Tichys Einblick
Spekulationen um Papst Franziskus

Bereitet man im Vatikan die „Zeitenwende“ vor?

Die Gerüchteküche brodelt: Papst Franziskus ist gesundheitlich angeschlagen, der Vatikan ändert seine Außenpolitik und nicht nur katholische Medien spekulieren bereits über Nachfolger und Konklave. Tritt der Pontifex wie sein Vorgänger zurück?

IMAGO / ZUMA Wire

„Lieber trete ich zurück, als mich operieren zu lassen“ – dieses Zitat aus dem Mund des Papstes gibt der Vaticanista Sandro Magister aus einer internen Besprechung wieder. Kontext: Papst Franziskus hat offenbar nicht vor, sich einer Operation am Knie zu unterziehen. Der Argentinier hatte wochenlang im Rollstuhl gesessen. Seit Mittwoch geht der 85-jährige Pontifex am Gehstock.

Das Oberhaupt der Katholischen Kirche hatte in seiner Anfangszeit als dynamisch gegolten, wohlwollende Karikaturen zeichneten ihn als „Super-Papst“, der im Kontrast zum Vorgänger stand, der von seinem Amt wegen Alter und Kraftlosigkeit zurückgetreten war. Dieser Nimbus ist verschwunden. Zum Vergleich: Benedikt XVI. dankte rund zwei Monate vor seinem 86. Geburtstag ab, Johannes Paul II. starb kurz vor seinem 85. Geburtstag.

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Die Gerüchte um Franziskus hatten spätestens im Sommer 2021 begonnen, als sich dieser einer Dickdarm-Operation unterziehen musste. Während unter Johannes Paul II. Pressebesuche im Krankenhaus so üblich waren, dass die Lobby häufig zum Treffen mehrerer Dutzend Journalisten avancierte, schottete die Kurie und der Pressedienst des Vatikans den Papst ab. Informationen blieben kurz und bündig. Der Vatikan monopolisierte den Informationsfluss.

Schon damals gab es Gerüchte, dass der Eingriff deutlich problematischer war, als es der Vatikan glauben machen wollte. Die Bulletins zum Gesundheitszustand von Päpsten haben eine berüchtigte Vorgeschichte – etwa bei Johannes Paul II. Doch Spekulationen über Komplikationen – Franziskus begab sich 2021 ohne vorherige Kommunikation „inkognito“ ins Krankenhaus – verbannte man ins Reich der Legenden. Bergoglio hatte nach seiner Entlassung darauf nur eine kühle Erwiderung: „Ich lebe noch.“

Franziskus ist nicht mehr der „dynamische Papst“ des Anfangs

Die Debatte um den Krankenhausaufenthalt hatte jedoch ihre Berechtigung – denn Franziskus hat mit seinen Worten indirekt bestätigt, dass der Eingriff im letzten Jahr nicht folgenlos war. Magister sagt, der Papst hätte bei dem Gespräch deutlichen Bezug auf diese genommen. Er wolle nicht noch einmal eine „Betäubung, die ihn in Schwierigkeiten mit seinem Kopf bringt, wie nach der Darmoperation vor einigen Monaten“.

Das Franziskusbild als geistig wie körperlich vitale Gestalt sollte auch den Anspruch untermalen, in der Administration und bei – wie auch immer gearteten – „Reformen“ kräftig zuzupacken. Die Medien, die den ehemaligen Erzbischof von Buenos Aires als einen der ihren erkannten, kürten ihn zum Liebling. Wie Johannes Paul II. sollte Franziskus ein Medienpapst sein; doch anders als Johannes Paul II. hat Franziskus nie den großen Kontrast gelebt, der Karol Wojtyła so prägte: nämlich den Kontrast zwischen dem starken Papst, der gegen den Kommunismus ankämpfte und seinem Heimatland den moralischen Rückhalt im Kampf gegen die Tyrannei bot – und dem alten Papst, der Leiden und Gebrechen am Ende seines Lebens annahm. Dass der gegenwärtige Pontifex etwa nur einen Lungenflügel hat und vor der Dickdarm-Operation schon eine Augenoperation durchstand, ist den meisten nicht bewusst.

Man mag diese Spekulation über Gesundheitszustände als delikat erachten. Aber der Papst ist ein Monarch und von der Gesundheit eines Monarchen hängt das Schicksal von Land und Untertanen ab. Der Vatikan mag das kleinste Land der Welt sein, doch die nominell 1,3 Milliarden Katholiken – 17 Prozent der Weltbevölkerung – sind eine globale Gemeinschaft, die ihresgleichen sucht. Angesichts der wachsenden Mitgliederzahlen in Afrika und Asien spielt der Bedeutungsverlust in Europa eine untergeordnete Rolle.

