Der Dunkle Lord. Er, dessen Name nicht genannt werden darf. Ihr wisst schon wer. Zu den originellsten Einfällen JK Rowlings gehört es, dass sich in der Welt von Harry Potter (fast) alle Zauberer fürchten, Lord Voldemort beim Namen zu nennen. Das reicht vom Erstklässler bis zum Premierminister. Sie drucksen sich um den Namen des Oberschurken herum. Mit Folgen. Rowling lässt in den Büchern keinen Zweifel dran, dass sie zu den Menschen gehört, die Dinge beim Namen nennen wollen. Die Bücher und die Rechte an den Filmen und dem Merchandising rund um den Zauberschüler haben sie zudem so reich gemacht, dass sie längst auf keine Einnahmen irgendeiner Art mehr angewiesen ist. Die ehemalige Sozialhilfeempfängerin hat sogar angefangen, Teile ihres Vermögens, die sie nicht braucht, zu verschenken.
Ein Beispiel für die Attacken ist die Seite Gamestar.de. Eine Bemerkung wie „die wiederholten transfeindlichen Entgleisungen seiner Schöpferin“ lassen die Redakteure in einem Debattenbeitrag zum Spiel „Hogwarts Legacy“ wie nebenbei fallen. Ohne anzuführen, was denn „die wiederholten transfeindlichen Entgleisungen“ überhaupt seien. 2020 hat sich die Erfinderin von „Ihr wisst schon wem“ in einem Tweet über das Wort „menstruierende Menschen“ lustig gemacht. Anschließend hat sie den 280-Zeichen-Scherz damit erklärt, dass solch entstellten Begriffe es erschwerten, sich für Frauenrechte einzusetzen. 2021 teilte Rowling dann den Beitrag einer Autorin, die vor einer Gesetzesinitiative in Großbritannien warnt: Diese würde jedem verurteilten Mann ermöglichen, sich ohne jegliche Untersuchung als trans zu definieren und in einem Frauengefängnis untergebracht zu werden. Was wiederum im Fall von Triebtätern zur Gefahr für weibliche Inhaftierte werde.
Gamestar.de will der Frage nachgehen, ob Transsexuelle überhaupt noch Potter-Produkte konsumieren dürften. Doch trotz dieses ambitionierten Vorhabens nehmen sich die Redakteure nicht die Zeit, die Vorwürfe darzustellen: Darf man noch die Werke einer Autorin konsumieren, die einen Scherz gemacht hat? Sind noch die Produkte einer Frau zulässig, die sich für Frauenrechte einsetzt? Das klingt – zugegeben – humorlos, engstirnig und intolerant. Gegen die Autorin mit den „wiederholten transfeindlichen Entgleisungen“ vorzugehen, wirkt da gleich viel mächtiger – da kann sich selbst der ungeküsste Computernerd noch wie ein Social Warrior fühlen.
Gamestar.de hält sich damit in dem Beitrag an die drei Gebote der woken „Debattenkultur“.
- Der Vorwurf der Transfeindlichkeit ist das Urteil!
- Wer das Urteil der Transfeindlichkeit in Frage stellt, ist transfeindlich!
- Mit Transfeindlichen darf nicht diskutiert, sie müssen vernichtet werden! Zumindest existenziell!
Die Multimillionärin Rowling müsste sich alledem nicht aussetzen – tut es aber trotzdem. Wobei es keine Rolle spielt, dass sie sich in unzähligen Beiträgen für die Toleranz gegenüber Transsexualität ausgesprochen hat. Dass gerade in den Potter-Büchern für die Akzeptanz alternativer Existenzen und Lebensentwürfe geworben wird. Rowling hält das Vorhandensein der Geschlechter Mann und Frau trotzdem für wichtig. Das genügt zur Anklage, sie sei transfeindlich und die wiederum setzt die drei Regeln in Gang, in deren Konsequenz Rowling nun bedroht wird.
