In Kassel erwartet den Besucher der Documenta 15 ein vogelwild buntes Potpourri von Kunst, Action und Party, alles dominiert von der tiefen Abneigung gegen die Werte des Westens und der Hochkultur. Gewürzt ist das Ganze mit giftigen Prisen von Antisemitismus.
Dabei hat das indonesische Kunstkollektiv Ruangrupa, verantwortlich für das Ausstellungs-Konzept, übersehen, dass es in Berlin zwar manche Toleranz gegenüber Hass gibt, sofern er sich gegen die vermeintlich Richtigen wendet; dennoch gibt es in Deutschland auch eine gewisse Sensibilität gegenüber blankem Judenhass. Also gab es zum Start der Documenta einen Skandal, schließlich musste ein besonders übles, israel-feindliches Machwerk mit einem Tuch verhängt werden.
Allerdings belegt der unverhohlene Antisemitismus nur teilweise die Schamlosigkeit der Ausstellung. Fragwürdig ist es sicher auch, dass im Zentrum der mit 42 Millionen Euro subventionierten Veranstaltung vieles steht, was explizit nicht in den Rahmen der klassischen Kunst passt: vor allem sehr viel Palaver und Party.
Diese Documenta 2022 spiegelt beeindruckend den Zeitgeist, den Widerwillen gegen die traditionellen Werte des Westens, gegen die bekannten Formen auch der modernen Kunst, ja, sie stellt explizit den Kunstbegriff als solches in Frage; und natürlich erfüllen die Veranstaltungen jede Forderung nach (zumindest ethnischer) Diversität und einem post-kolonialen, anti-rassistischen Blick auf die Welt.
Die Freude über das recht schlichte Konzept der Kuratoren aus Südostasien mit einem Schwerpunkt auf Begegnung, Festen, Palavern, Kontakten und Freundschaft, ganz im Geiste des „Lumbung-Konzepts” (Reisscheune für die Lagerung von kollektiv verwalteten Lebensmitteln) kann allerdings auch verstanden werden als Beleg für die tiefe Verunsicherung, die irritierende Ratlosigkeit und den ängstlichen Kleinmut westlicher Gesellschaften.
Getrübt wurde diese Freude über den revolutionären Ansatz, den man bösartig auch „Kunst mit möglichst wenig Kunst“ nennen könnte, erst einmal von dem schwer zu übersehenden Antisemitismus mancher Kunstwerke. Auch wenn die ersten Kritiker des Feuilletons der öffentlich-rechtlichen Sender und großer Zeitungen – abgesehen vielleicht von dem Gemälde „Guernica Gaza“ – nichts Verwerfliches auf der Ausstellung erkennen konnten, irritierten dann doch bei näherem Hinschauen die künstlerischen Darstellungen von Juden mit Raffzähnen oder Schweinekopf. Während alle anderen, direkten oder indirekten Angriffe auf abendländische Werte im Geiste der kolonialen und imperialen Schuld der Europäer sowie des tiefen Respekts vor anderen Kulturen als höchst bereichernd gesehen werden, ging das mit den Juden doch zu weit.
Angesichts der frühen Warnungen vor dem Documenta-Konzept Ruangrupas, die sich als die „Vertreter des globalen Südens“ verstehen, gab es zunächst nur Beschwichtigungen. Vor allem Kulturstaatsministerin Claudia Roth verteidigte die Kuratoren und betonte im Spiegel, dass sie nicht „als Kulturpolizistin“ den Daumen über einzelne Kunstwerke heben oder senken werde. Die Grünen-Politikerin, die öffentlich mit iranischen Israel-Hassern schäkert, verteidigte das Recht, „Israel zu kritisieren“, und gibt mit empörender Naivität vor, nicht zu wissen, dass die BDS weltweit versucht, auch in Wissenschaft und Kultur jede jüdische Beteiligung auszumerzen. Als dann die Bild-Zeitung die Veranstaltung als „Kunstausstellung der Schande“ geißelte, kritisierte die 67-Jährige das als „klare Grenzüberschreitung“.
Doch sogar Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der sich schon vor dem Grab des PLO-Chefs Yassir Arafat verbeugt und den Israel-Hassern in Teheran zu ihrer islamischen Revolution gratuliert hatte, warnte erstaunlich deutlich bei der Eröffnung der Documenta vor den antisemitischen Anklängen der Ausstellung. Wo Kritik an Israel umschlage „in die Infragestellung seiner Existenz“, sei die Grenze überschritten.
Am Montag nun gestand auch Roth ein, dass es auf der Documenta Gemälde mit „antisemitischer Bildsprache“ gebe. Schließlich wurde das an der C&A-Hausfassade angebrachte Gemälde der indonesischen Künstlergruppe „Taring Padi“ verhängt, das einen Juden mit Dracula-Zähnen und SS-Runen auf dem Kopf sowie ein Schwein mit Davidstern auf dem Revers und der Aufschrift „Mossad“ auf dem Helm zeigt. Nicht nur Israels Botschaft fühlte sich bei diesem neun mal zwölf Meter großen, an ein Schlachtengemälde erinnerndes Wimmelbild „an die Propaganda von Goebbels“ erinnert.
Die gigantische 100-Tage-Show in Kassel, die den Steuerzahler trotz saftiger Eintrittspreise satte 42,2 Millionen Euro kostet, hat eine klare politische Botschaft, die sich nahtlos einfügt in die radikale, grundsätzliche Kritik an den Werten des freien Westens, im Grunde ein Frontalangriff – vor allem in den Universitäten und den Kultureinrichtungen – auf alles, was sich mit der abendländischen Welt verbindet. Wissenschaftlich basiert das auf die florierenden post-kolonialen und post-rassistischen Studien, unterstützt von radikalen, identitätspolitischen Bewegungen.
