Gerade flattern wieder Einladungen zu Gesellschafterversammlungen ins Haus. Die Tagesordnung vieler Unternehmen dürfte neben der üblichen Erläuterung der Bilanz, Entlastung des Vorstands oder der Geschäftsführung sowie Berichten über das abgelaufene Jahr beim Ausblick auf die zukünftige Geschäftstätigkeit Stichworte wie Auswirkungen der Corona-Pandemie, Berücksichtigung der Kriegsfolgen, Kostensteigerung und Materialverknappung enthalten.
Material ist in vielerlei Hinsicht knapp: Nickel fehlt komplett, Roheisen ist rar, manche Halbleiter gibt es nicht, andere können voraussichtlich frühestens Ende 2023 geliefert werden, aber auch das nur ganz vielleicht. Die Mangelwirtschaft erinnert zunehmend an sozialistische Zeiten. Hinzu kommt ein fast alle verbindendes Problem: Energie. Die Kosten explodieren, manche Unternehmen können sie nicht mehr stemmen.
Nun beginnt es, viele Unternehmen direkt zu treffen, speziell diejenigen, die auf Drängen der Regierung in den letzten Jahren auf Gas umgestellt haben. Denn Gas ist das große Problem Deutschlands. Gar nicht gut kommen bei denen, deren Existenz nicht steuergeldfinanziert ist, die „Lösungsversuche“ unserer Politik an. Ein Satz, den man häufiger hört, ist: „Die verar… uns doch!“
Die Nichtlösung
Man stelle sich einen Unternehmer und seine Mitarbeiter vor, die ums Überleben kämpfen und dann von Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) in einem Interview lesen:
WELT: Hieße das, dass in Niedersachsen anders als in den vergangenen Jahren Fracking-Gas gefördert werden soll?
Weil: Nein. Nach einem jahrelangen heillosen und emotionalen Streit hat auch die Gasindustrie erkannt, dass es dafür an Akzeptanz fehlt. Es würden langwierige Streitigkeiten wegen neuer Förderstellen folgen, und das hilft uns nicht. Wir brauchen jetzt schnelle Lösungen …
WELT: Bei Ihnen in Niedersachsen, im Emsland steht auch eines von jenen drei Atomkraftwerken, die noch am Netz sind. Das kann man angesichts der Lage nicht vom Netz nehmen, oder?
Weil: Doch, so wird es sein. Erstens haben wir ein Gas- und kein Stromproblem. Zweitens steht das Abschalten der Atomkraftwerke schon seit langer Zeit fest, und alle Beteiligten haben sich darauf eingestellt. Deswegen bedürfte es eines erheblichen zusätzlichen Sicherheitsaufwands und ebensolcher Investitionen, um diese Entscheidung wieder rückgängig zu machen. Das alles bräuchte wieder Zeit, und um diese Investitionen zu refinanzieren, bedürfte es dann wieder erheblich längerer Laufzeiten. Der wievielte Ausstieg aus dem Ausstieg wäre das dann?
Wie bitte? Wir haben ein Gas- und kein Stromproblem? Und womit produzieren wir Strom, Herr Weil? Na? Bingo, mit Gas! Das benötigen wir sogar in immer höherem Maße, jedenfalls nach Plan der Regierung, denn Gaskraftwerke müssen die abgeschalteten AKW ersetzen, die wir dann mit Gas, dessen Lieferung unsicher ist, betreiben. Das klingt definitiv nicht hochbegabt. Aber weil wir ja kein Stromproblem haben, stellen wir auch noch die letzten AKW ab? „Verar…“ ist fast noch höflich formuliert.
Jedermann und seine Oma wissen, dass die noch am Netz befindlichen AKW weiterbetrieben werden müssen, weil wir sonst auf eine Katastrophe zulaufen, diese zudem für die Energiewende essentiell sind.
Unsere Regierung tut – nichts. Oder doch, sie schaltet weiter ab.
Und wie war das mit der „Gasindustrie“, die resigniert hat? Weiß die das oder ist das frei erfunden? Wenn man bedenkt, wie viel Zeit und Ärger es kostet, LNG-Terminals nebst Hinterlandanbindung zu bauen, das sind ja nicht nur Kaianlagen, sondern Leitungen, Regasifizierungsanlagen, Lagertanks u. v. m., und wie viele Proteste es dagegen gibt, dann erscheint die Behauptung wenig plausibel.
