Tichys Einblick
Cheerleader mit Mikro

Feldreporter löst Streit zwischen ZDF und Toni Kroos aus

Toni Kroos hat nach dem Finalsieg in der Champions League etwas ungehalten ein Interview mit dem ZDF abgebrochen. Damit wirft er einen Scheinwerfer auf einen der schrägsten Aufgaben der Branche: Feldreporter.

Screenprint. via Youtube

Wir schreiben den 30. März 1993. Osterzeit. Dragoslav Stepanovic hat als Trainer von Eintracht Frankfurt eine Hetzjagd hinter sich. In den Wochen zuvor hatte der leidenschaftliche Raucher mehr Mikros unter der Nase als Zigarren: „Wie lange bleiben Sie noch Trainer in Frankfurt? Wie lange bleiben Sie noch Trainer in Frankfurt? Wie lange bleiben Sie noch Trainer in Frankfurt?“, quakten sie wie die Frösche im Chor. Jetzt hat er – live im Fernsehen – das Halbfinale des Pokals 0:3 gegen Bayer Leverkusen verloren.

Am Spielfeldrand wird ein Feldreporter schon ganz hibbelig. Als Creme de la Creme der Sportunterhaltung muss er die „Wie lange bleiben Sie noch Trainer in Frankfurt“-Frage am raffiniertesten verpacken. Der einstige Held, der jetzt fällt. Was für eine Dramatik. Was für eine Geschichte. Und das alles live. Nach dem Abpfiff sprintet der Feldreporter zu Stepanovic und stellt ihm die Frage aller Fragen: Ob es das jetzt war in Frankfurt? Natürlich viel raffinierter. Doch Stepanovic tut ihm nicht den Gefallen, den gebrochen Helden zu spielen. Er lächelt in die Kamera, sagt „Lebbe geht weider“ und verschwindet aus Frankfurt.

„Lebbe geht weider“

Es ist ein seltener Moment. Eine absolute Ausnahme: Ein Feldreporter hat ein Interview geführt, das etwas bedeutet – in Erinnerung bleibt. Denn eigentlich sind Feldreporter nur Cheerleader mit Mikro in der Hand. Sie sind dafür da, die Spieler nach dem Abpfiff zu fragen, wie toll es ist, gewonnen zu haben. Die einzige Anforderung in dem Job ist es, sich drei unterschiedliche Formulierungen für diese Frage auszudenken. In Erinnerung bleiben diese Interviews eigentlich nur, wenn die Spieler den Cheerleader mit Mikro in der Hand abfertigen. So wie Stepanovic. Und so wie jetzt Toni Kroos, nachdem er mit Real Madrid die Champions League gegen FC Liverpool gewonnen hatte. Der fünfte CL-Titel in der Karriere des Weltmeisters.
Reichlich Grund zur Freude also – für Kroos.

Doch ZDF-Mann Nils Kaben sah das weniger als den Moment des Spielers an. Sondern eher als Chance zu beweisen, dass er viel mehr drauf hat, als mit 54 Jahren immer noch den Cheerleader mit Mikro in der Hand zu geben: „War das überraschend für Sie, dass Real Madrid doch ganz schön in Bedrängnis geraten ist?“ Soll Kroos halt mal nach 97 Minuten Leistungssport noch schnell eine ausgefeilte Spielanalyse liefern. Der weicht aus, bleibt höflich. Noch. Kaben legt nach, in den Spielen davor habe Real Madrid ja auch gewackelt.

Kroos mag Weltmeister sein. Die Champions League fünf mal gewonnen haben. Aber was ist das schon im Vergleich zu einem 54 Jahre alten Cheerleader mit der Ambition zum Chef-Analysten? Blöd nur, dass es Kroos einen Ticken anders aussieht: „Du hattest jetzt 90 Minuten Zeit, dir vernünftige Fragen zu überlegen. Und jetzt stellst du mir zwei solche Scheiß-Fragen. Das finde ich Wahnsinn!“, hält er dagegen und verschwindet aus dem Bild. Von hinten ruft er dann Kaben noch hinterher, dass man an dessen negativer Einstellung seine deutsche Herkunft erkennen könne. Wham.

An negativer Einstellung deutsche Herkunft erkennen

Und nun? ZDF-Sportchef Thomas Fuhrmann stellt sich vor Kaben: Der hätte etwas bei den Emotionen bleiben können, bevor er analytisch frage. Aber die Fragen seien schon berechtigt gewesen. Grundsätzlich. Um das mal zu übersetzen: Er stellt sich vor seinen Mitarbeiter, weil das halt seine Rolle als Sportchef ist, aber es gibt eine gewisse Chance, dass beim nächsten wichtigen Spiel ein anderer Cheerleader das Mikro in der Hand hält.

Ansonsten versucht das ZDF, den Ball flach zu halten: In der Sportstudio-Reportage geht der Sender noch mal ausführlich auf das Finale ein. Der Zwist des eigenen Mannes mit dem Spielmacher des Siegers bleibt aber unerwähnt. Auf letzteren ist das ZDF sauer. Was den Weltmeister und fünffachen CL-Sieger schwer treffen wird. Falls er gehofft haben sollte, sich nach seiner Zeit als Fußball-Millionär was im Fernsehgarten dazu zu verdienen, dürfte das jetzt vorbei sein. Die lustigen Live-Spielchen muss jetzt wer anderes machen.

Kopf hoch. Lebbe geht weider. Stepanovic wurde nach seiner Entlassung in Frankfurt Trainer in Leverkusen und gewann mit denen den Pokal, aus dem er zuvor mit Frankfurt ausgeschieden war. Das berühmte Zitat war noch nicht einmal neu. Er hatte es schon gebracht, als er mit Frankfurt 1992 am letzten Spieltag eine Meisterschaft verlor, die nicht mehr verlierbar schien. Aber für ein Interview mit einem Feldreporter tut’s auch was Gebrauchtes. Wer 1993 der Feldreporter war? Wen interessiert’s – irgendein Cheerleader mit Mikro in der Hand.

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