Tichys Einblick
Auch dank Separatismusgesetz

Grenobler Verwaltungsgericht hebt Burkini-Freigabe auf wegen Verletzung des Neutralitätsgebots

Wenige Tage, nachdem der grüne Bürgermeister von Grenoble den Burkini erlauben wollte, wurde der Beschluss ausgesetzt: Das Verbot der islamischen Badebekleidung bleibt. Der Innenminister hat das selbst eingeleitet – angeblich mit Hilfe des Separatismus-Gesetzes, aber vor allem aufgrund der tief verwurzelten Laizität des Landes.

IMAGO / Panthermedia

Keine zwei Wochen sind vergangen, seit der grüne Bürgermeister von Grenoble das Burkini-Verbot in den öffentlichen Schwimmbädern der Stadt aufhob. Auf die Entscheidung des Stadtrats um Éric Piolle (Europe Écologie Les Verts, EELV) folgte eine erregte Debatte, in die sich vor allem die Gegner der Entscheidung einmischten. Die Änderung der Baderegeln würde „Forderungen eines politischen Islams erfüllen, das heißt einer totalitären und radikalen Ideologie“, formulierte eine Bürgerinitiative. Die Gruppe sah in der Entscheidung eine Verletzung republikanischer Ideale.

Zeit zum Lesen
„Tichys Einblick“ – so kommt das gedruckte Magazin zu Ihnen
Der Burkini ist ein den ganzen Körper bedeckender Badeanzug für Frauen, der damit angeblich gewissen Religionsvorschriften gerecht wird. Seit Jahren gibt es in französischen Bädern, aber auch an Stränden Verbote gegen das Kleidungsstück, das mit dem Vormarsch eines radikalen Islams verbunden wird. Auch die Befürworter des Kleidungsstücks sparen derweil nicht mit Kritik und kreiden ihrerseits dem Verbot an, dass es die Laizität verletze und darüber hinaus rassistisch sei.

Nun hat das Grenobler Verwaltungsgericht die Aufhebung des Burkini-Verbots durch die Grünen rückgängig gemacht. Die Gerichtsentscheidung geht letztlich auf eine Intervention des Innenministers Gérald Darmanin zurück, der den Präfekten des Départements Isère, Laurent Prévost, aufgefordert hatte, aktiv zu werden. In der Folge hatte Prévost noch vor der Sitzung des Stadtrats angekündigt, den möglichen Beschluss durch eine einstweilige Verfügung annullieren zu wollen. Außerdem wollte Prévost das Verwaltungsgericht anrufen, um auch eine richterliche Aussetzung des Aufhebungsbeschlusses zu erwirken. In Kraft getreten wäre die Aufhebung des Verbots erst am 1. Juni.

In Frankreich gibt es Regeln des Zusammenlebens: Laizität ist eine davon

In seiner Pressemitteilung spricht der Präfekt Tacheles: Die Beschlussvorlage des Stadtrats habe das offenkundige Ziel gehabt, identitätspolitischen Forderungen nachzugeben, die im Widerspruch zu dem seit 1905 gesetzlich festgeschriebenen Laizitätsprinzip stehen. Durch das Separatismusgesetz von 2021 sei dieses republikanische Prinzip nochmals „bestärkt“ worden. Die Aufgabe eines Bürgermeisters sei es zwar auch, die Religionsfreiheit aller Bürger sicherzustellen, er müsse aber genauso jene „Regeln“ der Republik respektieren.

Laut dem Beschluss des Verwaltungsgerichts vom Mittwoch stellt die Burkini-Freigabe eine „schwere Verletzung des Neutralitätsgebots im öffentlichen Bereich“ dar. Und auch hier stellt man fest, dass die Freiheit des Einzelnen in Frankreich keinen religiösen „Kommunitarismus“ erlaubt, in dem sich eine Gemeinschaft in den Vordergrund stellt und das „gute Funktionieren der öffentlichen Dienstleistungen“ in Frage stellt.

Von vernehmbaren Stimmen wurde begrüßt, dass das Gericht sich nicht hinter Fragen der Hygiene oder der Sicherheit versteckt habe, sondern sich eindeutig zur weltanschaulichen Neutralität öffentlicher Einrichtungen bekannt habe.

