Tichys Einblick
Sag zum Abschied leise Servus

Wird in Deutschland auf legalem Weg die Demokratie abgeschafft?

Die Regierung verfolgt ein umfassendes Projekt der Transformation der Gesellschaft in eine Kommandowirtschaft, die nicht funktionieren wird. Die Maßnahmen der Regierung werden immer drakonischer werden, je weniger ihre Politik in der Praxis zu den gewünschten Resultaten führt.

Olaf Scholz (C), Norbert-Walter Borjans und Saskia Esken und Lars Klingbeil (SPD), Robert Habeck und Annalena Baerbock und Michael Keller (Grüne) und Christian Lindner und Volker Wissing auf dem Weg zur Vorstellung des Koalitionsvertrags in Berlin am 24. November 2021

IMAGO / Emmanuele Contini

Umso moralischer sich Regierungen geben, umso phrasenhafter ihre Aufrufe tremolieren, umso stärker sie an die Einsicht der Bürger appellieren, umso flammender sie zum Sparen aufrufen, umso gewisser kann man sein, dass diese Regierung sich von der Wirklichkeit verabschiedet hat, entweder weil sie von Anfang eine Utopie zu verwirklichen suchte oder weil in ihrer Ideologie die Wirklichkeit keinen Platz findet.

Eine Regierung, die keinerlei Sicherheit, weder die innere, noch die Versorgungssicherheit zu gewährleisten vermag, erfüllt nicht mehr ihre Funktion als Regierung. Wer als Konsequenz der eigenen Politik laut über Fahrverbote, über Tempolimits und Benzinrationierung nachdenkt – als Resultat eigenen Unvermögens oder besser Utopievermögens –, ist nicht nur Betreiber einer falschen Politik, sondern zugleich Getriebener einer falschen Politik.

Bertolt Brecht hat einst eine der anthropologischen Grundkonstanten in die brachiale Formulierung gebracht: „Zuerst kommt das Fressen, dann die Moral.“ Doch die Umkehrung gilt eben auch: Wenn zuerst die Moral kommt, wird es bald nichts mehr zum „Fressen“ geben. Und das kann man durchaus wörtlich verstehen.

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Der Landwirtschaftsminister, der von Landwirtschaft nicht mehr versteht als von der Bewirtschaftung einer Balkonplantage – wie übrigens die Außenministerin nichts über Außenpolitik weiß, weshalb sie ja „Weltinnenpolitik“ betreiben möchte, wie auch die Verteidigungsministerin von den Belangen der Vereidigung keinen Schimmer besitzt, die Innenministerin gegen die innere Sicherheit ankämpft, zumindest gegen die traurigen Reste, die Merkels Regierung von selbiger übrig gelassen hat –, der Landwirtschaftsminister also, den man für den Vegetarismusbeauftragten der Regierung halten könnte, predigt den Fleischverzicht und denkt über erzieherische Maßnahmen nach.

Wenn die einfachen Leute sich bald kein Fleisch mehr leisten können, weil das erste Opfer der grünen Transformation die Biobauern sind und das zweite die konventionellen Bauern, ist es doch besser, sie verzichten freiwillig, und wenn nicht freiwillig, wird man Steuerwege finden, sie gefügig zu machen. Die Leute müssen endlich begreifen, dass es nur zu ihrem Besten ist, was die Ampel-Minister so alles wollen. In der Regierung herrscht das große „Wünsch-dir-was“ der Utopien.

Der Wirtschaftsminister, dessen Kenntnisse über die Wirtschaft von dem zweifelhaften linken Think-Tank Agora Energiewende zu stammen scheinen, prescht nun mit einer großen Sparkampagne vor, die megalomanisch heißt: „80 Millionen gemeinsam für den Energiewechsel“, als bestünde Deutschland aus 80 Millionen Habeck-Jüngern und Jüngerinnen, die sich im Leben nichts anderes wünschen, als dem großen Wirtschaftsminister in das grüne Sparparadies gläubig zu folgen. Man fühlt sich an Orwells „1984“ erinnert. Habeck kennt den Roman, er hat für eine Ausgabe mal ein Vorwort geschrieben.

Jeder Einzelne soll nach den Vorstellungen des visionsstarken Ministers schon mal beginnen, das einzusparen, was er sich ohnehin bald nicht mehr leisten kann. Der tollkühne Gedanke dahinter mag sein, dass die Bürger nicht mehr mitbekommen, dass sie sich das, was sie vorher gespart haben, nun nicht mehr hätten leisten können. Was sie nicht sparen wollen, wird ihnen erspart. So trainiert man Wünsche, so trainiert man Ansprüche, so trainiert man Leben ab.