„Wir brauchen jetzt schnelle Lösungen“ – wie definiert Weil „schnell“? „Schon in zwei Jahren soll Deutschland verflüssigtes Erdgas (LNG) aus Katar geliefert bekommen.“ Jedenfalls hofft der Vizepremier des Golfstaats, Scheich Mohammed bin Abdulrahman Al Thani, bereits dann liefern zu können. Sonst eben nicht. Oder später. Bestimmt irgendwann.
Für Ministerpräsident Weil sind also bestenfalls erhoffte zwei Jahre schnell? Dann hoffen wir mal, dass Putin das auch so sieht, denn was ist, wenn er uns im Herbst oder Winter den Gashahn zudreht?
Und Katar – das ist ja ein Vorzeigestaat sondergleichen. Damit bekommt man die strategische Unabhängigkeit aber so etwas von hin … wer könnte bloß denken, dies sei keine gute Idee, wir würden eine Abhängigkeit durch die andere ersetzen? Das sei Realpolitik heißt es. Denn was muss, das muss, es geht eben nicht anders. Wirklich nicht?
Gasförderung in Deutschland
Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) hat im Februar 2022 ihre Energiestudie für 2021 mit dem klangvollen Titel „Daten und Entwicklungen der deutschen und globalen Energieversorgung“ vorgestellt. Darin stehen hochinteressante Fakten.
Danach ist Erdgas mit 27 Prozent des Primärenergeiverbrauchs der zweitwichtigste Energieträger Deutschlands. Der derzeitige Verbrauch (also ohne zusätzliche Gaskraftwerke für die Energiewende) beträgt 90,8 Milliarden m³.
Nach dieser Studie hat Deutschland eigene Erdgasmengen in Höhe von 1,36 Billionen m³ – geschätzt (1 Billion = 1000 Milliarden), davon sind 0,02 Billionen m³ konventionelles Erdgas, 0,45 Billionen m³ Kohleflözgas, 0,09 Billionen m³ aus Tight – Gasvorkommen und Erdgas aus Schiefergasvorkommen (was nichts anderes ist als das Gas, was via LNG-Terminals kommen soll) in einer Größenordnung von 0,32 bis 2,03 Billionen m³ bezogen auf eine Tiefe von 1.000 bis 5.000 m.
Anders ausgedrückt: Deutschland hat reichlich eigenes Gas und ist mitnichten auf Katar oder ähnliche Staaten angewiesen.
Die Bohrtechnik ist mittlerweile weit fortgeschritten, Bohrungen können umweltschonend erfolgen. Mehr konventionelles Gas könnte man ebenso wie Kohleflözgas relativ schnell fördern. Bohrungen bis 4.500 m dauern im Schnitt drei Monate. Nimmt man die Exploration hinzu (wobei in Deutschland die potenziellen Lagerstätten bekannt sind), könnte in einem guten halben Jahr ein neues Erdgasfeld erschlossen sein.
Wie schnell gesetzgeberische Vorhaben durchgepeitscht werden können, hat die Corona-Pandemie gezeigt. Das galt selbst für intensive Grundrechtseingriffe. „Wo ein Wille, da ein Weg“, dies hat die Pandemie deutlich gezeigt. Hinter dem Vorwand umfangreicher gesetzgeberischer Notwendigkeiten kann sich die Politik also nicht mehr verstecken. Das geht deutlich schneller und auch gesetzgeberisch keineswegs komplizierter als das Bauen von LNG-Terminals. Warum passiert das also nicht? Mehr noch: Warum werden die neuen Abhängigkeiten von „Schurkenstaaten“ als alternativlose Realpolitik dargestellt?
Alternativlos ist der Bau von Kernkraftwerken, und bis diese fertig sind, haben wir ausreichend eigene Rohstoffvorkommen, um unseren Bedarf zu decken. Die Politik „vera…“ tatsächlich die Bürger.
Gasexporte aus Deutschland
Dieser BGR-Studie lässt sich ebenfalls entnehmen, dass Deutschland 159,7 Milliarden m³ Gas importiert. Wie bereits erwähnt, verbrauchen wir davon 90,8 Milliarden m³. Jedem, der die Grundrechenarten auch nur halbwegs beherrscht, fällt eine Diskrepanz auf: 159,7 – 90,8 = 68,9.
