Wenn unsere Regierung ein moderner Konzern wäre, mit Strategie-, Planungs-, und vor allem Marketing-Abteilung, so würde man in diesen Jahren von Sylt bis Konstanz plakatieren: »Bitte entschuldigen Sie die Unannehmlichkeiten, während wir Ihr Land umbauen!«
Moment, Korrektur: Moderne Kampagnen fallen immer häufiger in ein penetrantes Duzen. Das »Hey, du!« etwa von Ikea soll ein Gefühl der Nähe evozieren. Also: »Hallo du, entschuldige die Unannehmlichkeit, während wir dir den Kompletkapøt-Sessel unter dem Po wegziehen. Hier hast du ein Würstchen. Geh doch im Småland spielen. Dort gibt es auch gute Ratschläge für die nächste Wahl!« (Ob die Ikea-Anwälte bei versäumter Ratenzahlung auch noch kumpelhaft duzen? »Hey, du, du schuldest uns noch 400 Euros. Zahl mal, wenn’s okay ist?«)
Der Vergleich stimmt natürlich nur halb. In mindestens zwei Sachverhalten unterscheidet sich die deutsche Regierung von Ikea. Erstens: Ikea gibt Ihnen (pardon: dir) eine Garantie auf die gelieferten Produkte. Zweitens: Bei Ikea ist es völlig okay, wenn Kunden wie Kinder behandelt werden. Ikea ist ein privates Unternehmen. Ob jemand notgedrungen oder ironisch dort einkauft, es ist meistens freiwillig. Das »du« der Möbelschweden geht in Ordnung. Die Merkel-Regierung dagegen, deren Meinungs-Aufpasser, Wahrheits-Freestyler und Psycho-Schrauber die Bürger als Kinder behandeln (wollen), das ist ein ganz anderes Paar schwedische Gummistiefel. Und die neue politische Kindlichkeit ist eine Gefahr für die aufgeklärte Demokratie.
Welche Demokratie?
Unsere »Demokratie« ist kein Göttliches, im Gegenteil. Gott hat den sozialen Menschen bekanntlich als Wolf geschaffen. Demokratie ist eine Ordnung, die wir Menschen uns gegeben haben, damit der Mensch eben nicht des Menschen Wolf wird. (Bestimmt kennen Sie den alten Witz: Im Kapitalismus ist der Menschen des Menschen Wolf. Und im Kommunismus? Da ist es gerade anders herum!)
Demokratie ist Zaun, nicht Felsen. Demokratie ist zerbrechlich. Demokratie ist wie jenes Philosophenschiff, das von Wählern und Gewählten täglich und auf offenem Meer umgebaut wird. Die Frage »in was für einer Demokratie wollen wir leben« muss täglich neu gestellt werden. Wer sie nicht stellt, lässt zu, dass andere sie für ihn beantworten.
Angela Merkel wurde viel kritisiert für ihren Ausdruck »marktkonforme Demokratie«. Die Kritik war etwas bemüht. Demokratie und Markt sind die zwei jeweils besten Antworten auf zwei verwandte, entscheidende Fragen: 1. Wie sollen Menschen ihr Zusammenleben organisieren? 2. Wie soll die Produktion und Verteilung von Gütern und Ideen geregelt werden? Und selbstverständlich müssen die beiden Lösungen zusammengebracht werden.
Ein neuer Ausdruck ist viel gefährlicher: Die »postfaktische Demokratie«. Die Demokratie, deren Beschlüsse nicht mehr von Fakten, Plänen und Vernunft angestoßen und gelenkt sind, sondern von Stimmungslage und Empörungswellen, von »gefühlter Wahrheit«.
Die »postfaktische Demokratie« ist keinesfalls nur ein düsteres Zukunftsszenario. Die »postfaktische Demokratie« wurde greifbare Realität etwa in Merkels einseitiger atomaren Abrüstung, dem freiwilligen Rückzug eines modernen Landes auf den technologischen Stand vor Einstein. Fakten und Wissenschaft konnten nicht bestehen gegen die von Fukushima »getriggerten« Gefühle. »Triggern« ist auch so ein postfaktisches Wort.
Merkels »Willkommenspolitik« war ebenfalls ein Kind der »postfaktischen Demokratie«. Wer auf seinen Fingern zwei und zwei zusammenrechnete, dann laut »vier!« verkündete, der wurde bald als »Rechtspopulist« geschmäht. (Es half nicht, dass auch einige kartentragende Rechtspopulisten die notwendigen Rechnungen taten.) In der postfaktischen Demokratie hat »Faktennazi« eine völlig unmetaphorische Bedeutung. Ein »Faktennazi« benennt Fakten, die den (oft: Grünen/ »grün« fühlenden) Hegemon stören – das macht ihn zum »Nazi«.
