Tichys Einblick
Germany zero points

NDR-Mittelmaß holt beim ESC den letzten Platz

Deutschland hat beim Eurovision Song Contest (ESC) den letzten Platz belegt. Wieder mal – das ist alles andere als ein Zufall. Wir stehen uns selbst im Weg.

Großes Finale des 66. Eurovision Song Contest am 14. Mai 2022 im Pala Olimpico, Turin, Italien

IMAGO / ZUMA Press

Eine komische junge Frau macht merkwürdige Stimmlaute. So hat Pro Sieben den Vorentscheid für den Eurovision Song Contest (ESC) in Clips beworben. 2010. Lustigerweise gewann just diese komische Frau. Den Vorentscheid. Und später das Finale in Oslo. Ihr Name war Lena Meyer-Landrut. Und sie war durch einen Vorentscheid gegangen, der sich über Wochen und Monate hinzog.

Durch diese demütigende Prozedur musste Malik Harris nicht. Er gewann einen Vorentscheid im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Gegen eine Handvoll Bewerber. Sie alle hatten NDR-Mitarbeiter und Freunde herausgesucht. In mühevollen Besprechungen diskutierten sie, was junge Leute heute wollen. Damit war Malik Harris’ Schicksal besiegelt: Er darf nach Turin – und wird dort Letzter.

Wie das Abstimmen funktioniert, hat Moderatoren-Legende Peter Urban gut verstanden und erklärt: Jedes Land verteilt seine Punkte nur an zehn andere Länder. Wer als durchschnittlich wahrgenommen wird, also als 13. bester Song, der geht leer aus. Immer. So wie Deutschland in der Bewertung der Jury, aus der Malik und der NDR mit null Punkten herauskamen. Mittelmaß bedeutet beim ESC den Tod.

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Nur dumm: Mittelmaß ist das, was der NDR am besten kann. Schon allein vom öffentlich-rechtlichen Auftrag her: Die Radiowellen des NDR setzen auf Formatradio. Das hört sich besser an, als es ist. Denn in der Musikauswahl geht es darum, auf die Songs zu setzen, die am wenigsten stören: Ecken und Kanten? Raus! Überlänge? Raus! Von der Norm abweichende Harmonien? Raus! Oberstes Ziel ist es, dass der Hörer nicht auf die Idee kommt, abzuschalten. Nicht nachdenken, Radio weiterlaufen lassen. Dudelfunk als Staatsauftrag. Und so schickt der NDR auch regelmäßig Songs, die nicht stören sollen zum ESC. Sodass in der Folge der letzte und der vorletzte Platz für die Deutschen reserviert sind.

Wobei 2022 nicht 2022 wäre, wenn der NDR es nur bei Mittelmaß belassen würde. Das Mittelmaß muss auch noch eine politische Botschaft setzen. Eine, die von den europäischen Freunden goutiert wird. Und eine, mit der die NDR-Redakteure die jungen Leute auf die richtige Spur setzen. Das hört sich gruselig an? Nicht so gruselig, wie die Songs, die dabei ausgesucht werden.

2021 war der ESC die erste Großveranstaltung, die sich trotz Corona-Politik traute, weiterzuleben. Da müssen wir Optimismus versprühen, dachten sich die NDR-Leute. Und schickten Jendrik. Ein überfröhliches Kind im Körper eines Erwachsenen. „I don’t feel hate / I just feel sorry“ hießen gleich die ersten beiden Liedzeilen. So oft und so penetrant wiederholte Jendrik danach die Botschaft des Friedens, dass man ihm am liebsten schon nach zwei Minuten eine reingehauen hätte. Platz 25 von 26.

