Frankreich: Neue Premierministerin Borne widmet ihre Nominierung allen „kleinen Mädchen“
Matthias Nikolaidis
Die von Emmanuel Macron als Premierministerin auserwählte Élisabeth Borne trägt ihr Geschlecht wie eine Monstranz vor sich her. Sie soll offenbar mit den Themen Ökologie, Vollbeschäftigung und Europa linke Wähler von Mélenchon gewinnen.
Inmitten der französischen Vorwahlzeit präsentiert Macron seine neue Premierministerin. Doch auch wenn er behauptet, das Geschlecht habe nichts zu sagen: Élisabeth Borne trägt ihres wie eine Fahne vor sich her. Andere sehen weniger die Frau in ihr als eine eiskühle Technokratin, die alles umsetzen wird, was von ihr verlangt wird.
Alles neu macht der Mai – zumindest in der französischen Politik und wenn man den Worten eines Emmanuel Macron lauscht. Als „neuer Präsident“, gewählt von „einem neuen Volk“ und derart mit einem „neuen Mandat“ ausgestattet, hat Macron nun eine Umbesetzung an der Spitze seiner Regierung bekanntgegeben. Dass es eine Frau und vielleicht eine eher Linke werden sollte, war schon Wochen zuvor vermutet worden, auch wenn Macron nun so tat, als sei das Geschlecht ganz ohne Belang. Es wurde nun tatsächlich eine ehemalige Sozialistin, die 2017 in die Macron-Partei La République En Marche (gerade umbenannt in „Renaissance“) eintrat und seitdem als Ministerin diente, erst für Verkehr, dann für Umwelt, zuletzt an der Spitze des Arbeitsministeriums. Zuvor hatte Borne das staatliche Nahverkehrsunternehmen für die Region Paris (RATP) geleitet.
Und so sind sich zumindest in einem alle einig: Auf Élisabeth Borne passt der Begriff der Technokratin ganz und gar. Nach dem Erwerb eines Ingenieurdiploms an der Nationalen Schule für Brücken und Straßen strebte sie rasch in den Staatsdienst und war seit Anfang der 1990er Jahre in verschiedenen Ressorts für die sozialistische Regierung unter Lionel Jospin tätig.
Viel spricht dafür, dass Macron einen eher unauffälligen Regierungschef haben wollte, der die Regierungsarbeit im Hintergrund geräuschlos erledigt. Nicht zu verachten ist aber auch der Symbolgehalt dieser Benennung – zumal angesichts der anstehenden Parlamentswahlen. Frau und links – das zieht gemäß dem populären Glauben in vielen westeuropäischen Ländern überdurchschnittlich viele Wählerstimmen an. Und dabei hat sich Borne selbst bislang noch nie einer Volkswahl gestellt. Das steht allerdings auch ihr im Juni bevor, und sie sollte ihren Wahlkreis tunlichst gewinnen. Anderenfalls verlöre sie auch das gerade erst gewonnene Amt der Premierministerin.
Scharfe Kritik von Le Pen, Mélenchon, Zemmour
Für Marine Le Pen veranschaulicht die Auswahl Bornes erneut die Unfähigkeit von Präsident Macron, die Franzosen zusammenzuführen. Vielmehr werde er seine Politik der „Ausplünderung der Gesellschaft“, der „Steuererpressung“ und einer sonst generellen Laxheit auch mit der einst sozialistischen Kandidatin fortsetzen. Der Vorsitzende ihrer Partei Rassemblement National, Jordan Bardella, vermutete bei CNews, dass Borne die einzige linke Politikerin sei, die bereit war, die Rente mit 65 durchzusetzen.
Auch der Erzlinke Jean-Luc Mélenchon wirft der neuen Premierministerin unsoziale Entscheidungen vor und erwartet „eine neue Spielzeit der sozialen Misshandlung“. Borne sei eine der „härtesten Figuren“ des sozial ungerechten Macronismus.
