Tichys Einblick
Ich bin Opfer, also bin ich

Die Leidensgeschichte der Bundestagsabgeordneten Emilia Fester (24)

Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Emilia Fester klagt im „Spiegel“ über ihre anstrengende Tätigkeit. Für diese Arbeit opfere sie auch ihre Jugend. Dafür gab es etwas Kritik – beziehungsweise: neuen Stoff für ihre nächste Leidensgeschichte.

Längere Zeit hörte die Öffentlichkeit nichts von der grünen Bundestagsabgeordneten Emilia Fester, 24. Zur Erinnerung: Einem größeren Publikum wurde sie mit ihrer Bundestagsrede für eine Impfpflicht bekannt, in der sie aufzählte, welche Opfer sie wegen Corona und der Ungeimpften auf sich genommen hatte: Sie sei beispielsweise „nicht in der Uni gewesen“ und nicht ins Ausland gefahren.
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Unmittelbar nach ihrer hochdramatischen Ansprache stellte sich heraus, dass Fester – früher Regieassistentin – nie studiert hatte, was ihr Fernbleiben von der Universität auch in Corona-Zeiten schlüssig erklärt. Und ins Ausland reiste sie sehr wohl – nach Dänemark. Von dort aus sendete sie Urlaubsgrüße auf Instagram, die sie offenbar vor ihrem Bundestagsauftritt vergessen hatte.

Ende dieser Woche brachte sich die Jungpolitikerin wieder in Erinnerung: in einem Spiegel-Interview. Thema: Die Belastung durch ihre Arbeit im Bundestag. „Letztlich opfere ich auch meine eigene Jugend für diesen Job“, klagte Fester dem Magazin.

Wobei nicht ganz klar wurde, warum sie „auch meine eigene“ einschob. Wessen Jugend opfert sie denn noch?

Obwohl die Spiegel-Interviewer rundum wohlwollend fragten, konnte offenbar der eine oder andere Steuerbürger die Lebenslast der Jungpolitikerin nicht ganz nachfühlen. Ein Dasein für eine Grunddiät von 10.012,89 Euro monatlich plus 4.560,59 Euro steuerfreie Kostenpauschale, Freifahrt bei der Bahn und Chauffeur-Dienst empfinden manche womöglich nicht direkt als Opfer, vor allem bei einer jungen Frau ohne Berufsabschluss. Manchem kommt es vielleicht auch merkwürdig vor, dass sich eine 24-Jährige der Jugend zurechnet, also einer Zeit, die normalerweise noch vor dem Eintritt ins Arbeitsleben liegt.

PostPolitiker und PostJournalisten
Ich aber beschloss, Influencerin im Bundestag zu werden
Kaum hatte der Spiegel die Klage der Jungpolitikerin veröffentlicht, trendete auf Twitter #emiliafester. Viele erinnerten dort daran, dass alle, die eine gewerbliche Ausbildung beginnen, schon mit 16 ins Arbeitsleben starten. Und das tun sie in der Regel für erheblich weniger Geld als eine Bundestagsabgeordnete. Vor allem erhalten diese jungen und später auch älteren Arbeitnehmer kein Steuergeld. Sie erwirtschaften es, wovon sie sich regelmäßig am Monatsende beim Blick auf brutto und netto überzeugen können. Auch die einen oder anderen nicht so wohlmeinenden Kommentare sammelten sich deshalb unter dem Twitter-Hashtag.

Allerdings wären die Grünen nicht diese spezielle Milieupartei, wenn dort nicht sofort Parteifreunde Emilia Fester beigesprungen wären. Etwa Lea Fränzle, Kreisrätin in Mittelsachsen und nach eigener Auskunft „schwurbelbeobachtende Energiewende-Nerd“. Fränzle stellte fest, „Schreibende“ – also Kommentatoren auf Twitter – hätten keine Vorstellung, davon, welches Arbeitspensum Bundestagsabgeordnete zu bewältigen hätten. Dieser Job lasse nämlich „für Freiheiten, wie sie Studierende haben, quasi keinen Raum“.

Auch dieser Lebensumstand, dass ihr Beruf ihnen weniger Zeit lässt, als Studenten üblicherweise zur Verfügung steht, dürften den meisten Krankenschwestern, Verkäufern, Bauarbeitern, Fliesenlegern und Ingenieuren nicht ganz fremd sein. Die kritischen Kommentare auf Twitter nahmen auch viele Parteifreunde und Anhänger zum Anlass, den Hass zu geißeln, da der wieder einmal auf eine erfolgreiche junge Frau einprasseln würde. Ziemlich sicher lässt sich deshalb das Thema des nächsten Emilia-Fester-Interviews voraussagen: Ich, Opfer von Hass und Hetze.

Auf diesem Gebiet herrscht offenbar eine Art medialer Wettbewerb zwischen Fester, der jüngsten Bundestagsabgeordneten, und Ricarda Lang, mit 28 jüngste Parteivorsitzende der Grünen. Lang klagte gerade in einem Bunte-Interview, sie werde immer wieder wegen ihres Mehrgewichts zur Zielscheibe von rechtem Hass.

Zwischen ihrer Rede zur Impfpflicht und ihrem Interview zum Opferdasein hatte Fester noch anderweitig von sich reden gemacht. Auf Instagram beklagte sie, sie fühle sich im Bundestag als Neuling oft nicht ganz für voll genommen – und erklärte sich damit zum Sexismus-Opfer.

Screenshot via Instagram

Neben der Rede über die geopferte Unikarriere, die geopferten Auslandsreisen, der Identifikation als Sexismus-Opfer, der Klage über die geopferte Jugend und vor dem nächsten Interview über ihr Leben als Hassopfer trat Fester allerdings noch mit einem tiktok-Video an die Öffentlichkeit, das Einblick in ihre Abgeordnetentätigkeit gibt, und ausnahmsweise einmal überhaupt nichts mit ihrem Opferdasein zu tun hat.

Mit der Arbeit für ein Verfassungsorgan, meinen manche Normalbürger, allerdings auch nichts. Aber so denken nun mal nur Hetzer.

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