Auch Innenminister Gérald Darmanin hat die Entscheidung begrüßt und als eigenen Erfolg für sich eingestrichen. Auch wenn die genauen Regelungen des Gesetzes opak bleiben, hat es doch zumindest das alte Laizitätsprinzip des französischen Staats bekräftigt und Instrumente geschaffen, durch die ein lokaler Präfekt – offenkundig auf Weisung des zuständigen Ministers – handeln kann, wenn gegen die „Regeln“ verstoßen wird. Als nächstes wird sich der beratende Staatsrat (Conseil d’État) mit dem Thema beschäftigen, um eventuell eine nationale Regelung im Sinne des Grenobler Tribunals herbeizuführen. Ein Jurist sieht dafür gute Chancen, zumal es in der Vergangenheit zu zahlreichen „Guerrilla-Aktionen“ rund um den Burkini in Schwimmbädern gekommen war.

Marine Le Pen nannte den Burkini ein „Kleidungsstück der islamistischen Propaganda“ und hat einen Gesetzentwurf zu seinem definitiven Verbot angekündigt. Im Wahlkampf hatte Le Pen auch ein Verbot der islamischen Verschleierung überhaupt angekündigt, wenn sie zur Präsidentin gewählt werden sollte. Éric Zemmour sprach nun vom Burkini als einem Symbol der „visuellen Eroberung“ Frankreichs durch den Islam. Die republikanische Linke sei tot, wenn sie die Laizität in dieser Weise verrate und sich dem „islamo-gauchisme“ zuwende. Das sei der eigentliche Sieg Jean-Luc Mélenchons.

Piolles Entscheidung war klassische und gefährliche Identitätspolitik

Anders als die Vollverschleierung, die sogenannte Burka, ist der Burkini in Frankreich nicht von Staats wegen verboten. Trotzdem sind laut einer Umfrage 69 Prozent der Franzosen für ein Verbot des Burkini in öffentlichen Bädern. Begründet wird das auch abseits von Politikerreden mit der Laizität, jenem alten Rechtsprinzip der französischen Republik. Darunter versteht man, dass die Religion Privatsache ist, also nicht demonstrativ im öffentlichen Raum erscheinen soll, weil das als Missionierung oder Proselytenmacherei aufgefasst wird.

Frankreich
"Sozialer Fortschritt": Bürgermeister will Burkini in Bädern erlauben
Das Tragen des Burkinis greift insofern die Bekenntnisfreiheit der französischen Gesellschaft an, weil er sinnbildlich für den radikalen Islam steht. Das Online-Magazin Philosophie erklärt das Verbot mit einer abwägenden Denkfigur: Für die Religion gebe es Orte und Augenblicke, zu denen aber das öffentliche Baden definitiv nicht gehöre.

Tatsächlich soll Éric Piolle sich aber vor seiner Entscheidung mit den Vertretern einer Vereinigung abgestimmt haben, die seit Jahren für eine Aufhebung des Burkini-Verbots arbeiten. Die 2012 in Grenoble gegründete „Alliance citoyenne“ trägt einen täuschenden Namen, der vorgaukelt, dass sich hier wachsame Bürger (citoyens) zusammengeschlossen hätten. Inzwischen hat sich der Verein über ganz Frankreich ausgebreitet und besitzt laut Figaro mehr als 5.000 Mitglieder. Taous Hammouti, eine der Sprecherinnen des Vereins, schrieb 2015 nach dem Attentat auf die Satire-Zeitung Charlie Hebdo: „Vergesst nicht, dass Charlie als erster das Schwert gezückt hat.“ Eine merkwürdige Äußerung, wenn man bedenkt, dass bei dem Attentat zwölf Personen, darunter acht Redaktionsmitglieder, ums Leben kamen. Piolles Entscheidung war klassische und gefährliche Identitätspolitik.

Das Magazin Philosophie geht übrigens so weit, auch kapitalismuskritische Argumente gegen den Burkini vorzubringen: Der Ganzkörperbadeanzug gehe nämlich auf die Marketingidee einer australischen Erfinderin zurück. In den islamischen Schriften sei dagegen nirgends von einer speziellen Bekleidung beim Baden die Rede. Es ist also eine Willkürlichkeit, wenn man ihn nun für notwendig erklärt.

Interessanterweise erlaubte der grüne Bürgermeister von Grenoble den Frauen zugleich mit dem Burkini auch das Baden ohne Bikini-Oberteil. Das könnte man wirklich eine unausgewogene Entscheidung nennen. Sogar im linken Wahlbündnis NUPES sollen nicht alle glücklich damit gewesen.

Anzeige
Die mobile Version verlassen