Zwei Jahre davor wollte der NDR mit dem ESC auch die Integrations-Debatte gewinnen: Die Öffentlich-Rechtlichen stellten eigens ein Duo für den Wettbewerb zusammen: eine blonde Deutsche und eine schwarzhaarige Frau mit philippinischen Wurzeln. Zu subtil? Sie nannten sich Sisters, Geschwister, weil wir doch alle Geschwister sind. Als Menschen. Zu subtil? Den Song nannten sie auch so und versahen ihn mit Songzeilen wie: „Ich nannte dich meinen Feind, aber mein Feind steht genau hier.“ Auf diese Botschaft hatte die europäische Gemeinschaft gewartet – und belohnte sie mit Platz 25 von 26. Für 2023 dürfen sich die Deutschen dann wahrscheinlich über einen Song freuen, der die Freuden von Stromausfall und Hungersnot preist.

Im Fußball wäre Deutschland längst abgestiegen. Aber beim ESC sind wir fürs Finale gesetzt – weil Deutschland den europäischen Gedanken lebt und so ein Leuchtturm für alle anderen ist. Nein. Natürlich nicht. War ein Scherz. Weil wir deutlich mehr Geld für den ESC zahlen als andere Länder und generell in die Europäische Rundfunkunion. Wie viel genau für den ESC fließt, sagt die ARD nicht. Doch dank dem Geld seiner Gebührenzahler darf Deutschland weiter vor dem großen Publikum dilettieren. Bei den letzen sechs von sieben Teilnahmen kam dabei der letzte oder der vorletzte Platz raus.

Der ukrainische Song hatte gute Hooklines, also wiederkehrende Passagen, die dem Hörer gleich beim ersten Mal im Ohr bleiben und dazu wirklich hübsche folkloristische Momente. Gewonnen hat er aber vor allem als Solidaritätsbekundung im Krieg mit Russland. Während die Fachjury den Song noch hinter Großbritannien, Schweden, Spanien und Italien sah, schob die Publikumswertung ihn massiv nach vorne und klar auf Platz eins der Gesamtwertung. Immerhin sechs Punkte gab es vom Publikum für Malik, was aber am letzten Platz in der Gesamtwertung auch nichts mehr änderte.

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Fürs Protokoll: Band und Titel der Ukraine heißen Kalush Orchestra mit Stefania. Das muss man sich aber auch nicht merken. Im NDR laufen wird die Band nicht mehr, nachdem der ESC-Rummel und die Solidaritätsbekundungen mit der Ukraine vorbei sind. Genau so wenig wie der Song aus Moldawien. Der hörte sich an, als ob die Rapper von den Beastie Boys jetzt Volksmusik spielen würden. Aber das machte offensichtlich einigen Zuschauern Spaß. Während die Jurys das bizarre Gesamtwerk noch nach hinten voteten, waren die Moldawier beim Publikum der Liebling hinter der Ukraine. Anders als die Musikfunktionäre hatten sie verstanden, dass es schon reicht, wenn man beim ESC nicht langweilig ist.

Und Deutschland? Sollte vom Sieger lernen. Jetzt nicht von der Ukraine. Es wäre übertrieben, sich von Russland überfallen zu lassen, nur um den ESC zu gewinnen. Sondern von 2010. Vom Gespann Lena Meyer-Landrut und ihrem Produzenten Stefan Raab. Sie musste zuerst dem Publikum gefallen und nicht den Funktionären. Erst dann durfte sie reisen. Wobei Lena bestenfalls eine mittelmäßige Sängerin war. Aber maximal charismatisch. Und sie hatte einen starken Verbündeten: ihren Song. Den hatten Julie Frost und John Gordon geschrieben. Frost hatte zuvor Umbrella für Rihanna geschrieben, Gordon für Beyoncé.

So ist denn die Botschaft für 2023 schlicht: Lasst Profis ran! Gut. Nun könnten die NDR-Mitarbeiter entgegenhalten: Sie würden ja Geld erhalten und das nicht wenig, also seien sie professionell. Von der Definition her ist das richtig. Im Sinne des Wettbewerbs sollte es aber verdientes Geld sein, das irgendjemand freiwillig zahlt – so ganz ohne staatliches Zwangseinzugssystem oder Kultursubventionen.

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