Fern jeder Wirklichkeit
Ruinen schaffen ohne Waffen – die Regierungs-Kunst der Ampel
Alle Schleusen sind geöffnet. Die Wirtschaft wird in atemberaubendem Tempo zerstört oder, was nur ein anderes Wort dafür ist, transformiert, von einer effizienz- und innovationsbasierten zu einer subventionsdressierten Ökonomie. Bereits im Wahlkampf hat Robert Habeck die kommandowirtschaftlichen Prämissen seiner Utopie von der klimaneutralen Gesellschaft klar definiert, als er verkündete, wie künftig Wirtschaft in Habecks Deutschland zu sein hat, nämlich gängelungsselig. Ganz im Sinne des Träumers Karl Polanyi wird die Politik der Wirtschaft die Ziele vorgeben – und dann darf die Wirtschaft kreativ werden, um die vorgegebenen Ziele zu erfüllen, und sie muss natürlich auch kreativ werden, zumindest in der Außendarstellung, wenn sie die utopischen Ziele zu erfüllen trachtet. Wenn Habecks Leute in die Wüste kommen, wird der Sand knapp.

Robert Habecks Appelle zum Sparen und zur Selbsteinschränkung sprechen eine deutliche Sprache. Denn wie erklärt man die Mangelwirtschaft, die man mit aller Gewalt ins Werk setzt, besser als mit den moralpathetischen Aufrufen zum Energiesparen? So wendet sich Habecks Ministerium plump vertraulich an die Bürger: „Liebe Ein-Familien-Haus-Besitzerinnen, liebe Stadtwohnungs-Mieter, liebe Haus-Eigentümerinnen und -Eigentümer, liebe Unternehmerinnen, liebe Handwerker, liebe 80 Millionen: Die Klimakrise und die angestrebte Unabhängigkeit von fossilen Energien machen Energiesparen notwendiger als je zuvor.“

Das Weltbild des Wirtschaftsministeriums ist vielsagend: Ein-Familienhäuser besitzen nur Frauen, während in Stadtwohnungen nur Männer logieren, Häuser dagegen besitzen Männer und Frauen, während Unternehmen nur Frauen und ein Handwerk nur Männer betreiben, sie alle sind die „lieben 80 Millionen“, die neuen Untertanen der neuen deutschen demokratischen Republik Wokeland.

Der Satz, dass die „Klimakrise“ und „die angestrebte Unabhängigkeit von fossilen Energien“ Energiesparen notwendig mache, heißt im Klartext: Was wir Grüne anstreben, führt zur Energieknappheit, gewöhnt euch besser schon mal dran. Es ist eben wie mit dem Sand. Wo wir hinkommen, herrscht Knappheit, nur nicht an Kontrolleuren der Knappheit. Es gilt das Habecksche Gesetz: Umso größer die Knappheit, umso mehr Kontrolleure sind notwendig zur Verwaltung der Knappheit, denn die „lieben 80 Millionen“ sind 80 Millionen kontroll- und anleitungsbedürftige Menschen, die ohne Betreuung vermutlich sich ihres eigenen Verstandes bedienten und nach rechts abdrifteten.

„Tankrabatt“ versagt
SPD-Chefin Esken bringt Fahrverbote und Verstaatlichungen ins Spiel
Zu tiefsten DDR-Zeiten lobte nach einem Konzert der örtliche Parteifunktionär das Quartett, das musiziert hatte, mit den Worten: Liebes Quartett, ihr habt uns mit eurer Musik viel Freude gemacht. Und wenn ihr weiter fleißig übt, werdet ihr eines Tages eine richtig große Sinfonie.“ Vom Gestus erinnern daran Habecks Worte, wenn er die „lieben 80 Millionen“ anspornt, dass viele, auch kleine Beiträge wie das Wechseln des Duschkopfs oder die Umstellung auf LED-Beleuchtung eine Menge brächten, denn: „Wenn viele das machen, bringt das in der Summe wirklich was.“

Nämlich eine richtig große Energiesparsinfonie. Welch ergreifende Vision: ein Volk von 80 Millionen Energiesparern. Außerdem könne man, so Habeck, zusätzlich „Putin eins auswischen“. Na also, wenn das nichts ist. In schlimmsten Schmerzen wird sich Putin wälzen, wenn die Deutschen hungern und frieren. Allerdings deutet die Formulierung „auswischen“ auf ein doch eher infantiles Weltbild. Und was waren das eigentlich in der Kindheit für Gesellen, die andern gern eins „auswischen“ wollten?