Die Documenta 15 wird vor allem von Ruangrupa getragen, die zudem 14 andere Kollektive sowie Künstler, Aktivisten und Sozialarbeiter aus der Dritten Welt eingeladen hat. Präsentiert werden soll ein Füllhorn voller Ideen, wie die Welt besser und gerechter werden kann. Ziel sei die „Solidarität marginalisierter Gruppen“, geträumt wird von einer „alternativen Wirtschaft“, Ruangrupa nennt das ein neues „Ekosistem“. Es ist explizit anti-kapitalistisch und vom kollektiven Gedanken beseelt.
„Das Praktizieren von lumbung ermöglicht eine alternative Ökonomie der Kollektivität, des gemeinsamen Ressourcenaufbaus und der gerechten Verteilung. lumbung basiert auf Werten wie lokaler Verankerung, Humor, Großzügigkeit, Unabhängigkeit, Transparenz, Genügsamkeit und Regeneration“, heißt es auf der Website des Kollektivs. Während die Documenta gegründet worden war, um „Europas Kriegswunden“ (nach dem II. Weltkrieg) zu heilen, so soll die Dokumenta 15 „die heutigen Verletzungen heilen, insbesondere jene, die in Kolonialismus, Kapitalismus und patriarchalen Strukturen wurzeln“.
„Lumbung steht nicht für ein Konzept, sondern für die Praxis … Diese Praxis verändert sich dynamisch in der Interaktion zwischen Menschen“, heißt es in einer Documenta-Mitteilung. Die Ausstellung sei nicht statisch, sondern verändere sich zu Treffpunkten, Diskussionsforen, Lernorten und Schauplätzen für Performances, Vorträge und Filmscreenings. Wesentlich sei die Tradition des Teilens zwischen Künstlern, Aktivisten, Funktionären und anderen Teilnehmern.
Die Documenta will eine Gegenwelt zum westlichen Kulturraum entwerfen. Dazu gehört es, die Relativität, ja wenn nicht sogar die Wertlosigkeit einer auf Leistung, Originalität und Konkurrenz, auf individuelle Genialität und Können fixierten Kunst aufzuzeigen. Ruangrupa lehnt das westliche Ideal des Künstlers als Genie ab, möchte den Gesetzen des Kunstbetriebs und der Kultur-Institutionen entweichen. Welch ein wunderbares Geschenk, diese Ideale auf der vermutlich teuersten Kunstaustellung der Welt umzusetzen.
Qualität beweist sich nach Ansicht der Veranstalter schon in der weitgehenden Abwesenheit von Künstlern aus Europa und Nordamerika. Die klassischen Kunstkriterien der „imperialistischen“ Welt sind auf der Documenta 15 verpönt, hier sollen kaum Gemälde, Skulpturen oder Installationen im Vordergrund stehen, mit denen sich womöglich Museen, Galerien und Sammler brüsten könnten.
Nun kennt auch die moderne Kunst des Westens flüchtige oder situative Formen künstlerischen Schaffens, etwa Happenings und andere „action art“. Joseph Beuys, der 1982 auf der siebten Documenta 7000 Eichen pflanzte, wollte mit Aktionen oder „sozialen Skulpturen“ die Gesellschaft verändern. Ein Christoph Schlingensief provozierte mit gesellschaftskritischer Aktionskunst.
Es ist eine Documenta der Schamlosigkeit. Es wurde, was beispielsweise den Antisemitismus angeht, gelogen und betrogen. Der Kunstbegriff wird radikal politisiert und zumindest teilweise quasi entkernt. Alles ist Kunst. Früher hieß es wenigstens noch: Alles geht. Jetzt geht alles, sofern es keinen toxischen westlichen Bezug hat oder aber, wenn der Westen am Pranger steht. Claudia Roth formulierte es so: In Kassel stehe die „herkömmlich geprägte Kulturbetrachtung“ auf dem Prüfstand. „Ich bin auf die Konfrontation gespannt. Das wird eine neue, sehr provokative, auflösende Form von Kunst und Kultur sein“, sagte sie.
Die Grünen-Politikerin lobt das mutige Konzept der Kuratoren. Vielleicht aber ist es genau das Gegenteil, nämlich ein mutloses, wenn nicht feiges Konzept. Denn möglich ist eine Ausstellung, die die Werte des Gastgebers fundamental und unwidersprochen in Frage stellt, nur in einem Land mit relativ geringem Selbstwertgefühl, einer Gesellschaft, in der es kaum noch Stolz auf die eigenen Leistungen gibt, kein Selbstbewusstsein gegenüber einer oft aggressiven, fordernden Welt, keine Liebe zu der eigenen Kultur, ihren Meisterwerken und ihren kühnen Entwürfen.
Wer die eigene Kultur durch die Augen der post-kolonialen Studien und der Gender-Wissenschaft sieht, kann in Michelangelo oder Picasso, Goethe oder Mozart nur fragwürdige Repräsentanten der weißen, europäischen Vorherrschaft sehen. In Wirklichkeit spiegelt diese Documenta die Absurdität der Moderne wider, die Verwirrtheit des Westens, den Selbsthass der Deutschen, die Orientierungslosigkeit einer irre gewordenen Zeit. Es ist in gewisser Weise eine großartige Documenta, weil für jeden, der noch bei Verstand ist, die Absurdität dieser sogenannten Kunstausstellung deutlich wird.