Unangenehme Nachrichten veröffentlicht die SPD in Rheinland-Pfalz gerne freitagnachmittags. Die Zeitungen sind dann schon geschrieben und das Kalkül ist berechtigt, dass die Redakteure zu faul seien, die Seiten nochmal umzubauen. Und den journalistischen Biss des SWR muss die sozialdemokratische Landesregierung so wenig fürchten wie den Angriff eines 18 Jahre alten Schoßhundes.
Doch die Einigung mit dem ehemaligen Finanzminister Ingolf Deubel (SPD) meldete die Landesregierung nicht mal freitags. Es brauchte eine Anfrage der CDU-Abgeordneten Karina Wächter, um der Regierung die Details aus der Nase zu ziehen. 88.000 Euro hätte Deubel dem Land zurückzahlen müssen. Nun genügt es, wenn der vorbestrafte Ex-Politiker bis zum Jahresende in drei Raten insgesamt 40.000 Euro überweist. Als Folge des Vergleichs stellte das Verwaltungsgericht Koblenz ein Verfahren in der Sache ein.
Die 88.000 Euro hatte das Land dem Minister ursprünglich geliehen, damit er sich in einem Strafprozess verteidigen konnte. Wegen Untreue und uneidlicher Falschaussage hatte das Landgericht Koblenz ihn dann zu zwei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Der Ex-Politiker kam schon nach neun Wochen auf Freigang. Nach etwas über einem Jahr wurde die Strafe auf Bewährung ausgesetzt.
Die Formel 1 boomte in Deutschland dank Michael Schumacher – und die Provinzpolitiker genossen es, wenigstens an einem Tag des Jahres zur internationalen Hautevolee zu gehören. Für Mitarbeiter der zweiten und dritten Reihe war es wie ein Fleißkärtchen vom Lehrer, wenn sie eine der Karten für den Nürburgring bekamen. Doch das Idyll war in Gefahr. Bis dahin war die Formel 1 noch eine recht europäische Angelegenheit; nun drängten Streckenanbieter aus dem arabischen und asiatischen Raum ins Geschäft. Sie boten mehr Geld und weniger Auflagen – wie zum Beispiel den Verzicht auf Werbeverbote für Tabak oder Alkohol.
Die SPD-Provinzfürsten wollten den Nürburgring als ihren Hof halten und kamen auf die Idee, ihn auszubauen: Ein Freizeitpark, Hotels und Kongresse in der Eifel gehörten zu dem Konzept. Nur: Dafür fanden sich keine privaten Investoren. Es war die Stunde von Ingolf Deubel. Und der politischen Wahnsinns-Idee: Wenn Private das Gelände um den Nürburgring nicht rentabel betreiben können, dann kann der Staat es. Spoileralarm: Er konnte es nicht. Nach offizieller Rechnung kostete der Spaß das Land 330 Millionen Euro, wobei fraglich ist, ob die Rechnung vollzählig ist.
Einen guten Einblick über den Irrsinn dieser Zeit vermittelt ein Interview, das Deubel der Zeit im Frühjahr gegeben hat. Die Überschrift „Ich habe mich bis auf die Knochen blamiert“ ist treffend gewählt. So setzt Deubel beim Themenpark Nürburgring auf einen Berater, der mit Altbausanierungen pleite gegangen ist, und auf den ehemaligen Assistenten eines Zirkusdirektors. Zusammen spekulieren sie auf amerikanische Renten: Dritte kaufen die Rentenansprüche von Leuten auf, die sich ihre Rentenzahlungen nicht mehr leisten können. „Obskur war allerdings, dass die beiden Berater weder Geld mitbrachten noch eigene Erfahrung hatten, sondern ihrerseits auf Fachleute angewiesen waren“, sagt Deubel der Zeit. Davon, dass sie in einem Schweizer Luxushotel mit Geld um sich warfen, will der Sozialdemokrat nichts gewusst haben.
Das Geld für den Kauf der Lebensversicherungen sollte nun von einem Schweizer Geschäftsmann mit Firmensitz in Dubai kommen. Der Sozialdemokrat Beck schwärmte vom „ganz großen Milliardärs-Adel“. 50 Dollar hatte der auf dem Konto. Wie sich herausstellte, nachdem dessen Schecks geplatzt waren. Wie er zu solchen Fehleinschätzungen kommen konnte, wollte Deubel sich im Zeit-Interview nicht erklären können.