Wollen Sie weiter in dieser postfaktischen Demokratie merkelscher Prägung leben? Die postfaktische Demokratie ersetzt den mündigen Wähler durch den vernunftberaubten Politkonsumenten. (»Bürger« möchte man da kaum noch sagen.) Demokratie, also die Herrschaft des Volkes über sich selbst, setzt den mitdenkenden, kritischen und wirksam kritisierenden Regierten voraus. In der aufgeklärten Demokratie sind nicht nur »die an den Trögen« die Demokraten. In der aufgeklärten Demokratie sind auch jene »Demokraten«, welche »die an den Trögen« erst dorthin bringen!
Die aufgeklärte Demokratie hat die Pflicht, ihre Bürger als Erwachsene zu behandeln – sonst ist sie keine. Nicht »aufgeklärt«, und – ich wage zu sagen – bald nicht mehr »Demokratie«. Wer Bürger wie Kinder behandelt, der muss sich fragen lassen, wie er es mit der Aufklärung hält, und wie mit der Demokratie.
Keine starke Demokratie mit schwachen Bürgern
Mit ihren Psychokampagnen betreibt die Merkel-Regierung die De-Alphabetisierung des wählenden Volkes. Wer den Verstand überrumpelt und an Emotionen appelliert, was unterscheidet ihn in der Methode von einem Diktator? Nicht das Ergebnis, sondern die Methode macht die Diktatur. Merkels dauernder Appell an kindliche Gefühle ist eben auch ein Appell an niederste Instinkte. Demokratie muss immer Demokratie für Erwachsene sein.
Eine Regierung »von den Bürgern und für die Bürger« macht den Bürger stark. Welche aufgeklärte Bürgerschaft würde eine Regierung einsetzen, die den Bürger schwach, dumm und dankbar macht? Es ist eine schleichende, vom Talkshowhorizont herkriechende Entwicklung. Merkel, Maas, Schwesig & Co. stellen dem Bürger emotionale Fallen. Es gibt keine starke Demokratie mit schwachen Bürgern. Die Aufklärung ging einher mit der Abkehr vom Absolutismus. Die Rückabwicklung der Aufklärung durch verkindlichenden Psychowahlkampf in der Tradition eines Edward Bernays ist auch ein Zurückkriechen in Richtung eines überwunden geglaubten Absolutismus. Das betreute Bürgertum. Republik Småland.
Merkel wiederholt seit Jahren gern ihren Anti-Pegida-Talking-Point: »Folgen Sie denen nicht, die haben Hass in ihrem Herzen.« – Kein Gleichschrittmedium lacht Merkel aus, wie es sich eigentlich gehörte für ihren kindischen Schmarrn. Im Gegenteil. Bei jeder Gelegenheit wird die Legende wiederholt, »sonst« sei Merkel ja die Sachliche, diesmal aber hätte sie überraschend »Gefühle gezeigt«. Das ist Unsinn. Merkel operierte schon immer mit »Gefühlen«. Bereits ihr Schritt zur Macht war emotional aufgeladen. Schröder hatte sich, mindestens gefühlt, über Merkel lustig gemacht, in jener TV-Runde. Die CDU, sagte man, musste ihr daraufhin trotz auch ihres schlechten Ergebnisses den Rücken stärken. Merkel wurde Kanzlerin ihrer ersten »großen Koalition«.
Vielleicht stört Sie aber Merkels Satz vom »Hass im Herzen« gar nicht. Vielleicht haben Sie es bereits als moderne politische Sprache akzeptiert. Vielleicht ähneln Sie bereits jenem metaphorischen Frosch, der aus Faulheit langsam heißgekocht wurde. Der gare Frosch merkt nicht, wie kindisch absurd Merkels Talking-Point ist.
Hass in welchem Herzen?
Für alle Frösche habe ich zufälligerweise eine Drittmeinung parat! Im zweiten TV-Duell der US-Präsidentschaftskandidaten schien Trump eine Anleihe bei Merkel zu nehmen. Er sagte über Hillary Clinton, sie habe »Hass in ihrem Herzen« (»hate in her heart«). Die »Talking Points Memo«, eine angesehene Politpublikation, titelte daraufhin: »Trump unhinged: Clinton has ›tremendous hate in her heart‹«. Das lässt sich übersetzen: »Trump dreht durch: Clinton hat ›riesigen Hass in ihrem Herzen‹«. Buchstabieren wir es aus: Was hierzulande von der Allzeitbereitpresse als Emotionalität gefeiert wird, gilt drüben als »durchgedreht«. »Hass im Herzen« – so spricht der postfaktische Donald Trump. Und die grenzoffene Angela Merkel. (Randnotiz: Jüngst mäkelte die Süddeutsche, ich hätte gewagt, Trump mit Merkel zu vergleichen. Huch, da habe ich es glatt nochmal getan!)