68,9 Milliarden m³ exportiert (!) Deutschland und ist damit einer der größten Gas-Exporteure weltweit. 57 Prozent gehen an Tschechien, gefolgt von den Niederlanden mit 16,1 Prozent sowie an Österreich, die Schweiz und andere Staaten.
Nun stellt sich die Frage nach den vertraglichen Bedingungen der Exportverträge. Normalerweise würden Juristen für derartige Fälle eine Klausel einarbeiten, dass bei ausbleibender Vorlieferung zunächst einmal der eigene Bedarf gedeckt wird. Gibt es derartige Klauseln? Dann wäre unser Problem deutlich geringer. Ungefähr 45 Prozent des verbrauchten Erdgases bezieht Deutschland aus Norwegen, den Rest aus Russland.
Selbst wenn das aber nicht der Fall ist, müsste insoweit mit den fraglichen Staaten verhandelt werden, welche Anpassungsmöglichkeiten es gäbe. Natürlich kann und darf man nicht zum Beispiel Tschechien frieren lassen, aber es darf auch nicht sein, dass bei uns alles zusammenbricht, wir aber unsere Gasexporte unbeschränkt fortführen. Das dürfte den Bürgern und der heimischen Wirtschaft nur schwer zu vermitteln sein. Israel beispielsweise erhöht seine Erdgasförderung, um Europa zu helfen.
Der Punkt ist: Warum wird diese Debatte nicht öffentlich und mit korrekten Zahlen und Daten geführt?
Fatalpolitik
Eines ist jedenfalls klar: Mit LNG-Terminals kann man das russische Gas nicht ersetzen. Diese Anlagen werden nicht schnell genug fertig und reichen auch nicht aus. Im Internet kursiert eine Berechnung, die von mir nicht überprüft wurde, aber nachvollziehbar erscheint. Sie geht zutreffend davon aus, dass derzeitige LNG-Tanker ein Fassungsvermögen von maximal 147.000 m³ Gesamttankvolumen haben.
Um Nord Stream 1 zu ersetzen, wären 374.150 Fahrten nötig, was rechnerisch 1.025 Tanker/Tag ergäben, die gelöscht werden müssten. Vorhanden sind aber weltweit nur 470 Tanker. Selbst wenn also der gesamte Rest der Welt Deutschland zu Liebe auf Flüssiggas verzichten würde, würde die Versorgung nicht funktionieren.
Manchmal wäre es vielleicht hilfreich, Rechnen statt Genderwirrwarr zu lehren. Leuten, die beruflich rechnen müssen und Anlass haben, sich mit der Thematik zu befassen, fällt naturgemäß auf, was für einen Unfug die Politik erzählt. Da fragt man sich, warum unsere Politiker offensichtlich bewusst und gewollt den Karren an die Wand fahren. Sind sie dumm oder böswillig – oder gar beides?
So manchen beschleicht der Gedanke, dass Robert Habeck eine exzellente Show abzieht: Sein Aktionismus wirkt beeindruckend, aber er tut de facto nichts, um Schaden von Deutschland abzuwenden. Seine Aussagen, nur Sparen und Erneuerbare helfen, ist jedenfalls Unfug. Das, was hilft, macht er gerade nicht. Damit nimmt er einen Blackout und erheblichen wirtschaftlichen Schaden in Kauf, um dann mit Hilfe der Bundesnetzagentur drakonische Maßnahmen bis hin zur Enteignung durchsetzen zu können. Man könnte denken, der Ukraine-Krieg käme ihm wie gerufen und er warte nur darauf, dass es zum Gaslieferstopp kommt.
Dies könnte auch erklären, warum der Bundeskanzler seinerseits die Ukraine ins Messer laufen lässt. Bei derzeitiger Lage hat sich Habeck – wieder mithilfe der Presse – in die Rolle des Filmhelden manövriert. Den politischen Schaden für die fatalen Folgen eines Gasstopps würde Scholz tragen müssen. Das will er nicht, ergo versucht er, Deutschland klein zu machen, um Putin halbwegs bei Laune zu halten, damit er hübsch weiter liefert. Dass sich Deutschland dadurch in ein höchst fragwürdiges Licht setzt, scheint ihn nicht zu stören. Das Gemeinwohl scheint beide Herren wenig zu interessieren.
Das hat alles nichts mit Realpolitik zu tun. Es ist schlicht Fatalpolitik.