Als Kandidat ist Olaf Scholz (SPD) in den Wahlkampf gezogen, ohne eine Koalition mit Grünen und Linken auszuschließen. Doch der Wähler hat ihn eingezäunt: Er kann Kanzler werden, aber er braucht dafür einen bürgerlichen Partner. Die Linke hat der Wähler aus dem Bundestag verbannt. Dort ist sie nur noch vertreten dank Direktmandaten in Berlin, wo die Wahl unter irregulären Bedingungen stattgefunden hat, wie TE exklusiv berichtete.
So hat jüngst Gerhart Baum einen Meinungsartikel geschrieben, wonach der einzige Grund für die Wahlniederlagen der FDP darin liegt, dass sie Lockerungen bei Corona durchgesetzt habe. Baum war mal Bundesminister. Nicht unter Merkel oder Schröder, auch nicht unter Kohl, sondern unter Helmut Schmidt, als Franz Beckenbauer noch aktiv Fußball spielte. Nun lernen Politikstudenten schon im ersten Semester, dass Wahlergebnisse eigentlich nie monokausal sind, sondern immer durch mehrere Ursachen zusammenkommen.
Doch der eine Grund, den Baum nennt, passt Sandra Maischberger und ihrer Redaktion so sehr in die eigene politische Agenda, dass sie fest gewillt ist, diese Anfängerregel der Politik zu ignorieren: Der Journalist Wolfram Weimer sagt, die FDP verliere wegen Friedrich Merz. Dem sei es gelungen, die CDU für bürgerliche Wähler wieder attraktiver zu machen. „Aber Baum hat gesagt …“ hält Maischberger dagegen. Die FDP leide an der „Darstellungsfrage“, sagt der Kabarettist Mathias Richling. „Aber Baum hat gesagt …“
Nun ist Bundesjustizminister Marco Buschmann in der Sendung, um (ungewollt) die „Darstellungsfrage“ zu verkörpern, die Richling als Problem der FDP erkannt hat. Wo Robert Habeck selbstbewusst, eloquent und offensiv grüne Positionen vertritt, ist Buschmann die geborene Defensive. Zuerst sieht die Dramaturgie der Sendung diese Rolle für den Liberalen auch vor. Er muss sich mit Baums Theorie auseinandersetzen, dass allein die Corona-Lockerungen zu Niederlagen der FDP geführt hätten.
Nur so deutlich sagt Buschmann das eben nicht. Wir bräuchten ein „Stück mehr Normalität“; „wir haben mit Maßnahmen gearbeitet, deren Schäden wir jetzt erst sehen“; oder „wir haben zu lange improvisiert“, kreist Buschmann um den Punkt, statt auf ihn zu kommen.
Es ist also tatsächlich die „Darstellungsfrage“, an der Buschmann scheitert. Ob es denn eine Maskenpflicht in Innenräumen geben solle, wie es Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vorschlägt, will die Moderatorin wissen. Während hinter beiden das komplette Publikum mit der schwarzen Maischberger-Einheitsmaske über dem Mund sitzt. Eine bizarre, äußerliche Situation, die der Medienprofi Habeck mutmaßlich für sich genutzt hätte. Buschmann lässt sie verstreichen und nutzt als einziges rhetorisches Mittel die direkte Ansprache: „Schauen Sie mal, Frau Maischberger.“
Dazu eine passive Körpersprache. „Aber Frau Maischberger.“ Und dazu das äußere Erscheinungsbild eines A9-Beamten. „Frau Maischberger.“ Buschmann erinnert an die beiden Männer in Loriots Badewannen-Sketch – „Herr Müller-Lüdenscheid!“. Dem Zuschauer Maischbergers geht es mit Buschmann wie mit diesen Comic-Figuren: Er hört ihm zu, findet ihn irgendwie lustig und versteht nicht ganz, warum.
Diese komplette Agenda kommt bei Maischberger nur in einem Format vor: Sie gibt dem Gast ein Stichwort und der soll kurz darauf antworten. Ein hoch innovatives Format. Wenn man ins Jahr 1991 zurückreist. Und dort dann für eine Schülerzeitung arbeitet. Als Anfängerin. Im Jahr 2022 füllt das Stichwort-Geblubber nur Sendezeit ohne Mehrwert. Aber es wäre an Buschmann, liberale Positionen zu vertreten – und das selbstbewusst. Doch der Jusitzminister lässt jede Chance verstreichen.
Am deutlichsten wird, wie schlecht Buschmann die liberale Idee vertritt, bei der Frage, ob die Impfpflicht für Pfleger aufgehoben werde: „Es war ein laut vorgetragener Wunsch der CDU.“ Also eine Schuld eingestehen, indem man sie an einen anderen weitergibt. Aber er ist in der Regierung, er ist Justizminister, warum schafft er die „einrichtungsbezogene Impfpflicht“ nicht einfach ab: „Es ist nicht so, dass vulnerable Gruppen nicht weiter geschützt werden müssten.“ Erst keine liberale Position haben und das dann noch nicht mal offensiv vertreten, sondern durch eine doppelte Verneinung. Oder wie es Richling sagt: „Das Problem der FDP ist die Darstellungsfrage.“
Im Dialog mit Uhlmann preist SPD-Chefin Saskia Esken die Wohltaten des „Entlastungspaketes“ an. Ob das nicht etwas schnell übers Knie gebrochen wurde, will Maischberger wissen. Nein. „Wir haben eine ganze Nacht verhandelt“, antwortet Esken. Ernsthaft. Es seien sogar zwei Nächte gewesen, schiebt Esken nach. Sie setzt weiter auf eine Ausgabenpolitik des Staates. Ob das nicht die Inflation antreibe, wie es Weimer zu Beginn der Sendung gesagt hat, hakt Maischberger nach. „Alle Wissenschaftler widersprechen ihm“, antwortet Esken. Ernsthaft. Man müsse die Kaufkraft steigern, um der Inflation zu begegnen, meint sie. Ernsthaft.
Die finanzielle Decke ist zu kurz. Die Vorschläge bei Maischberger gehen alle in die Richtung, die Decke woanders hinzuziehen. Auf die Idee, die Kraft der Wirtschaft zu steigern, damit die Decke länger wird, darauf kommt im ARD-Kosmos schon niemand mehr. Und auch Buschmann lässt diese Chance bei Maischberger verstreichen. Es ist die „Darstellungsfrage“, an der die FDP arbeiten muss – ebenso wie das liberale Gewicht in der Ampel-Regierung.