Deutschland wird in weniger als einem Jahr den nächsten Bundestag und die nächste Angela Merkel wählen. Ich möchte schon jetzt eine Wahlempfehlung für 2017 aussprechen: Wählen Sie eine Partei, die Sie als Erwachsenen ernstnimmt. Wählen Sie niemanden, (nur) weil es sich »gut anfühlt«. Wählen Sie niemanden, weil er/sie/es das »kleinere Übel« ist. Wählen Sie eine Partei, die Ihnen einen fairen Deal anbietet. Jemand, der für Sie spricht, aber nicht (nur) emotional, sondern auch »vom Kopf her«.
Der menschliche Geist ist begrenzt, das ist wahr. Der menschliche Geist ist aber längst nicht so begrenzt, wie Merkel sich das Wahlvolk wünscht. Merkel-Wähler wollen geliebt werden. Von Mutti, von der Presse, von ihrem Nachbarn, der genauso eingeschüchtert ist, wie sie selbst. Selbst wenn Sie am Ende die CDU wählen, seien Sie bitte kein »Merkel-Wähler«.
Bloß kein Merkel-Wähler
Haben Sie den Mut, ungeliebt zu sein! Merkel hat Interessen. Karrierejournalisten mögen Ihnen hierzu ein diffuses Blasphemie-Bauchgefühl eingeimpft haben – doch, davon abgesehen: Was verbietet Ihnen, neu abzuwägen, ob Merkels Interessen mit den Ihren kongruent sind? Aufgeklärte Erwachsene machen das so.
Ich will hier rhetorisch fragen, ob Merkel von menschlicher oder von göttlicher Natur sei. Ist Merkel gottgleich im christlichen Sinne (nicht im antiken griechischen Sinn), ist sie unfehlbar und allgütig? Dann hat das ZDF recht und alle Kritik an Merkel ist so dumm wie blasphemisch. Ist Merkel jedoch von menschlicher Natur, geht sie also ins Bett, aufs Klo und gelegentlich Herrn Sauer auf die Nerven, dann müssen wir nachhaken: Was sind Merkels Interessen? Nichts zwingt uns, Merkels Allgütigkeit als unhinterfragbare Wahrheit anzunehmen. Es ist Zeit, erwachsen zu werden. Die Erde ist älter als 6.000 Jahre. Masturbation macht nicht blind. Merkel handelt nicht notwendigerweise in Ihrem Interesse – oder in »unserem«. Das Aussprechen unangenehmer Banalitäten gehört zum Erwachsenwerden dazu.
Wenn Sie dann doch wieder mal bei Ikea einkaufen, hören Sie gelegentlich die Durchsage: »Der kleine Linus möchte aus dem Småland abgeholt werden.« – »Möchte abgeholt werden« ist natürlich ein Euphemismus. Linus heult, jammert und klagt, wenn er nicht sogar schreit und zetert. Das ganze Småland wurde ihm zu doof. Immer mehr Deutsche fühlen sich wie Linus. Immer mehr Wählern wird Merkels Kinderparadies zu doof. Es hilft nicht, dass schon lange die Realität in die heile Welt des Kinderparadieses dringt und alle Beteuerungen der Aufseherinnen fies Lügen straft. Merkels Kinderparadies ist verdammt gefährlich. Die Wähler schreien und zetern Mordio, wie der kleine Linus. Oder sie kämpfen sich heraus aus dem Bällebad. Zum Beispiel, indem sie nicht mehr wählen. Oder sich politisch und teils auch sozial zurückziehen. Oder indem sie mit ihren Wahlgewohnheiten, sagen wir mal, »experimentieren«.
Es ist Zeit für die deutschen Wähler, erwachsen zu werden. Lassen Sie das innere Kind am Wahltag daheim! Lachen Sie über den eigenen Wunsch, von irgendwelchen Politikern geliebt oder auch nur gelobt zu werden. Zu viel geht kaputt, wenn an der Wahlurne »das Kind im Wähler« das Kreuzchen macht.
Wählen Sie jemanden, der für Sie spricht. Wählen Sie jemanden, der Sie ernst nimmt, als mündigen Bürger und als vernunftbegabten Erwachsenen. »Unser« Motto für die nächsten Wahlen muss sein: Raus aus Småland! Kindergarten ist für Kinder. Wer erwachsen ist, sollte auch wie ein Erwachsener wählen.