Für Éric Zemmour eröffnet die Benennung Bornes ein Jahr der „Unterwerfung gegenüber der Linken“. Dieses Verdikt gilt laut ihm allerdings nicht nur für Präsident Macron, sondern auch für das linke Wahlbündnis NUPES, für Le Pen, die ihre Netze links ausgeworfen habe, und für die konservativen Républicains, die sich den Linken quasi mit Haut und Haaren unterwürfen. Nur seine eigene Partei Reconquête halte die Fackel der populären Rechten hoch. Daneben wäre es ganz gleich, ob der Premierminister nun männlichen oder weiblichen Geschlechts sei. Macron gehe es nur darum, einen Technokraten an dieser Stelle zu plazieren, um das Land unter Kontrolle zu halten.
Borne: Nichts darf den Kampf für Frauen bremsen
Valérie Pécresse von den konservativen Républicains begrüßte die Amtseinführung Bornes mit „republikanischen Glückwünschen“. Auch andere Politiker, vor allem weiblichen Geschlechts, feierten die Benennung der ersten weiblichen Premierministerin seit Édith Cresson (1991–1992 unter François Mitterrand).
Borne widmete ihre Nominierung „allen kleinen Mädchen“, denen sie zugleich zurief: „Setzt eure Träume um.“ Dagegen ist nichts einzuwenden. Allein, braucht man in den heutigen Zeiten unbedingt eine durch Proporz bestimmte Regierungschefin, um derlei durchzusetzen? Auch ihrer unglücklichen Vorgängerin Cresson spendete Borne einen Gedanken, um hinzuzufügen: „Nichts darf den Kampf für den Platz der Frauen in unserer Gesellschaft bremsen.“ Cresson war wegen schlechter Umfragewerte von Mitterrand zum Rücktritt gedrängt worden, später in ihrer Zeit als EU-Kommissarin warf man ihr Nepotismus vor. Ob das heute auch schon als Bremsen gälte?
Ökologie, Vollbeschäftigung, Europa – was Macron sich erwartet
Daneben sprach Borne laut France Inter auch die Notwendigkeit des „Dialogs“ bei der Umsetzung politischer Vorhaben an. Sie selbst erkannte allerdings wohl keinen Widerspruch, wenn sie im nächsten Satz verschiedene Anforderungen nannte, die insgesamt von außen an den französischen Wahlbürger herangetragen werden: „Ich denke an die internationale Situation, aber auch an die klimatischen und ökologischen Herausforderungen, auf die man schneller und stärker reagieren muss.“ Die Antworten auf diese Herausforderungen fände man „bei den Franzosen“. Aber wohl nur, wenn man sie auch fragt.
Laut dem Élysée-Palast handelt es sich bei Borne um eine „Frau von Überzeugung“, bei der aber das Handeln und die Verwirklichung ebenso wichtig seien. Aber vermutlich wird sie kaum Einfluss auf die Richtlinien haben. Die liegen in Frankreich traditionell beim Präsidenten. Und der verkündete auf Twitter das Programm, dem Borne als „Madame la Première ministre“ gerecht werden soll, indem er stichwortartig die wichtigsten Themen aufrief: „Ökologie, Gesundheit, Bildung, Vollbeschäftigung, demokratische Renaissance, Europa und Sicherheit“.
Die kurze Liste verweist – abseits der gewohnten Leerformeln wie „Bildung“ und „Europa“ – auf ein Programm, das auf die Kontrolle verschiedener, mit Bedacht definierter Lebensbereiche ausgeht. Nach der nun (hoffentlich) bewältigten „Gesundheitskrise“, geht es nun offenbar darum, die neu definierten „Krisen“ in den Bereichen „Ökologie“ und „Demokratie“ zu bewältigen. Die Themen der Arbeitslosigkeit und der Sicherheit auf den französischen Straßen sind die einzigen konkreten Punkte, die Macron hier in der gebotenen Kürze nannte. Dass aber diese Bereiche zum Innersten der macronistischen Erneuerungsagenda gehört, die Élisabeth Borne nun umzusetzen hat, mag man in der Tat nicht glauben.
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