„Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ – so nennt das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) einen neuen Phänomenbereich, den es mit dem neuen Verfassungsschutzbericht eingerichtet hat. Hinter dem sperrigen Namen sollen all jene Extremisten kategorisiert werden, die keiner der klassischen Gruppen zugeordnet werden können. Anlass sind die Corona-Demonstrationen, die die Verfassungsschützer schlicht nicht einordnen können – so, wie im letzten Jahr nahezu alle extremistischen Delikte in Deutschland zurückgegangen sind, gäbe es da nicht jene politisch schwer einzuordnenden Straftaten.
Nach dieser Definition wäre so ziemlich jeder Italiener in den Prä-Corona-Jahren ein Fall für den Verfassungsschutz gewesen – oder eben auch die Bürgerrechtsbewegung in der DDR. Denn das Verächtlichmachen des Staates ist kein „neues“ Phänomen, sondern war und ist die letzte zynische Waffe der Menschen gegen das kälteste aller Ungeheuer. Dass der Verfassungsschutz es tatsächlich wagt, angesichts der im Jahr 2021 maßgeblich von einer verfassungsrechtlich nicht vorgesehenen, direktoriumsähnlichen Bund-Länder-Konferenz von „demokratischen Entscheidungsprozessen“ zu reden, in denen ja gerade Institutionen der Legislative sich dem Votum von Experten oder Räten beugten und die vorpreschenden Entscheidungen gewisser Ministerpräsidenten zum Leitstern machten, steht dabei noch auf einem ganz anderen Blatt.
Verräterisch klar ist der Verfassungsschutz bei dieser Feststellung: „Diese Form der Delegitimierung erfolgt meist nicht durch eine unmittelbare Infragestellung der Demokratie als solche, sondern über eine ständige Agitation gegen und Verächtlichmachung von demokratisch legitimierten Repräsentantinnen und Repräsentanten sowie Institutionen des Staates und ihrer Entscheidungen.“ Hier liegt der Hase im Pfeffer begraben. Denn das BfV gibt damit offen zu, dass es diesen „Extremisten“ gar nicht um die freiheitlich-demokratische Grundordnung geht, sondern um eine „Verächtlichmachung“ der Aushängeschilder der Republik.
Kurz gesagt: Der Verfassungsschutz schafft einen neuen Tatbestand Majestätsbeleidigung, der nicht dem Monarchen vorbehalten ist, sondern sämtlichen Amtsträgern und den Institutionen, die sie bilden. Wer etwas sagt, was dem BfV nicht schmeckt, ist damit Verfassungsfeind. Diese plumpe Kategorisierung, die einzig dazu da ist, um ideologisch unangenehme Individuen zu zermürben – das ist die Methode, die auch die derzeitige Causa Wagener ausmacht.
Der Staat delegitimiert sich in den Augen vieler Bürger seit Jahren selbst – etwa, wenn er Grundrechte außer Kraft setzt, die verfassungsrechtlich geltenden Abläufe im Falle von Massenmigration und Pandemie außer Kraft setzt, oder in Berlin offenbar Wahlmanipulation als „Pannen“ passieren lässt. Die Frage ist überdies, wie sinnvoll solche Denkgebote und -verbote in einem System sind, das seine eigentliche Kraft aus Meinungsaustausch, Diskussion und Innovation bezieht. Wer schon geistig das gegenwärtige System nicht infrage stellen und anders denken kann, läuft dem Kasten- und Funktionärswesen in die Hände.
Statt das verfassungsgemäße Recht der Menschen auf die Kritik an diesen Abläufen zu sichern, kennt die Behörde nur ein Mittel: Die Schlampereien des Staates dürfen nicht kritisiert werden, wer das tut, begeht Majestätsbeleidigung – neudeutsch: verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates – und ist damit ein Verfassungsfeind. Mit einer solchen Begründung könnte das BfV jederzeit auch eine Persönlichkeit wie Alexander Solschenizyn überwachen. Nicht in ihrem Umfang und nicht in ihrer Funktion – aber sehr wohl in ihrem Geist rufen solche Passagen Erinnerungen an die Karlsbader Beschlüsse wach. Wie viel Freiheiten sich das BfV bei dieser Kategorie nennt, zeigt folgender Passus:
„Solche Bestrebungen werden vom Verfassungsschutz in den Blick genommen, unabhängig davon, ob die dahinterstehende ideologische Ausrichtung einem bereits bekannten extremistischen Phänomen eindeutig zuzuordnen ist.“
„Insoweit ist anzunehmen, dass über die Coronapandemie hinaus auch künftig andere gesellschaftliche Krisensituationen von Angehörigen des Phänomenbereichs dazu genutzt werden, um staatliche Stellen und politisch Verantwortliche herabzusetzen. Hier ist beispielsweise eine verstärkte Thematisierung der politischen Maßnahmen zur Bewältigung des Klimawandels durch Akteure des Phänomenbereichs in Betracht zu ziehen. Hierdurch wird einem Verlust des Vertrauens der Bevölkerung in die Funktionsfähigkeit des demokratischen Staates Vorschub geleistet.“
Richtig gelesen: Nicht etwa die Pattexkinder auf Straßen und Flughäfen sowie deren Vordenker, die zu Gewalttaten aufrufen, sind im Visier des Verfassungsschutzes – sondern diejenigen, die staatliche Milliardenzuwendungen für des Grünen liebstes Kind infrage stellen. Und wenn dann irgendwann die Lobbynetzwerke einzelner Akteure aufgedeckt werden, kann man die Leute immer noch damit belangen, dass sie „Repräsentanten des Staates“ zu „delegitimieren“ suchten.