Franziskus hat Benedikt düpiert

Seit Monaten spuken daher die Spekulationen um ein Konklave durch Rom. Die Wahrscheinlichkeit, dass Franziskus nicht im Amt stirbt, sondern gemäß seines Pontifikatsstils „alte Zöpfe abschneidet“ und den Ausnahmefall seines Vorgängers durch einen zweiten Rücktritt zu einer Tradition erheben könnte, ist groß. Womöglich auch, um auf einen Nachfolger als Graue Eminenz noch genügend Einfluss auszuüben. Die Abgeschiedenheit des klösterlichen Lebens, wie sie bei Ratzinger der Fall war, dürfte nicht Bergoglios Sache sein.

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Für solche Spekulationen spricht, dass seit besagter Operation eine gewisse „Torschlusspanik“ die Kurie beherrscht. Die Düpierung Benedikts, die Franziskus mit dem Motu proprio „Traditionis custodes“ im Juli 2021 vollzog, sucht ihresgleichen. Benedikt hatte 2007 einen lang gehegten Liturgiestreit beilegen wollen: in seinem Motu proprio „Summorum Pontificium“ hatte er die Feier der sog. „Alten Messe“ als „forma extraordinaria“ des Römischen Ritus erlaubt, die neben dem 1970 festgelegten Ritus fortbesteht. Franziskus jedoch nahm mit seinem eigenen Motu proprio diese Fortschritte in der innerkirchlichen Versöhnung zurück.

Es handelte sich um einen unerhörten Vorgang: der amtierende Papst Franziskus nimmt das Werk seines lebenden Vorgängers Benedikt zurück. Den Angriff auf die „Alte Messe“ hatten konservative Katholiken unter Franziskus zwar schon länger erwartet, doch der Zeitpunkt kam überraschend. Das Taktgefühl hätte erfordert, zumindest das Ableben des Papa emeritus abzuwarten. Woher die plötzliche Eile?

Bereitet man im Vatikan das nächste Konklave vor?

Ähnliches ereignete sich bei der lange anberaumten Kurienreform. Über Jahre hinweg hatte sich das Projekt gezogen. Überraschend kam im März die Ankündigung, diese sei in großen Teilen umgesetzt, angereichert um einige Neuerungen. Die traditionellen „Kongregationen“ verschwinden, ab nun soll es nur noch gleichgestellte Dikasterien (etwa Ministerien entsprechend) geben.

Dieser plötzliche Ruck, der durch den Vatikan ging, war zwar absehbar gewesen; doch von vielen Beobachtern wurde das Endergebnis kritisch bewertet. Dazu gehört nicht nur die Ungewissheit über das wahre Ausmaß von Hierarchien und Kompetenzen; damit einher gehen auch viele Neubesetzungen in den Ämtern. Franziskus könnte große Teile des bisherigen Personals am kommenden Pfingstsonntag auswechseln. Die Kurie trüge für die kommenden Jahre seine Handschrift.

Und noch eine Entscheidung macht hellhörig: am vergangenen Sonntag hat Franziskus 21 neue Kardinäle ernannt. 16 davon könnten beim nächsten Konklave wählen, insgesamt wären 133 Kardinäle derzeit wahlberechtigt. Franziskus hat damit in seiner Amtszeit von neun Jahren zwei Drittel des Kardinalskollegiums besetzt – sie sollen einen Nachfolger in seinem Sinne wählen.

Auf den ersten Blick erscheint daher die Fortsetzung des franziskanischen Erbes „wie auf Schienen“. Doch es mehren sich Zweifel – auch im „progressiven“ Lager. Denn gerade die erratischen Handlungen lassen vermuten, dass die Clique um Franziskus ihres eigenen Sieges weniger sicher ist, als sie es erscheinen lässt. Beispiel Kurienreform: ob der Personalwechsel wie behauptet überhaupt stattfinden kann, steht schon deswegen infrage, weil es womöglich gar kein geeignetes Personal gibt. Es bliebe also alles beim Alten.

Die Wahl eines Nachfolgers, der Franziskus gewogen ist, ist nur auf den ersten Blick sicher

Auch die Liste der kürzlich ernannten Kardinäle liest sich zwar vornehmlich als Schlag ins Gesicht der Katholischen Kirche in Amerika, wo der Streit um die Hostienverteilung an Abtreibungsbefürworter einen neuerlichen Höhepunkt erreicht hat. So etwa befördert Franziskus eher die Rivalen des Erzbischofs von San Francisco, Salvatore Cordileone. Der hatte die Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, wegen ihrer liberalen Haltung in Sachen Abtreibung von der Kommunion ausgeschlossen. Stattdessen will der Papst dem liberalen Bischof von San Diego, Robert McElroy, den Kardinalshut verleihen – eine Würde, die weder der Erzbischof von San Francisco noch der Erzbischof von Los Angeles trägt. McElroy steht für eine liberale Haltung bei der Kommunionsverteilung und für ein Umdenken bezüglich LGBT.

