Im Schnitt liegt der Beitrag zur Krankenkasse jetzt schon durchschnittlich bei 15,9 Prozent. 8 von 100 Hundert, die ein Arbeitnehmer verdient, gibt er an die AOK, DAK oder eine andere Kasse ab. Braucht er Medikamente, eine Brille oder neue Zähne, zahlt er trotzdem drauf – und das nicht wenig. Auch der Arbeitgeber muss auf 100 Euro Lohn, die er zahlt, noch 8 Euro alleine für die Krankenversicherung drauflegen.
Doch diese Beiträge könnten weiter steigen. Fürs nächste Jahr hat Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) bereits höhere Beiträge angekündigt. Im Jahr vor den Wahlen im Bund und in Nordrhein-Westfalen hat die Bundesregierung die Beiträge noch künstlich stabil gehalten. Zum einen mussten die Kassen ihr „Vermögen abbauen“ – also ihre Rücklagen für Krisen aufgeben. Zum anderen zahlte die Regierung mit 28,5 Milliarden Euro einen Rekordzuschuss an die Kassen. Einen neuen Rekord will Lauterbach vermeiden – in diesem Punkt.
Es gibt einfache Grundsätze, mit denen die Krise der Kassen abgewandt werden kann: Die Ausgaben müssen runter, die Einnahmen rauf. Doch in der Umsetzung sind diese Grundsätze durchaus knifflig. Leicht fällt einem noch zu fordern, dass die Kassen keinen Quatsch mehr wie homöopathische Leistungen bezahlen sollen. Aber wie fair ist es, wenn ein Arbeitnehmer 8 von 100 Euro seines Lohnes abgeben und dann noch zuzahlen soll, etwa wenn er ins Krankenhaus muss? Das ist schon jetzt der Fall. Wie weit lässt sich diese Spirale aber noch drehen? Steigende Selbstbeteiligungen bei hohen Zwangsbeiträgen?
Auch für Arbeitgeber ist die Grenze der Belastung längst erreicht: Behält das IGES-Institut recht und steigt das Defizit auf über 200 Milliarden Euro an, dann müsste der Beitrag auf über 20 Prozent steigen, damit die Kassen ihre Kosten decken könnten. Dann muss der Arbeitgeber auf jeden Euro Lohn 10 Cent drauflegen, nur für die Krankenversicherung. Hinzu kommt die Arbeitslosenversicherung. Die Rente und die Pflege. Auch in diesen beiden Bereichen sind horrende Kostenexplosionen zu erwarten. Und dann wären ja auch noch eine der höchsten Steuerraten unter den Industrieländern, die höchsten Strompreise, die von der Regierung Merkel verschlafene Digitalisierung und das Klima, das die deutsche Wirtschaft retten muss – für China, Indien, Brasilien und die USA gleich mit.
Kassen-Vorständen, die Kritik an der Politik der Bundesregierung geäußert haben, ist es zuletzt nicht gut ergangen. Entsprechend vorsichtig formuliert die IKK ihre Warnungen: Die Lücke zwischen Ausgaben und Einnahmen wächst seit 2007, heißt es hier. Der Staat stelle Anforderungen an die Kassen, die nicht unbedingt ihre Aufgaben seien, heißt es dort. Und es müsse „gegengesteuert“ werden, heißt es unterm Strich. Das bedeutet: In den guten Jahren hat sich die Regierung Merkel an den Töpfen der Krankenkasse bedient, um wünschenswerte aber nicht finanzierbare Projekte zu bezahlen. Und zwar so sehr, dass es in den guten Jahren schon nicht zu finanzieren war. Geht diese Politik in den schlechten Jahren, die bevorstehen, so weiter, wird allein die Krankenkasse demnächst mit einem Defizit von 217 Milliarden Euro dastehen.
Die IKK war vor der Öffnung des Versicherungsmarktes die Krankenkasse des Handwerks. Die Nähe zu den mittelständischen und kleinen Arbeitgebern ist immer noch groß. Ebenso wie die Ahnung, dass eine Wirtschaft irgendwann überfordert sein wird, die neben dem Kerngeschäft noch die alternde Gesellschaft, die fehlende Digitalisierung und das Weltklima mit schultern muss. Wandern Firmen ab, weil die Kosten in Deutschland zu hoch werden, müssen die verbleibenden deren Anteil und wachsende Sozialkosten auch noch mittragen. Worauf die nächsten zusammenbrechen dürften. Und so weiter und so weiter…
Deswegen schlägt die IKK vor, nicht die Lohnarbeit mit höheren Kassenbeiträgen zu belasten, sondern die „Einnahmebasis“ zu verbreitern. Zum Beispiel müssten die Kassenbeiträge für die Empfänger von Hartz IV kostendeckend sein. Das heißt im Umkehrschluss: Bisher sparen die Städte und Landkreise auf Kosten von Arbeitnehmern und Arbeitgebern an Beiträgen für die Empfänger von Hartz IV. Das Gegenargument dazu lautet: Der Staat zahle schon jetzt einen Zuschuss an die Kassen, um solche Leistungen auszugleichen. Der müsse aber zweckgebunden sein, fordert die IKK. Was die IKK aus politischer Vorsichtnahme nicht sagt: Ist der Zuschuss zweckgebunden, kann der Staat mit der linken Hand den Kassen nicht mehr wegnehmen, als er ihnen mit der rechten Hand gibt.
Außerdem habe die Politik den Kassen Kontrollmechanismen genommen, beklagt die IKK, mit denen diese die Kosten haben senken können. Etwa wenn es darum geht, die Abrechnungen von Krankenkassen zu überprüfen. Oder Rabattverträge über Arzneimittel abzuschließen. Ohnehin müsse die Bezahlung von Arzneimitteln generell reformiert werden, fordert die IKK. Das britische Unternehmen Medbelle hat 2019 herausgefunden, dass die Deutschen weltweit am zweitmeisten für die gleichen Medikamente bezahlen. Ob der Bundestagsagebordnete aus Leverkusen und Bundesgesundheitsminister, Karl Lauterbach, dieses Thema aber jemals angehen wird, ist mehr als fraglich.