Die Wahl in Berlin im September 2021 versank im Chaos: Massenweise falsch ausgeteilte Wahlzettel sorgten für zahllose ungültige Stimmen, geschlossene Wahllokale versperrten Wählern den Weg, andernorts fehlten Wahlzettel. Doch bei reinen Pannen blieb es nicht. Die zuständige Wahlleitung versuchte, das Chaos zu vertuschen. Ein Fall zeigt das nun eindeutig.
Im TE exklusiv vorliegenden Protokoll für das Wahllokal 02512 im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg wird zunächst das für den Tag übliche Chaos beschrieben. Für die Zweitstimme zum Berliner Abgeordnetenhaus lagen im Wahlbüro die falschen Stimmzettel vor – nämlich welche für Charlottenburg-Wilmersdorf. In Berlin wird sowohl nach Landes- als auch nach Bezirksliste gewählt – insofern zeigt der Wahlzettel Charlottenburg-Wilmersdorf andere Kandidaten als der Wahlzettel Friedrichshain-Kreuzberg. Wer also die Liste einer Partei ankreuzte, wählte die Liste mit Kandidaten des Nachbarwahlkreises. Ein schon absurder Vorgang.
Der Wahlvorstand im Wahlbüro bemerkte den Fehler bei den Wahlzetteln vergleichsweise schnell. Im Protokoll wird vermerkt: „Der Fehler wurde gegen 8:15 vom Wahlvorstand dem Bezirkswahlamt gemeldet“. Und weiter: „Von dort kam zunächst die Weisung, mit der Wahl mit den falschen Wahlzetteln fortzufahren“.
Das Bezirkswahlamt gibt hier also die Anweisung, eine Wahl mit falschen Stimmzetteln einfach fortzusetzen.
Im Protokoll heißt es weiter: „Etwa 2 Stunden später bekamen wir die Information, dass die ‚Charlottenburg-Wilmersdorf‘-Wahlzettel als ungültig zu behandeln sind. Bis dahin hatten 82 Personen diese Wahlzettel genutzt“. Die Wähler sind wieder weg und wissen gar nicht, dass ein Fehler vorliegt. Lediglich drei Wähler kommen in diesem Fall von sich aus zurück und können noch einmal abstimmen.
In Zahlen: Fast jede fünfte abgegebene Stimme in diesem Wahllokal wurde für ungültig erklärt! Selbstverständlich bleibt es nicht bei diesem Einzelfall. Da offensichtlich in sehr vielen Wahllokalen falsche Stimmzettel auslagen und die abgegebenen Stimmen im Nachhinein für ungültig erklärt wurden, vervielfacht sich der Fehler.
TE wird jetzt aus rund 40.000 Seiten Protokoll ermitteln, in wie vielen Fällen Wähler so um ihre Stimme betrogen wurden. Allein in diesem Bezirk haben 132.000 Wähler ihre Stimme abgegeben – vielfach auf falschen, und damit als „ungültig“ erklärten Stimmzetteln. Nach ersten, vorsichtigen Schätzungen wurden damit allein in diesem Bezirk rund zehntausende Wähler getäuscht. Eine ordnungsgemäße Wahl sieht anders aus.
Das Bezirksamt manipuliert die Wahl
Berliner Bezirksämter sind keine nebensächliche Verwaltungseinheit – die 12 Bezirksämter sind zuständig für die Durchführung der Wahl. Die verantwortliche Bezirksbürgermeisterin war Monika Herrmann von den Grünen. In ihre Verantwortung fällt damit dieser Vorgang, der Zehntausende Berliner um ihre Stimme prellte.
Denn das Bezirksamt hat unmittelbar dafür gesorgt, dass eine Wahl irregulär weiter geführt und Wähler über diesen Vorfall getäuscht wurden.
Dass das Bezirksamt eine solche Anweisung gab, kann nicht von ungefähr kommen – und zeigt die Linie, die dort gefahren wurde. Es ist gut möglich, dass dieser Vorgang sich in weiteren Wahlbüros und anderen Bezirken wiederholt hat – und dass auf das Chaos die Vertuschung folgte. Auf ganz Berlin bezogen kann es sich um eine sechsstellige Anzahl von um ihre Stimme betrogenen Wählern handeln. Bislang wurde die Wahl zwar angefochten – aber die konkrete Überprüfung auf die lange Bank geschoben. Bislang hat sich nur TE die Mühe gemacht, die Details aufzuklären.
