Die deutschen Talkshows hatten den Ukraine-Krieg in den vergangenen Monaten oft als Thema. Allerdings waren die Debatten wenig fruchtbar. Zum einen waren es meist Journalisten und Politiker der zweiten Reihe, die sich heiß redeten – also Leute, die eher weit weg von den Entscheidungen sind. Zum anderen ging es im Wesentlichen darum, die Worte des Bundeskanzlers Olaf Scholz (SPD) zu deuten. Das beschäftigt zwar lange, bringt aber angesichts der nebulösen und widersprüchlichen Aussagen des Regierungschefs nur wenig.
Sandra Maischberger hatte da einen Gast einer ganz anderen Qualität zu bieten: Der stellvertretende polnische Außenminister Szymon Szynkowski vel Sek (PIS) war live zugeschaltet. Er ist in die Entscheidungen eingebunden und das in einem Land, das direkt an den Krieg angrenzt. Zudem gibt es einen weiteren großen Vorteil: Szynkowski vel Sek spricht Klartext.
Und nicht nur das: Die Haltung des Bundeskanzlers irritiere die Verbündeten. Während er sich bis heute weigere, nach Kiew zu fahren, telefoniere er ständig mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Das bringe zum derzeitigen Stand diplomatisch wenig, verleihe aber dem Kriegsherren in Moskau international jedes Mal „neuen Kredit“.
Es ließe sich kritisieren, dass Szynkowski vel Sek weniger Sendezeit bekommt als jeder der Teilnehmer am verzichtbaren Journalisten-Panel. Aber der polnische Vizeaußenminister äußert sich so klar, dass er den kurzen Auftritt wirklich effektiv nutzt.
Das Gegenteil davon ist Lars Klingbeil. Er erklärt als Erstes, dass er als SPD-Vorsitzender nicht Teil der Bundesregierung sei. Für die tatsächlichen Entscheidungen sei er also gar nicht zuständig. Außerdem steht er in Sachen politischer Nebelbildung und Widersprüchen seinem Bundeskanzler in nichts nach. Bei Maischberger ist er also als nicht zuständiger Politiker, sondern als SPD-Vorsitzender. Also ist Parteipolitik Klingbeils Aufgabe. Nun ist das nichts Ehrenrühriges. Eigentlich. Aber für Klingbeil schon. Denn mit dem Vorwurf der Parteipolitik geht der SPD-Vorsitzende recht großzügig um – gegenüber anderen.
Zumal die Redaktion dem SPD-Chef offensichtlich schon vor der Sendung Zugeständnisse gemacht hat: „Ich verstehe schon, warum Sie nicht mit mir, sondern nach mir bei #maischberger auftreten wollten“, schreibt der Vize-Außenminister nach der Sendung. Üblich sind an der Stelle Dialoge. Szynkowski vel Sek unterstellt Klingbeil, deshalb diese Konfrontation gescheut zu haben, weil er nach dem Regierungsmitglied Behauptungen aufstellen konnte, was die deutsche Regierung den Polen versprochen habe – ohne dass er einen Widerspruch von einem Sachkundigen erhält. Was Klingbeil dann im Einzelgespräch mit Maischberger behauptet habe, ist für den Polen die „völlige Unwahrheit“.
Klingbeil argumentiert nach dem Muster: Es ist nicht wichtig, was gemacht wird – sondern wer es macht. Was bei ihm sachliche Darstellungen sind, ist beim konservativen polnischen Regierungsmitglied Parteipolitik. Wenn die FDP-Außenpoltikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann den Kanzler für dessen Zögerlichkeit kritisiert, ist das auch Parteipolitik. Während seine Kritik an Strack-Zimmermann, die von ihm kommt, also von der SPD und folglich irgendwas anderes, irgendwas Gutes ist.
Das Gespräch mit Klingbeil leidet darunter, dass Maischberger sichtlich wenig Lust hat, die politische Luftmaschine zu Substanz zu zwingen. Die deutsche Bundesregierung hat gesagt, es gebe eine Absprache in der Nato, keine Kampfpanzer an die Ukraine zu liefern. Mehrere ausländische Regierungsvertreter haben gesagt, dass diese Aussage falsch sei. Aber das sind halt alles keine SPD-Mitglieder und folglich ist klar, was Klingbeil von denen hält: „Ich habe keinen Zweifel an der Absprache.“ Er habe darüber mit Scholz gesprochen, also ist doch offensichtlich, dass Klingbeil näher dran ist als die europäischen Regierungsmitglieder.
Immerhin hakt sie beim „Entlastungspaket“ nach. Warum denn die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel nicht gesenkt werde? Weil die SPD keine Maßnahmen wolle, von der die Besserverdienenden genau so profitieren würden wie die Geringverdiener. Aber sei genau das nicht beim Tankrabatt der Fall? Da rettet sich Klingbeil in das „Kollege kommt gleich“ der Politik. Es brauche noch Zeit, solche Maßnahmen vorzubereiten.
Ansonsten arbeitet Klingbeil seine politische Agenda ab. Immer entlang der Linie, nur wenn die SPD es macht, ist es gut. Der Tankrabatt sei gut. Klar, kommt ja auch von der SPD. Aber Robert Habeck sei als Wirtschaftsminister zuständig. Falls der Tankrabatt also nicht weitergegeben wird, ist er schlecht, weil er von den Grünen kommt. Oder die Abhängigkeit Deutschlands von russischen Rohstoffen. Die billige russische Energie habe die deutsche Wirtschaft stark gemacht, aber verantwortlich war die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Die Energiepolitik war also gleichzeitig gut, weil SPD, und schlecht, weil CDU.
Als Talkshow-Gast ist Klingbeil weder angenehm noch gewinnbringend. Gut ist er indes als Beispiel für einen Politiker-Typus, der nur für parteipolitische Luft taugt – aber aufgrund der Mechanismen der politischen Nachwuchsförderung früher oder später auch an Regierungstischen sitzen wird.