Jahrzehnte habe ich als Wirtschaftsjournalist verbracht – aber ich lese keine Wirtschaftsbücher. Meist weiß man schon, was wiedergekäut wird, und fast immer ist es mühsam zusammengeschrieben, trocken Brot, ohne Erkenntnisgewinn. Natürlich gibt es Ausnahmen. Eine solche hat Dan McCrum vorgelegt. Doch mal ehrlich: Wer will noch was über Wirecard lesen? Reicht es nicht zu wissen, dass Milliarden verpufften und Anleger geprellt wurden? Dennoch ist mein Rat: Lesen Sie das Buch. Es ist spannend, unterhaltsam, faszinierend.
Ich lese häufig Romane; gute Romane erzählen mehr über die Wirklichkeit als viele Sachbücher. McCrum liest sich wie ein Roman UND ist ein Sachbuch. Es beschreibt den Aufstieg eines Unternehmens aus dem Pornobereich, über das an der Ehefrau vorbei die virtuellen Peep-Show-Gebühren abgewickelt wurden. Später kam Glücksspiel dazu. Welch eine Basis, um einen Dax-Konzern aufzubauen…
Halbseidene, ach was: Viertelseidene Figuren werden zu Helden der Wirtschaft. Wirecard wird zum Technologie-Vorzeigeunternehmen. Auch TE hat Kreditkarten-Spenden über Wirecard abgewickelt. Größe und Niedertracht liegen nahe beieinander. Der Kapitalismus wurzelt eben auch oft im Bösen – hier spielte Porno die Profite ein, aus denen Technologie erwuchs. Entscheidend ist: Was setzt sich durch? Die Technologie oder die kriminelle Gier? Schon das ist eine spannende Story.
In seinem für die deutsche Ausgabe geschriebenen Vorwort fasst McCrum zusammen, wie sich seine investigative Geschichte zugetragen hat: er begann in seinen Artikeln die veröffentlichten Bilanzen von Wirecard genauer unter die Lupe zu nehmen, fand Unplausibles und berichtete aufgrund der Aussagen von Whistleblowern darüber, was tatsächlich im Inneren des Konzerns geschah. Doch als sich die Verdachtsmomente mehrten und zu einem Skandal ausweiteten, sprangen Wirecard einflussreiche Verteidiger zur Seite.
Medien, aalglatte Banker, reiche Investoren, teure Wirtschaftsprüfer, institutionelle Aufsichtsbehörden und Staatsanwälte kamen zu dem Schluss, dass sich der kaum bekannte Reporter aus London irren musste und möglicherweise korrupt war; ihm wurde unterstellt, einen Rachefeldzug gegen eines der erfolgreichsten Technologieunternehmen Europas zu führen. Aber am Anfang standen die Goldkettchen-Russen, die Kritiker auf ihre Art beeindruckten – mit der Faust, und das im schönen München am hellen Tag.
Sie glaubten die Story vom braven deutschen Unternehmen und von den bösen Spekulanten – die ja der gute Deutsche gar nicht mag. Dabei waren es diese „Aasgeier des Kapitalismus“, die als erste den fauligen Geruch wahrnahmen, der aus Wirecard aufstieg. Deutschland glaubt an seine korrupten Behörden und Politiker, aber nicht an die reinigende Kraft des Wettbewerbs.
Das Vertrauen in das Unternehmen speiste sich zum einen aus dem Sog der Gier, die Anleger sahen in Wirecard eine Geldmaschine und wurden dadurch belohnt. Zum anderen hätte alles viel früher auffliegen können, wenn nur irgendjemand, die Fakten überprüft hätte. Und Deutschland war mit seiner Unterstützung von Wirecard nicht allein. Die zahlreichen Londoner Wegbereiter waren hocherfreut, das Geld des Unternehmens einzustreichen. Es gibt einen Grund, warum Oligarchen und die Großfamilien von Despoten die Stadt an der Themse seit langem als willkommenes Zuhause empfinden.
Wie in einem Thriller führt Dan McCrum vor, wie er bis zum Rande der Selbstvernichtung den Krieg gegen sie aufnahm. Getrieben bis zur Paranoia, die Ehefrau ebenfalls angegriffen, die Angst als Begleiter im Safe House, wo er abgeschirmt von Abhörwanzen und gegen Hacker gesichertem Internetzugang vor sich hin recherchierte.
„House of Wirecard“ ist auch ein Hohelied auf den mutigen investigativen Journalismus angelsächsischer Prägung. Es zeigt, wie schwer es ist und wie gefährlich, wirklich zu recherchieren und nicht nur nachzuplappern. Wie riskant es ist, gegen den staatsmonopolistischen Komplex in Deutschland anzukämpfen.
Ich habe als Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Gesellschaft bei der Jury durchgesetzt, dass Dan McCrum den Ludwig-Erhard-Preis für Wirtschaftspublizistik erhielt. Das war so ziemlich die erste Anerkennung für McCrums Arbeit in Deutschland. Kurze Zeit später war ich nicht mehr Vorsitzender, wurde aus der Jury entfernt für die neu eingeführte Frauenquote dort und bejubelt wurde diese Entscheidung von den beiden führenden deutschen Wirtschaftsblättern. Doch das ist natürlich nur Zufall.
Dan McCrum, House of Wirecard. Wie ich den größten Wirtschaftsbetrug Deutschlands aufdeckte und einen DAX-Konzern zu Fall brachte. Die ganze Geschichte. ECON, 464 Seiten, 25,00 €