Strafanzeige gegen Bezirkswahlleiter
TE sprach über diesen Vorgang mit Marcel Luthe, er war Kandidat zum Abgeordnetenhaus und führt jetzt eine Wahlprüfungsbeschwerde vor dem Berliner Landesverfassungsgerichtshof. Aufgrund der von TE ermittelten Sachverhalte stellte Luthe noch am Samstag Strafanzeige gegen die Verantwortlichen beim Bezirkswahlamt. „Die Hemdsärmeligkeit, mit der die zuständigen Beamten im Bezirkswahlamt agiert haben, ist erschütternd und offenbar bar jedes Respekts vor dem Souverän. Vorsätzlich falsche Stimmzettel ausgeben zu lassen, weil man sich vorher schon keine Mühe gegeben hat, ist kein Lapsus. Meines Erachtens hat man hier 80 Menschen vorsätzlich um ihr Wahlrecht gebracht – und auch das dürfte nur die Spitze des Eisberges sein!“, so Luthe.
In der Anzeige spricht Luthe von einer „strafbaren Wahlfälschung durch Bewirkung eines ‚sonstigen unrichtigen Ergebnisses‘ im Sinne des § 107a StGB“. Dieses Vorgehen habe ein „falsches Ergebnis einer Wahl“ herbeigeführt, da der Wählerwille – etwa die Wahl der auf dem Stimmzettel genannten Kandidatenliste – nicht umgesetzt worden sei. Denn es geht nicht um anonyme Listen, sondern um konkrete Personen in der Reihenfolge der Liste – von einem anderen Ort!
Die nächste Stufe der Manipulation
Die Sache nahm drei Tage nach der Wahl noch eine bemerkenswerte Wendung: Während die betreffenden Stimmzettel am Wahlabend vom Wahlvorstand in Absprache mit dem Wahlamt für ungültig erklärt wurden, wurden sie drei Tage später in Teilen offenbar wieder zu gültigen Stimmen erklärt. Aus ungültigen Wahlzetteln wurden zunächst gültige Stimmen, diese wurden zu ungültigen erklärt und später wiederum zu gültigen Stimmen auf ungültigen Wahlzetteln.
„Es ist ein in der Geschichte Deutschlands bislang unbekannter Vorgang an Willkür, wie mit dem heiligsten Gut der Demokratie umgegangen wird – der Wählerstimme“, so Roland Tichy, Herausgeber von TE.
Den Hintergrund dieses Vorgangs, wie ungültige Stimmen wieder zu gültigen Stimmen auf ungültigen Wahlzetteln manipuliert werden – das wird TE in einem gesonderten Artikel aufklären. Klar ist: Das macht den Vorgang nur noch dubioser, denn dass falsche Wahlzettel Gültigkeit besitzen sollen – das ist unmöglich und verfälscht den Wählerwillen. Marcel Luthe erklärt den Vorgang:
„Wären die Stimmen ‚einfach‘ für die jeweils angekreuzte Partei gezählt worden, läge ebenfalls ein falsches Ergebnis vor, denn auch die Zweitstimme enthält in Berlin wegen der Bezirks- und Landeslisten zur Abgeordnetenhauswahl ein starkes persönliches Element: Die Listen sind ja nicht anonym, sondern führen konkrete Kandidaten auf. Werden Wählerlisten vertauscht oder verschwinden sie, werden betroffene Kandidaten um ihren Wahlerfolg und Wähler um ihre gezielt abgegebene Stimme betrogen. Wer etwa die FDP mit der Zweitstimme gewählt hätte, weil er den Abgeordneten Henner Schmidt unterstützen wollte, hätte das Gegenteil erreicht, denn der Abgeordnete Schmidt war Kandidat in Charlottenburg-Wilmersdorf. Wenn also die ‚falsche‘ Stimme für ihn in Friedrichshain-Kreuzberg als FDP-Stimme gezählt worden wäre, hätte in der Verteilung der Mandate der FDP auf die Bezirkslisten ein Wähler, der Schmidt wählen wollte, stattdessen einen innerparteilichen Mitbewerber gewählt und die Wahl von Schmidt unwahrscheinlicher gemacht – gegen seinen erklärten Willen.“
Mit anderen Worten: Das grün geführte Bezirksamt hat die Wahl massiv manipuliert und ein Ergebnis erzeugt, das weder dem Willen der Wähler entspricht noch den Kandidaten gerecht wird.
Der Vorgang zeigt, wie vielschichtig die Verfehlungen an diesem Wahltag waren. Spätestens jetzt ist klar: Hier wurde bewusst versucht, die Vorgänge unter der Decke zu halten – ohne Rücksicht auf die Wahlprinzipien und den Wählerwillen.
Lösung kann nur sein: Die Wahl ist zu wiederholen – ohne Wenn und Aber.