Ein Problem war: Die internationalen Manager wollten sich partout nicht in der Grünen Hölle treffen, um dort Kongresse abzuhalten. Der Freizeitpark lockte sie wenig. Wie sich herausstellte, wollen Spitzenleute der Wirtschaft in ihrer freien Zeit nicht auf Holzpferden reiten. Sodass es zu den Rettungsversuchen in Sachen Nürburgring gehörte, auf den Fluren im Regierungsviertel die Frage zu erörtern, ob die Ansiedlung von Prostitution in der Eifel staatlich gefördert werden könne. Und wie konkret?
Das Vollfiasko Nürburgring lief nach dem sozialdemokratischen Dreisatz für Großprojekte ab: Erstens, darauf beharren, es werde ein Riesenerfolg. Kritiker sind nur Defätisten, die der Sache schaden wollen. Zweitens, die Pleite so lange wie möglich kaschieren, verzögern und leugnen. Drittens, behaupten, es seien Dinge passiert, die vorher keiner habe kommen sehen. Weswegen es jetzt auch falsch sei, nachträglich zu kritisieren.
Doch es brauchte ein Opfer. Deubel musste zurücktreten. Von Bauernopfer zu sprechen, träfe die Sache nicht. Dafür war Deubel zu wichtig, zu arrogant und zu dominant als Einflüsterer in Becks Ohr. Deubel war vielmehr der Turm, den der Spieler preisgibt, um die Dame zu bewahren. Denn kurz nachdem die SPD das Großprojekt Nürburgring aufgeben musste, trat auch Beck zurück. Aus gesundheitlichen Gründen. Die Sozialministerin Malu Dreyer (SPD) folgte ihm in der Staatskanzlei nach. Fortan war die oberste Maxime der Landesregierung, die Nürburgring-Pleite nicht auf die Chefin abfärben zu lassen.
Deubel kam vor Gericht. Verurteilt wurde er nicht für die Pleite, sondern für unzulässige Zahlungen der Nürburgring GmbH. Als Vorsitzender des Aufsichtsrates, so die Sicht des Gerichts, habe er in dem Unternehmen durchregiert. Der Justiz sei es nur darum gegangen, einen hochrangigen Politiker zu erwischen, sagt Deubel heute. Dass er im Untersuchungsausschuss gelogen habe, zog das Gericht ebenfalls als Begründung für sein Urteil heran. Auch das stimme nicht. Sagt Deubel.
Doch abgeräumt war das Thema Nürburgring immer noch nicht. Und die Staatskanzlei musste fürchten, dass passiert, was sie vor allem anderen verhindern will: dass die Pleite Schatten auf Dreyer wirft. Im September 2020 lehnte der Bundesgerichtshof die Revision Deubels ab. Die Staatskanzlei strich ihm darauf seine Pension. Das ist grundsätzlich möglich, wenn ein Beamter straffällig wird. Doch Deubel wollte das nicht akzeptieren. Für ihn war die Entscheidung politisches Kalkül.
Dreyer habe ein halbes Jahr vor der Landtagswahl Schlagzeilen vermeiden wollen, die sie mit Filz und Nürburgring in Kontakt gebracht hätten. Sie habe Deubel geraten, so erzählt er der Zeit, vors Verwaltungsgericht zu ziehen und dort seine Pension zurück zu erkämpfen. Er habe ihr darauf gesagt: „Malu, du gehst über Leichen.“
Deubel erhält die Pension wieder. Das verdankt er seinem rechtzeitigen Rücktritt. Weil ein Großteil der Strafe auf Taten zurückgeht, die er im Ruhestand begangen hat, verliert er seinen Pensionsanspruch nicht. Das ermöglicht ihm nun den Vergleich: Das Land verzichtet auf die 48.000 Euro, im Gegenzug verzichtet er auf Ansprüche möglicher Pensions-Rückerstattungen. Über die Pleite am Nürburgring kann jetzt erneut Gras wachsen. Und der Mann, der ein Geschäft historischen Ausmaßes verbockt hat und für Straftaten ins Gefängnis musste, bekommt jetzt wieder Pension bezahlt. Über 7.000 Euro im Monat. Netto.