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Andererseits gelten die zukünftigen asiatischen Kardinäle als unbekannte Karten. Franziskus hat die Angewohnheit, sich nach der Verleihung weniger mit den Beehrten zu besprechen, als es bei seinen Vorgängern üblich war. Gemäß der progressiven Gesinnung, die mit dem argentinischen Pontifex eingezogen ist, hat die Dritte Welt größere Aufmerksamkeit erfahren. Doch außerhalb des Westens sind politische wie innerkirchliche Ideologie der Kandidaten eher unbekannt. Selbst in Lateinamerika, der Heimat der Befreiungstheologie und einiger enger Verbündeter des Papstes, dreht sich der Wind, seitdem die Evangelikalen den katholischen Garten erheblich umwühlen.

Dass die eher konservativen katholischen Milieus einen Wechsel an der Spitze herbeisehnen, verwundert nicht. Dass aber auch Franziskus selbst im Lager der eigenen Vertrauten Unterstützer verloren hat, ist in den letzten Monaten immer offensichtlicher geworden. In der Corona-Krise verspielte der Vatikan mit seiner rigiden Politik das Vertrauen in den Entwicklungsländern – also gerade jener Orte, die Franziskus für gewöhnlich in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen stellt. Dass überdies die Kleriker Afrikas und Asiens als deutlich konservativer gelten als die liberalen Apologeten des Westens, ist kein Geheimnis. Nichts fürchten die Speerspitzen der „woken“ Kleriker so sehr wie einen afrikanischen Papst vom Schlage Robert Sarahs oder Francis Arinzes, die den traditionellen katholischen Gedanken viel deutlicher artikulieren als die „alten weißen Männer“ im europäischen Apparat.

Nicht nur katholische Medien sprechen vom Ende des Pontifikats

Der Figaro hat am 13. Mai gar von einem „Fin de règne“ (Ende der Herrschaft) gesprochen. Franziskus sehe sich laut der französischen Tageszeitung mit Widrigkeiten wie nie konfrontiert – alles habe sich gegen ihn verschworen. Das Pontifikat könnte dieses Jahr seinen Höhepunkt – oder seinen Untergang erleben. Es herrsche ein Klima der „Hochspannung“. Wer eine auf Autorität und Zentralismus gebaute Institution in eine demokratische und dezentralisierte Gemeinschaft umwandeln wolle, rufe Skeptiker auf den Plan. Dem sei hinzugefügt: Franziskus gesamtes Pontifikat beruht eben nicht auf Synodalität, sondern auf seiner eigenen Autorität, mit der er Personen und Institutionen fast gewaltsam gebrochen hat. Hinter dem Papst steckt ein unheimlicher Machtinstinkt, der am ehesten mit dem Angela Merkels vergleichbar ist: egal was kommt, Hauptsache Kanzler.

Dass der eher Franziskus gewogene und liberale National Catholic Reporter davor warnt, Franziskus müsse jetzt auch die Konklavebestimmungen ändern – obwohl er die überragende Zahl der Wähler selbst bestimmt hat – wirft ein bezeichnendes Licht auf die Unsicherheit im (noch?) dominierenden Milieu. Die Angst eines handlungsunfähigen Konklaves kann nur bestehen, wenn der Kurs der Kardinäle insgeheim von der Linie abweicht, die Franziskus vertritt. Nur so ist zu erklären, warum seit einem Jahr der Hang zum Fait accompli in der Kurie so ausgeprägt ist. Auch das franziskusnahe, und gewöhnlich gut informierte Blog Il Sismografo teilt Artikel auf seiner Seite, die ein drohendes Konklave bzw. Prä-Konklave zum Thema haben.

Zudem hat das von Franziskus provozierte Ungleichgewicht im Kollegium einen Haken, der sich schon bald rächen könnte: so hatte Franziskus Wert darauf gelegt, traditionelle „Kardinalsbistümer“ nicht mehr mit einem roten Hut zu beehren. Insbesondere dezidiert konservative Kandidaten wurden dabei übergangen. Der kommende Papst müsste, um das gewohnte Gleichgewicht wieder herzustellen, in seinem Pontifikat eher die Gegner von Franziskus zu Kardinälen erheben. Dass übernächste Konklave zeichnete dann ein neuerliches Ungleichgewicht aus – dieses Mal für die Gegenseite.

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