfache dessen, was Konsumenten und Wirtschaft brauchen, hat die EZB im wesentlichen den Staaten für ihre Schuldenmacherei zugeschustert. Es liegt auf Konten, Tresoren herum und richtet kaum Schaden an.
Das Zündholz im Benzinfass
Der Schaden, also Inflation, entsteht erst, wenn es aus irgendwelchen Gründen zu einer Angebotsverknappung kommt. Das ist seit zwei Jahren der Fall – wegen Corona wurde weniger produziert, brachen Lieferketten zusammen. Der Angriff Russlands auf die Ukraine kommt dazu. Das sind die Zündfunken, um die Inflation zu entflammen. Die vielen Billionen Zentralbankgeld sind das Brennmaterial.
Dieser Mechanismus ist bekannt. Alle Inflationsprozesse laufen nach diesem Muster ab: Staaten verschulden sich, Geld ist im Überfluss vorhanden – und irgendwann passiert es. Die Monsterinflation der 20er Jahre wurde durch die Geldmenge ausgelöst, mit der das Deutsche Reich den Ersten Weltkrieg finanziert hatte. Der eigentlich Auslöser für die Inflation nach dem Krieg war die Besetzung des Ruhrgebiets durch Frankreich und der dagegen ausgerufene Generalstreik in Deutschland. Ohne Ruhrkohle und Ruhrstahl keine Produktion; und wenn gestreikt wird, ist sowieso Schicht im Schacht.
Ganze Denkschulen sind danach benannt, etwa der „Monetarismus“, der kurz gesagt davon ausgeht, dass es die Moneten sind, die Geldmenge ist, die diese Prozesse befeuert. Also muss die Geldmenge streng kontrolliert werden. Dagegen hat die EZB verstoßen. Statt die Inflation zu bekämpfen, was ihre Aufgabe wäre, hat sie die Finanzierung der Regierungen übernommen und Geld „gedruckt“ – heute heißt das: per Knopfdruck in den elektronischen Systemen erzeugt. Man kann gar nicht alle Kritiker aufzählen, die vor den Folgen gewarnt haben. Christine Lagarde und ihre Kollegen beteuern jetzt, sie hätten es nicht gewusst. Wenn das so ist, dann ist das entweder gelogen – oder eine intellektuelle Bankrotterklärung. Denn diese Zusammenhänge lernt jeder Student und jede Studentin der Volkswirtschaftslehre im Grundstudium. Nur in der EZB scheint dies unbekannt. Die Folgen sind verheerend.
Variatonen des Themas – Greenflation
Selbstverständlich kommen zu den Grundprinzipien noch ein paar Variationen. Etwa „angebotsorientierte Inflation“. Wenn Güter knapp sind, werden sie teuer. Das ist nicht weiter schlimm, über diesen Preismechanismus wird die Wirtschaft gesteuert. Konsumenten und Wirtschaft passen sich den Preisänderungen an. Sie weichen aus, suchen andere Produkte, verändern Produktionsprozesse und Vorlieben. Vereinfacht gesagt: Wird Butter teuer, geht Margarine. Und die Bauern stellen mehr Kühe in den Stall; mehr Kühe, mehr Milch, mehr Butter, sinkender Butterpreis: Marktwirtschaft reagiert. Wird Gas teuer, steigt man um auf Öl. Oder Kohle. Oder Atom. Aber halt. Was ist, wenn alles teurer wird? Dann steigen alle Preise, und Anpassungsmechanismen gibt es dann kaum; auch Geschmacksänderungen helfen nicht mehr viel.
Die Landwirtschaft trifft es dreifach: Erstens, weil landwirtschaftliche Produktion auf dem Acker und im Stall über eine Vielzahl von „grünen“ Gesetzen verteuert wird. Zweitens, weil Dünger, Landbearbeitung energieintensiv ist, seit der Bauer nicht mehr von Hand das Getreide schneidet und drischt. Drittens: Verarbeitung zu Essen, also zur Mahlzeit auf dem Teller, backen, kochen, einfrieren, auftauen, erwärmen und was es alles gibt, ebenfalls viel Energie verbraucht.