Es passt zwar nichts zum anderen, aber das Motto dieser Regierung ist ohnehin: Was nicht passt, wird passend gemacht. Glaubt Robert Habeck wirklich an das, was er sagt, oder will der Mangelwirtschaftsminister nur die „lieben 80 Millionen“ auf seine Mangelwirtschaft einstimmen? Selbst seine Freunde von der Deutschen Umwelthilfe (DUH)  sind vom Energiesparmodell Habeck so ganz und gar nicht überzeugt. Die Bundesgeschäftsführerin der DUH, Barbara Metz, kommentierte Habecks Sparaufruf lakonisch mit den Worten: „Beim Verbraucherverhalten ergeben sich selbst im optimalen Fall nur wenige Prozent Einsparung.“ Außerdem stellt sich die Frage, wie Energiesparen in den Haushalten, wo es um kleinste Beträge geht, zusammenpassen mit dem Verbot der Benziner, dem Ausbau der stromintensiven E-Mobilität und der nicht weniger energieintensiven Digitalisierung.

Damit der fragwürdige Vorschlag seriös aussieht, umgibt sich der Mangelwirtschaftsminister bei der Verkündigung des großen Habeckschen Energiesparaufrufs mit Vertretern der Spitzenverbände von Wirtschaft und Kommunen, dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), dem Umwelt-Dachverband Deutscher Naturschutzring (DNR) sowie der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv), die allesamt pfiffige Ideen beitragen dürfen. Das macht Habecks Initiative, die bestenfalls ein „Tropfen auf den heißen Stein“ (DUH) ist, nicht seriöser, aber die Frage dringlicher, weshalb beispielsweise die Gewerkschaften wie einst in der DDR zu den Regierenden und nicht zu ihren Mitgliedern halten. In der Suche nach Sparpotenzial könnten allerdings diese Mitglieder auf den Gedanken kommen, am Mitgliedsbeitrag zu sparen.

Kriegssteuer
Die grüne Übergewinnsteuer wäre ein weiterer Inflationsantrieb
Robert Habeck weiß bereits, dass ein „ganz schwieriger Herbst“ droht, wenn die Heizkostenrechnungen in die Haushalte flattern. Damit es nicht ganz so schlimm kommt, könnten die Energiekunden schon mal ihren Verbrauch drosseln, dann zahlen sie vielleicht nicht sehr viel mehr als bisher – nur eben für erheblich weniger. Hatte nicht Habeck einst verkündet, als es um die Aufnahme neuer Schulden ging: Es ist ja nur Geld? Man kann die Situation in einem Satz benennen: Die Ampelregierung – und auch die CDU, die sich gar putzig „Opposition“ nennt – träumt von Windkrafträdern, während der Wohlstand der Bürger wie „Rauch vergeht von starken Winden“. Eine Luftnummer also.

Womit die Bürger im Herbst konfrontiert sein werden, sind die Resultate von Merkels grüner Transformation, die unter der Ampel noch Fahrt aufnimmt. Um diesem drohenden Dilemma zu entgehen, versucht die Ampel, noch schneller und noch mehr vom Falschen umzusetzen – und das Falsche heißt:

Viele, die sich etwas auf ihre Abgeklärtheit und Weisheit zugute halten, die Prognose als Kassandrarufe beiseite schieben und meinen, dass es schon nicht so schlimm kommen würde, werden erleben, dass es wohl noch schlimmer kommt – und Kassandra wurde zwar nicht geglaubt, doch hat sie immer recht behalten. Die Klimapolitik ist das Trojanische Pferd für den Gesellschaftsumbau.

Kennzeichnend für die Ampel ist, dass Propaganda an die Stelle der Realität tritt – und das nur funktioniert, weil ein Großteil der Medien, vor allem die öffentlich-rechtlichen Medien ihre kritische Funktion nicht mehr wahrnehmen und schlicht Propaganda betreiben.