Es ist ihr feministischer Ansatz, der Rowling dazu bringt, auf der Existenz des weiblichen Geschlechts zu bestehen. Gäbe es den Unterschied zwischen den Geschlechtern nicht mehr, würde das in der Konsequenz dazu führen, dass Schutzräume für Frauen abgeschafft werden müssten: „Wenn man die Türen von Toiletten- und Umkleideräumen für jeden Mann öffnet, der glaubt eine Frau zu sein oder sich als Frau fühlt, … dann öffnet man die Tür für alle Männer, die hineinkommen wollen.“ Sie selber sei in ihrer ersten Ehe Opfer von häuslicher Gewalt und sexuellem Missbrauch geworden. Auch aus diesem Grund will sie andere Frauen schützen: „Die Narben, die Gewalt und sexuelle Übergriffe hinterlassen haben, verschwinden nicht, ganz gleich, wie sehr man geliebt wird und wie viel Geld man verdient hat.“
Sondern Watsons Distanzierung von Rowling: „Transmenschen sind, wer sie sagen, dass sie es sind.“ Nun bestimmt das Sein das Bewusstsein. Im Leben des Modells Watson gibt es keine Textil-Discounter, in deren Umkleidekabinen Männer auftauchen können, weil sie sagen, sie seien keine Männer. In der noblen Welt des Panama-Papers-Adel schützen Bodyguards einen Star wie Watson. Da lässt es sich leicht sagen, jeder ist, wer er ist. Doch wie wäre das Bewusstsein, wenn das Sein anders wäre: etwa im Gefängnis, wo man auch für Steuerhinterziehung landen könnte?
Nun ist das Gefängnis mit seinen Bedrohungen nicht die Situation Watsons. Sie hat aus ihrer Panama-Papers-Welt einen unreflektierten Spruch rausgehauen, um sich bei einem Teil des Publikums anzubiedern – das ist die handelsübliche Verlogenheit im Show-Geschäft. Doch die Angriffe gegen Rowling gehen tiefer, sind härter: „Auf der anderen (Seite) irritiert die ‚Harry Potter‘-Autorin einmal mehr, indem sie Transpersonen mit Sexualstraftätern gleichsetzt“, berichtet NTV.de über sie. Ohne Zitatangabe, ohne Fragezeichen – als redaktionelle Äußerung. Vor Männern zu warnen, die sich als Transsexuelle ausgeben könnten, ist also demnach eine Gleichsetzung von Transsexuellen mit Sexualstraftätern. Dieser NTV-Logik kann nur folgen, wer die drei woken Debatten-Regeln beherzigt.
Dabei gibt die Realität der Romanautorin recht: So berichtet die New York Post von einem Fall auf der Gefängnisinsel Rikers Island. Dort hat ein Mensch mit Penis, der sich als transsexuelle Diamond Blount ausgibt, im vergangenen Jahr eine Insassin vergewaltigt. Er wurde nun zu weiteren sieben Jahren Haft verurteilt. Mittlerweile gibt es eine Schutzanordnung gegen Blount. Regelungen, dass sich Inhaftierte das Geschlecht selbst aussuchen dürfen, gibt es noch nicht lange und sie sind auch noch nicht weit verbreitet – trotzdem kommen schon die ersten Fälle von Missbrauch vor. Aus dem luftleeren Raum stammen Rowlings Warnungen also nicht.
Gamestar.de lässt die offene Frage dann noch von seinen Nutzern beantworten: Die beleidigten Transmenschen könnten die Potter-Bücher weiterlesen. Sie stammten zwar von der gar so fürchterlichen Rowling. Aber nachdem sie den Stift hingelegt hat, sei das Werk „ja noch nicht vorbei“. Vielmehr hätten „unzählige Menschen das Werk weitergedacht“, deswegen gehe das Werk „in den geistigen Kollektivbesitz der Gesellschaft über“. Klingt schräg. Ist aber historisch nicht einmalig. Es gab schon mal Menschen, die das Gedicht über die Loreley so liebten, dass sie es dem verhassten Autor nicht lassen wollten. So hatte es dann angeblich einen „anonymen Verfasser“. Die Menschen waren übrigens – so viel Vergleich sei gestattet – die Nazis. Der Autor Heinrich Heine. Und gehasst haben sie ihn wegen seiner jüdischen Herkunft.
Doch das letzte Wort soll nicht übellaunigen Computernerds gehören. In der von Rowling erschaffenen Welt, muss Lord Voldemort untertauchen, nachdem er seine Macht verliert. Kurz vor Harrys 15. Geburtstag kehrt er zurück. Es dauert ein ganzes Jahr, bis die Zaubererwelt diese Rückkehr wahrnimmt, obwohl die Anzeichen dafür da sind. Weil nicht sein kann, was der herrschenden Meinung nach nicht sein darf. Weil nicht gesagt werden darf, was nicht opportun ist, ignorieren die Zauberer sein Comeback – und nehmen somit viele unnötige Morde in Kauf. Im Buch lässt sie ihre Lieblingsfigur Dumbledore für einen unverschränkten Blick auf die Dinge werben und dafür, gemeinsam gegen das eigentlich Böse zu kämpfen. Im realen Leben ist es Rowling, die der Szene die Hand reicht, aus der sie konkrete Morddrohungen erhält: „Vielleicht ist der beste Weg, zu beweisen, dass eure Bewegung keine Bedrohung für Frauen ist, indem ihr aufhört, uns zu stalken, zu belästigen und zu bedrohen.“