Der Lebensmittel-Index der Welternährungsorganisation FAO hat den höchsten Stand seit 1961 erreicht. Auf der weltweiten Teuerungsliste der Welternährungsorganisation FAO stehen die Speiseöle ganz oben (Steigerung seit April 2016 135 Prozent), gefolgt von Getreide (92 Prozent) und Milchprodukten (91 Prozent). Fleisch mit 39 Prozent und Zucker mit 30 Prozent sind geringer gestiegen. Diese Inflation beginnt bei den Bauern, setzt sich über jede Verarbeitungsstufe fort und endet am Preisschild im Supermarkt. Auch das ist ein Vorgang, der längst bekannt ist – wohl nur außerhalb der EZB.
Und hier beginnt das eigentliche Problem: Dieser Prozess ist gewollt und hat einen Namen: Dafür hat sich längst der Begriff „Greenflation“ eingebürgert. Es sei gar keine „richtige Inflation“, so die beschönigende Beschreibung der Wirkung. Es gehe um die Rettung des Weltklimas, um „wahre Kosten“, nicht um die Folgen der Geldpolitik. Doch es ist ein Eingeständnis: Diese Form der Inflation ist gewollt, geplant, bewusst herbeigeführt – und in den Auswirkungen für den Verbraucher so verheerend wie jede andere Ursache:
- der Energieverbrauch wird verteuert durch die gezielte Erhöhung von Steuern auf fossile Energien, die CO2-Abgaben genannt werden – teure Energie aber verteuert alle Folgeprodukte, Transporte und Mobilität;
- die Energieerzeugung wird verteuert durch Abschalten von Atom- und Kohlekraftwerken sowie den Versuch, dies durch mehr Wind- und Sonnenenergie aufzufangen, die ein Vielfaches kosten und gewaltige Investitionen in Anlagen, Leitungsnetze und Entschädigungen für Stromlücken erzwingen;
- Gas soll andere Energieträger ersetzen und breit eingesetzt werden, um Strom und Wärme zu erzeugen. Aber gerade der Gaspreis wird voraussichtlich extrem ansteigen, wenn russisches Leitungsgas durch Flüssiggas (LNG) ersetzt werden soll. Noch allerdings ist es nicht Putin, der die Energiepreise treibt, sondern die „Energiewende“. Die Folgen des Kriegs in der Ukraine werden erst spürbar und kommen noch dazu, wenn es zum Gasboykott kommt;
- Lebensmittel sind zu billig, lautet das Mantra der Landwirtschaftspolitik; Lebensmittel werden jetzt teurer durch den Einsatz teurer Energie, durch erzwungene Flächenstilllegung, Düngemittelverbote und diverse „Tierwohlmaßnahmen“;
- preiswerte Verbrenner-Autos werden durch teure E-Autos ersetzt, für die zudem die Stromversorgung wie die notwendige Ladeinfrastruktur fehlt. Dafür werden bestehende Versorgungsnetze, Fahrzeuge, Technologien und Fabriken entwertet und den Verbrauchern neue preissteigernde Lasten aufgebürdet.
Es ist die Politik der „Großen Transformation“, die über steigende Preise bei sinkenden Netto-Einkommen den Wohlstand reduziert. Für das Klima sollen alle ärmer werden.
Und das alles hat Christine Lagarde nicht gewusst? Dann wäre es eine intellektuelle Bankrotterklärung. Aber vielleicht ist es gewollt: Dann ist es grüne Politik. Am Ende schrumpft der Wohlstand. Nicht aus geheimnisvollen Gründen, nicht aus unerforschten Zusammenhängen. Nein, es ist Absicht. Inflation ist politisch gewollt, sie wird den Menschen aufgebürdet, die nicht wie grüne Funktionäre, Politiker und NGOs aus Steuergeldern finanziert werden, sondern sich über Arbeit oder ihre beitragsfinanzierte Rente ernähren müssen. Inflation ist ein gewollter Anschlag auf das Wohl der Menschen. Alles andere ist Bullshit.