Inflation und Energiekrise
Das Entlastungspaket: ein prophezeiter Reinfall
Das vorhersehbare Fiasko des Neun-Euro-Tickets, das zwar nicht dem Handwerker nutzt, der darauf angewiesen ist, von Baustelle zu Baustelle zu fahren, aber Punkern einen Ausflug nach Sylt ermöglicht, zeigt das Grundproblem linken und linksliberalen Denkens, das darin besteht, es für alle zu verschlechtern, weil man es nicht für alle verbessern kann. Trotz Rekordsteuereinnahmen verschuldet sich die Regierung weiterhin und erfüllt ihre Aufgabe nicht, für eine akzeptable Infrastruktur zu sorgen. Der Zustand des öffentlichen Nahverkehrs ist ein politisch verursachter Skandal. Das Geld, das in populistischen Aktionen wie im Neun-Euro-Ticket nun verheizt wird, wäre doch besser in den Ausbau des öffentlichen Nah- und übrigens auch Fernverkehrs investiert gewesen – und nachhaltig wäre es auch. Wenn man wirklich die Bürger entlasten will, gäbe es einen einfachen Weg – Streichung der CO2-Steuer, Senkung der Steuerlast –, doch anstatt an die deutschen Bürger zu denken, verpulvert man deren Geld, indem man in populistische Maßnahmen flüchtet.

Schuld an der Energieverteuerung ist aber nicht Putins Krieg, sondern die Energiewende. Jeder wusste von vornherein, dass der Tankrabatt nicht funktioniert, sondern zu einem Geschenk an die Mineralölkonzerne wird. Jetzt sich darüber zu echauffieren, ist Heuchelei oder zynisches Kalkül, den geschürten Volkszorn darüber als Mittel zu benutzen, um die Marktwirtschaft in eine Kommandowirtschaft umzuwandeln. Laut Medienberichten will Habeck nun das Kartellrecht verschärfen, damit der Staat „strukturell in die Märkte“ eingreifen kann, ohne dass er verpflichtet ist, einen Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht nachzuweisen.

In Habecks Papier heißt es in schlimmster staatsabsolutistischer Weise: „Wer auf Kosten der Verbraucherinnen und Verbraucher von wettbewerbswidrigem Verhalten profitiert, muss diese Gewinne zurückgeben.“ Wenn der Staat diese Gewinne „abschöpft“, werden sie eben nicht dem Verbraucher zurückgegeben, sondern der Staat sackt sie ein. Auf diese Weise wird die „Übergewinnsteuer“ nur ein weiteres, zudem demagogisches Werkzeug, um die Bürger weiter auszupressen. Zurückgegeben wird nämlich nichts, sondern weiter und unverschämter noch genommen. Überdies soll ihm die Verschärfung des Kartellrechts die Möglichkeit geben, erstens Konzerne zu zerschlagen und zweitens schneller Gewinne abschöpfen zu können.

Wer keine Feinde hat, der schafft sich welche
Haldenwangs Antworten auf offene Fragen
Dass eine Behörde nach Gutdünken verfahren kann, ohne einen rechtlichen Nachweis zu erbringen, hat mit einem Rechtsstaat nichts mehr zu tun, das ist Willkür. Sollte auch die Ampel wie viele andere das Resultat des Tankrabatts vorausgesehen haben, dann allerdings erhebt sich der Verdacht, dass der Tankrabatt nur dazu diente, Unmut zu provozieren, den man dann zur Umgestaltung der Wirtschaft nutzen kann, denn die Instrumente, die man für die „bösen“ Mineralölkonzerne bastelt, wären auch auf andere Unternehmen anwendbar: heute die, morgen jene. Ganz davon abgesehen, dass man massiv in die Eigentumsrechte eingreifen würde und damit an der Grundvoraussetzung unserer Gesellschaft und des demokratischen Staates rütteln würde.

Parallel schafft der Verfassungsschutz einen Ermittlungsbereich „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“, der auf die Verfolgung von Kritik an der Regierung hinausläuft. Nach Auffassung des Verfassungsschutzes scheint der Sachverhalt der Delegitimierung bereits erfüllt zu sein, wenn sich ein Bürger erfrechen sollte, die Klimaschutzpolitik der Regierung zu kritisieren. Wahrscheinlich kann man das dann auf den Komplex Corona erweitern. Schon jetzt bereitet sich die Regierung auf neue Pandemie-Maßnahmen im Herbst vor. Will man Vorkehrungen treffen, wenn die gegebenenfalls sparunwilligen Bürger im Herbst ihre Bürgerrechte wahrnehmen und sie dann am Protest, an der freien Meinungsäußerung und an Demonstrationen hindern? Wahrscheinlich erfüllt aus Haldenwangs Sicht auch dieser Artikel den Sachverhalt der Delegitimierung des Staates. Neu wäre das wahrlich nicht.

Deutlich wird nur eins: Die Regierung verfolgt ein umfassendes Projekt der Transformation der Gesellschaft in eine Kommandowirtschaft, die nicht funktionieren wird. Die Maßnahmen der Regierung werden immer drakonischer werden, je weniger ihre Politik in der Praxis zu den gewünschten Resultaten führt.


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